Читать книгу Platon als Mythologe - Glenn W. Most - Страница 24

VI. Schluss

Оглавление

Wenn die Beobachtungen diskussionswürdig und die Deutung plausibel scheint, könnte es sich in der Tat lohnen, nach weiteren, entsprechenden Partien in mythischen Texten Ausschau zu halten.64 Dabei braucht man sich offenbar keinenswegs auf mythische Darstellungen aus archaischer Zeit zu beschränken. Vielleicht kann man einer Tradition bei der Gestaltung mythischer Texte habhaft werden, die mit Gewinn für die Interpretation des jeweiligen Textes fruchtbar zu machen ist. Jedenfalls sollte man in solchen Kontexten mit doch eher nichts sagenden Etiketten wie „illustrierendes Präsens“ oder „Praesens tabulare“ zurückhaltender sein. Vielleicht sollte zu diesem Zweck die Bestimmungskategorie des „Praesens divinum“ in die Grammatiken aufgenommen werden als ein Versuch der griechischen Sprache, die Existenzweise der Götter in mythischer Zeit zu charakterisieren, bei deren Handlungen Singuläres und Allgemeines zusammenfallen: Es ist immer dieselbe Persephone, die als göttliches Wesen den Frühling bringt, auch wenn es sich um jeweils andere Blumen handelt. Platon hat diese Vorstellung im Timaios zur Grundlage seiner Kosmologie gemacht. Auch von ihr gilt: Seine Welt entstand nie, sondern wird immer. Platon hat die Vorstellung von einer mythischen Zeit aber auch zum Fundament seiner Ideenlehre gemacht: Auch die Ideen existieren in einem göttlichen Bereich, manifestieren sich aber gleichzeitig an vielen Stellen in der profanen Wirklichkeit der Menschen, d.h Platon transponiert die mythische Vorstellung von der Zeit in den philosophischen Kontext. Vor diesem mythischtheologischen Hintergrund verliert – so scheint mir – das oft behandelte Problem, wie an den überzeitlichen Ideen die Vielheit der Einzeldinge teilhaben könne, viel von seinem paradoxen Charakter.65 Jedenfalls wird vor dem Hintergrund der Dichotomie von mythischer und profaner Zeit eine kleine sprachliche Beobachtung vielleicht etwas besser verständlich.

* Die folgenden Gedanken wurden durch Diskussionen in meinem Seminar über Euripides’ Bakchen angeregt. Ich danke den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Seminars, Auditorien in Basel, Erlangen, Greifswald, Pisa, Regensburg, Rom und Zürich für Kritik und Anregung. (Eine italienische Version erschien 2002 in den Studi Romani V2.)

1 Der Text ist entnommen: Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke und Briefe, hrsg. v. G. Mieth. Bd. 1. München 1970, 298–300. Zu verweisen ist auch auf die kritische Ausgabe: Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke. ‚Frankfurter Ausgabe‘ Bd.4. Oden I, hrsg. v. D.E. Sattler/M. Knaupp. Frankfurt a.M. 1994, 323–328; zum Gedicht und der Zeitfrage vgl. Hübner [1985] 26f.

2 Zur Zeitauffassung bei Homer vgl. Fränkel [1968]; vgl. auch van Groningen [1953]; Hölscher [1990] 137; 192f.

3 Zur Unterscheidung zwischen heiliger und profaner Zeit vgl. Vidal-Naquet [1989] 12ff. („Zeit der Götter, Zeit der Menschen“); Hübner [1985] 143ff.

4 Plutarch, Quaestiones convivales VIII 1, 717d–718b = Dörrie/Baltes 58.1; Gooch [1982] 239–240.

5 Zu Platons Geburtslegende vgl. Diogenes Laertios 3,2 = Speusippos fr. 27 Lang = fr. 1a Tarán = Klearchos fr. 2a Wehrli = Dörrie/Baltes 58. 1 mit Dörrie/Baltes [1990] 404ff.; vgl. Riginos [1976] 15–17.

