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I. Göttergeburt und Unsterblichkeit

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Wenden wir uns zunächst dem ersten Aspekt zu, den Tyndares anspricht und der ihm Schwierigkeiten macht: Göttergeburt und Unsterblichkeit. Wie ist die Geburt eines Gottes mit seiner Göttlichkeit, d.h mit seiner Unsterblichkeit zu vereinbaren? Nun ist bei anderen Völkern die Vorstellung nicht nur von der Geburt, sondern auch von Tod und Auferstehung eines Gottes durchaus nicht ungewöhnlich. Die griechischen Götter jedoch, sie sterben zwar nicht, werden aber geboren. Und dies, obgleich sie gleichsam per definitionem als unsterblich und immer existierend gelten. Homer nennt die Götter in der Tat „immer seiend“ (αἰὲν ἐόντες), Hesiod spricht von ihnen als dem heiligen Geschlecht derer, die immer sind (ἱερὸν γένος αἰὲν ἐόντων)9, der „heiligen Art der immer Seienden“. In der Theogonie versucht Hesiod Ordnung in die genealogischen Verhältnisse jener immer seienden olympischen Götter zu bringen.10 Besonders die homerischen Hymnen wissen – gleichsam gattungsbedingt – ausführlich von Göttergeburten zu erzählen, wobei auffällt, wie schnell die soeben geborene Gottheit – bisweilen noch in den Windeln wie Gott Hermes des homerischen Hymnus11 – Merkmale ihres spezifischen Wesens in Taten manifest werden lässt. Auch Kallimachos berichtet im Zeus-Hymnus von der Geburt des zu preisenden Gottes. Gegen Nachrichten von seinem Tod jedoch setzt er sich vehement zur Wehr, auch wenn man auf Kreta und anderswo noch so viele Zeus-Gräber vorführt: Geschichten vom Tod des Zeus der auch sonst notorisch lügnerischen Kreter verweist er in den Bereich der Fabel, mit der Begründung: „du starbst nicht, denn du bist immer“ (σὺ δ’ οὺ θάνες ἐσσὶ γὰρ αἰεί): ein einleuchtendes Argument gegen den Tod des Göttervaters, kaum aber vereinbar mit Berichten von seiner Geburt.12 Kallimachos findet dies jedoch ebensowenig anstößig wie Homer und Hesiod. Für sie sind die Götter ἀειγενέται13, was oft mit „ewig“ übersetzt wird, historisch-analytischem Denken aber als Widerspruch erscheinen muss. Aber nicht nur modernes Denken, schon die Antike hat Anstoß an der Vorstellung von der Geburt ewiger Götter genommen. Ob wirklich Thales, gleichsam am Anfang antiker Philosophie, erste Zweifel artikulierte, indem er Gott dadurch definierte, weder Anfang noch Ende zu haben, bleibe dahingestellt.14 Xenophanes jedoch sah es ausdrücklich als Sündenfall der Menschen an, einen Gott nicht nur sterben, sondern auch geboren sein zu lassen.15 Und wenn Pherekydes16 betont, Zeus, Chronos und Chthonie hätten immer existiert, so darf man auch hier den Widerspruch gegen Homer und Hesiod heraushören. Jedenfalls sind wir seither Zeugen einer lang anhaltenden Diskussion, die, wie wir jetzt sehen, auch den Hintergrund für Tyndares’ Bemühen darstellt, die Vorstellung von Geburt oder Zeugung im Bereich der Götter zu rechtfertigen. Aber, so ist zu fragen, bedarf es wirklich einer Rechtfertigung, die unter dem Hinweis auf die archaische – und das heißt dann offenbar: unlogisch primitive – Denkungsart des Mythos oft den Charakter einer Entschuldigung trägt? Könnten uns die Aussagen nicht paradox erscheinen, weil wir uns dem Problem mit einer falschen Fragestellung nähern, und sollten wir uns von Hölderlin nicht dahingehend belehren lassen, dass die Griechen hier Wesentliches zum Ausdruck bringen? Vielleicht ist die historisch analysierende Sichtweise antiker Philosophen und moderner Interpreten einem richtigen Verständnis gerade abträglich?

Platon als Mythologe

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