6 Quaestiones convivales VIII 1, 718a: αναθαρρ δὲ πάλιν αὐτο Πλάτωνος ἀκούων πατέρα καὶ ποιητὴν τοῦ τε κόσμου καὶ τν ἄλλων γεννητν τὸν ἀγέννητον καὶ ἀίδιον θεὸν ὀνομάζοντος, οὐ διὰ σπέρματος δήπου γενομένων, ἄλλη δὲ δυνάμει το θεο τ ὕλῃ γόνιμον ἀρχήν…

7 Zum Problem zuletzt Baltes [1996] 76–96 = Baltes [1999] 303–325; allgemein: Sorabji [1983]. Zur Rezeption des „Timaios-Problems“ vgl. Baltes [1976/1978].

8 Plutarch, Quaestiones convivales VIII, 717aff.; dazu Teodorsson [1996] 148–162.

9 Vgl. Homer, Ilias 1,290. 494; 21,518; 24,99; Odyssee 5,7; 8,306; 12,371. 377 und öfter; Hesiod, theog 21. 33. 105.

10 Hesiod, theog 21. 30. 32. 38. 105.

11 Homer, hymn Herm (4) 235ff.

12 Kallimachos, hymn 1,9. Dazu MacLennan [1977] 37f.

13 Hesiod, theog 548; Homer, Ilias 2,400; bezeichnend anders Platon, Symp 206e.

14 So ein bei Diogenes Laertios (1,36) überliefertes Apophthegma (τί τὸ θεον τὸ μήτε ἀρχὴν ἔχον μήτε τελευτήν), Thales DK 11A1; vgl. van Groningen [1953] 101.

15 Xenophanes DK 21B14 = fr. 14 Heitsch; dazu Heitsch [1983] 127–128.

16 Vgl. Pherekydes bei Diogenes Laertios 1,119 = DK 7B1: Ζὰς μὲν καὶ Χρόνος σαν ἀεὶ καὶ Χθονίη; vgl. West [1963] 158.

17 Vgl. van Groningen [1953] bes. 84; 95ff.

18 Vgl. Ovid, Metamorphosen 1,452ff.

19 Zur historischen Zeit vgl. Musti [1983] 192; Momigliano [1969] 13–41.

20 Vgl. Aristoteles, Poetik 1449a14: καὶ πολλὰς μεταβολὰς μεταβαλοσα ἡ τραγῳδία ἐπαύσατο, ἐπεὶ ἔσχε τὴν αυτής φὑσιν; dazu van Groningen [1953] 96–98.

21 Salustios, De dis et mundo IV 9 Rochefort: τατα δὲ ἐγένετο μὲν οὐδέποτε, ἔστί δὲ ἀεὶ. καὶ ό μὲν νος ἅμα πάντα ὁρᾷ, ὁ δὲ λόγος τὰ μὲν πρτα τὰ δὲ δεύτερα λέγει.

22 Heubeck [1949/50 und 1984].

23 Vgl. Hesiod, theog 116.

24 Zum Zeitgebrauch bei Hölderlin vgl. Bohrer [1994] bes. 26ff.

25 Eine umfassendere Darstellung ist geplant.

26 Euripides, Bakchen 1f.: ἥκω Διὸς πας τήνδε Θηβαίων χθόνα•/Διόνυσος, ὃν τίκτει που’ ἡ Κάδμου κόρη.

27 Vgl. Sandys [1900] 87; Roux [1972] 241.

28 Schwyzer/Debrunner [1950] 270ff., Zitat 271. Verbindungen von Aoristen mit Praesens historicum „zur Hervorhebung einzelner besonders bemerkenswerter … Momente“ konstatieren Kühner/Gerth [1955] 132ff., Zitat 132.

29Verdenius[1980] 1.

30 Brugmann [1904] 572 mit Anm. 1; Klose [1968] 223 hebt die Bedeutung des Praesens historicum für Beschreibung „vergangener Sachverhalte“ hervor. Die Bedeutung der Aktionsart beim Praesens historicum unterstreicht Koller [1951]. Zum Praesens historicum in der Geschichtsschreibung vgl. Eriksson [1943]; Schmüdderich [1968].

31 Schwyzer/Debrunner [1950] II 272.

32 Erler [1987] 46f.

33 Wackernagel [1950] 47.

34 Ilias 18,386: πάρος γε μὲν οὔ τι θαμίζεις. Dazu Brugmann [1916] 737–739.

35 Brugmann [1916] 738.

36 Euripides, Alkestis 6; Andromache 9; vgl. Euripides, Kyklops 113.

37 Euripides, Herakles 966, dazu Wilamowitz-Moellendorff [1959] 213.

38 Homer, hymn Apoll (3) 1–13: μνήσομαι οὐδὲ λάθωμαι ’Απόλλωνος ἑκάτοιο,/ὅv τε θεοὶ κατὰ δμα Διὸς τρομέουσιν ἰόντα./καί ῥά τ’ ἀνα σσουσιν ἐπὶ σχεδὸν ἐρχομένοιο/πάντες ἐφ’ ἐδράων, ὅτε φαίδιμα τόξα τιταίνει./Λητὼ δ’ οἴη μίμνε παραὶ Διὶ τερπικερανῳ,/ἥ ῥα βιόν τα’ ἐχάλασσε καὶ ἐκλήισε φαρέτρην,/καί οἱ ἀπ’ ἰφθίμων ὤμων χείρεσσιν ἑλουσα/τόξον ἀνεκρέμασε πρὸς κίονα πατρὸς ἑοο/πασσάλου ἐκ χρυσέου. τὸν δ’ εἰς θρόνον εΐσεν ἄγουσα./τῷ δ’ ἄρα νέκταρ ἔδωκε πατὴρ δεπαι χρυσείῳ/δεικνμενος φίλον υἱόν, ἔπειτα δὲ δαίμονες ἄλλοι/ἔνθα καθίζουσιν’ χαίρει δέ τε πότνια Λητώ,/οὕνεκα τοξοφόρον καὶ καρτερὸν υἱὸν ἔτικτεν.

39 Clay [1989] 19ff.; Förstel [1979] 101–109. Zum Motiv eines ersten Auftretens im Olymp vgl. auch: Homer, hymn Herm (4) 325ff.; hymn Aphr (5) 14–18.; Hesiod, theog 68–71; zur Diskussion „typische“ oder einmalige Handlung vgl. Clay [1989] 23, Anm. 15.

40 Schwyzer/Debrunner [1950] 271 mit Anm. 3; vgl. Chantraine [1953] 191; von Fritz [1949]. Generell vgl. Tichy [1999]. Im lateinischen Epos gibt es das Praesens historicum zwar, nicht aber im erzählenden Epos im Griechischen. Bei der Bewertung von Zeitstufe und Zeitlosigkeit des Präsens betont die Bedeutung der Sprechhaltung Weinrich [1971] (z.B. 288ff. für das Griechische). Jedoch ist dies mit guten Gründen abgelehnt worden, vgl. Strunk [1969]; Fajen [1971]. Das Praesens historicum fehlt in den Hymnen des Kallimachos und in den Argonautika des Apollonios Rhodios. Eine Partie wie Apollonios Rhodios, Argonautika 2,169–176 fällt aus dem Rahmen, vgl. dazu Fränkel [1968a] 165f.; historisches Präsens bei Sappho erkennt Tzamali [1996] 240f. (zu Sappho 44, 23).

41 Vgl. Janko [1981] bes. 11f.; doch vgl. dazu Clay [1989] 25f.

42 Vgl. Homer, hymn Pan (19): Tätigkeit des Gottes in Vergangenheit (3–4), dann Gegenwart (10–11), dann wieder Vergangenheit (12–15); Dioskuren-Hymnus; vgl. Diskussion Clay [1989] 23ff., anders Janko [1981] 12.

43 Auf die Parallele weist hin Jacoby [1933] 728; Clay [1989] 27.

44 Van Groningen [1953] 102; Clay [1989] 29.

45 Marg [1984].

46 West [1966] 155 (zu theog 7ff.) nennt die Aoriste und Imperfekte „timeless“ und „in descriptions of a god’s characteristic activities“; vgl. theog 268f. und West [1966] 156 zu theog 10.

47 Hoffmann [1967]; zum Injunktiv als „beschreibende Erwähnung“ vgl. Burkert [1996] 67.

48 Hoffmann [1967] 265f.; 119.

49 RV 1,128,1; das Beispiel stammt von Hoffmann [1967] 265.

50 West [1989] 135–138 (zu Hesiod theog 1–11; 267–269; Homer, hymn Apoll [3] 1–6; hymn Pan [19] 19–29).

51 Vgl. Macholz [1990].

52 Joh 8,58.

53 Platon, Prot 320d; dazu Manuwald [1999] 172ff.

54 Manuwald [1999] 183 übersetzt mit Vergangenheit.

55 Baltes [1999] 303f. mit Anm. 2 und 3 (weitere Literatur zur „zeitlichen“ und zur „unzeitlichen“ Interpretation).

56 Die uns interessierende Stelle gehört zum Proömium (vgl. dazu Runia [1997]). Zum Mythos des Timaios vgl. Brisson [1999]; Witte [1964]. Zur Frage nach Zeitlosigkeit im Timaios, bes. 27d–28a vgl. Graeser [1987]; Böhme [1996]; zur Frage von Zeitlosigkeit und Ewigkeit vgl. Sorabji [1983] 67ff.

57 Baltes [1996] 78–80 = [1999] 305–307.

58 Vgl. Baltes [1996] 92–93 = [1999] 320–321 zu den Vergangenheitstempora in diesem Kontext, deren Bedeutung er relativieren möchte.

59 Baltes [1996] 91–92 = [1999] 319–20 hebt hervor, dass die wichtigen Ausdrücke im Kontext von Ti 28b6–8 im Präsens stehen.

60 Vgl. Proklos, In Timaeum 1,290,23 Diehl: ἀεὶ γιγνόμενον ἅμα καὶ γεγενημένον, dazu Baltes [1978] 30ff.

61 Vgl. Ti 38c, Baltes [1978] 52ff.; Graeser [1996] 151 bemerkt, dass Platon im Timaios (37e–38a) darauf hinweist, dass das Wort „ist“ eigentlich für ewige Gebilde gilt, also mit unzeitlicher Verwendung in Zusammenhang gebracht wird.

62 Proklos, In Timaeum 2,101,3 Diehl.

63 Vgl. Ti 37dff.; zur Zeitvorstellung vgl. Baltes [1999] 310ff.; Eggers Lan [1984] 177f. (Zeit entstanden); Sorabji [1983] 108ff.; 272ff.; zur Zeitfrage im Timaios vgl. Mesch [1997].

64 Zu erinnern ist an Parmenides (Hinweis M. Fritz im Seminar), vor allem an DK 28B1, 4–16 mit der Beschreibung der Wagenfahrt des Philosophen und der Begegnung mit der Göttin. Auch hier finden wir die Tempusmischung (Imperfekt, Aorist, Präsens). Man darf hier dasselbe Phänomen wie in den anderen Fällen vermuten; zu Parmenides’ besonderem Verhältnis zur Zeit, vor allem mit Blick auf DK 28B8, 5 vgl. Schofield [1970]; O’Brien [1980]; Schofield [1988] und die Diskussion Owen [1986].

65 Vgl. Albert [1998].

Platon als Mythologe

Подняться наверх