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III. Mythische Zeitlosigkeit und sprachlicher Ausdruck

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Aus Zeitgründen sei im Folgenden nur auf einige wenige Partien verwiesen.25 Es handelt sich um Stellen, die durch Besonderheiten im Tempusgebrauch auffallen und den Interpreten Schwierigkeiten bereiten. Ausgangspunkt der Überlegungen war die Göttergeburt und insbesondere die Frage, wie Göttergeburt mit Unsterblichkeit zu vereinbaren sei. In diesem Zusammenhang ist ein Vers zu Beginn der Bakchen des Euripides von Interesse. Gott Dionysos tritt auf und schildert seine Situation. Im zweiten Vers apostrophiert er sich selbst und stellt sich – der Auftrittskonvention folgend – vor: „Ich, Sohn des Zeus, bin Thebens Land genaht, Dionysos, den einst Kadmos’ Kind gebar“ (Übersetzung Buschor).26 Die Prädikate, welche Buschor und alle anderen Übersetzer in Vergangenheitsform geben, stehen im Griechischen im Praesens: ἥκω und τίκτει ποθ’. Im ersten Fall steht Präsens wegen der Bühnensituation, der Anwesenheit des Gottes. Warum jedoch steht τίκτει im Praesens, wird doch auf ein Geschehen in der Vergangenheit Bezug genommen und zudem angedeutet (ποτέ)? Einige Kommentatoren erkennen auf Praesens historicum.27 Man fragt sich jedoch, ob hier wirklich ein „entscheidendes und neues Moment der Ereignisse … hervorgehoben (werden soll)“ – so jedenfalls beschreiben Grammatiken die Funktion des Praesens historicum. Es scheint zweifelhaft, ob „Sprecher und Hörer in warmer Anteilnahme die Geschehnisse gleichsam vor Augen haben sollen“.28 Man hat eine ‚inexpressive Form‘ des Praesens historicum, das registrierende Praesens tabulare oder annalisticum, vermutet.29 Zweifel, ob diese Erklärung wirklich hilfreich und angemessen ist, regen sich, wenn man sich bei Brugmann darüber belehren lässt, dass die Kategorie Praesens tabulare als Untergruppe des Praesens historicum aus dem Bereich der Historiographie stammt, eng mit der Verschriftlichung der Sprache verbunden ist – papiernes Präsens nennt er es – und von dort in die Tragödie hineingeraten sei.30 Nun mag es einen solchen Einfluss auf die Sprache der Tragödie geben, eine inhaltlich befriedigende Auskunft bietet diese hier eher nichts sagende Kategorie31 eigentlich nicht. Und dies umso weniger, wenn wir uns daran erinnern, dass wir uns mit den Bakchen im Bereich des Mythos und gerade nicht historischer Analyse bewegen. Das Stück schildert ja die Einbürgerung eines neuen Gottes mit all den daraus erwachsenden Problemen. Schriftlichkeit ist in diesem Kontext nur bisweilen und dann eher anachronistisch von Bedeutung.32 Von Interesse ist schließlich, dass dem Präsens ποτέ beigegeben ist, gleichsam als modifizierender Hinweis. Hier ist ein Hinweis Wackernagels bedenkenswert.33 Er erinnert in seinen Vorlesungen daran, dass im mythischen Bereich, wenn z.B. bei Homer Götter miteinander reden, Praesentia verwendet und diese durch Zeitpartikel wie πάρος modifiziert werden. Erinnert sei an Hephaistos’ Klage gegenüber Thetis, sie habe sich rar gemacht.34 Obgleich von Vergangenheit die Rede ist, legt der Dichter nach Wackernagels Ansicht dem Gott eine Art zeitloses, durch eine Partikel modifiziertes Präsens in den Mund. Brugmann35 weist zudem darauf hin, dass entsprechende sprachliche Beobachtungen im Altindischen des Rgveda zu machen sind. Er vermutet, dass auf diese Weise Zeitlosigkeit signalisiert werden soll.

Es ist nun bemerkenswert, dass eine Reihe von Stellen in der griechischen Tragödie in mythischem Kontext Praesentia bieten, die durch Vergangenheitsformen oder auf Vergangenheit weisende Adverbien gleichsam modifiziert werden. Entsprechendes findet sich z.B. in der Alkestis und in der Andromache des Euripides, aber auch in Tragödien anderer Dichter.36 Hier sei nur eine Stelle im Herakles des Euripides herausgegriffen, weil dort eine entsprechende Verbindung von Präsensform und Adverb (ἄρτι κοάνεις) in der Schilderung eines mythischen Geschehens von Wilamowitz als Anomalie gesehen wird, die „darin (liegt), daß die absolute, nicht die vollendete Handlung bezeichnet ist“37. Offenbar sieht auch Wilamowitz im Präsens den Versuch, jene Art von Zeitlosigkeit auszudrücken, die wir oben als zu mythischem Göttergeschehen gehörig erkannt hatten. Es sei hier auf diese Stellen nur hingewiesen. Im Folgenden soll vielmehr Wackernagels und Brugmanns Hinweis auf Homers Sprache nachgegangen und zunächst insbesondere die homerischen Hymnen und Hesiods Theogonie eingehender betrachtet werden. Hier nämlich finden wir wiederholt Partien, die sich u.a. durch einen eigentümlichen, die Interpreten irritierenden Gebrauch von Präsensformen auszeichnen. Für unsere Frage sind die Stellen von besonderem Interesse, a) weil in der Sprache Homers die Kategorie des historischen Präsens keine Rolle spielt; b) weil im Epos mehr noch als in der Tragödie Brugmanns „papiernes“ Praesens tabulare eine kaum angemessene Kategorie scheint; c) weil wir die Tempusmischungen in inhaltlichen Kontexten finden, für deren Verständnis die oben angesprochene Scheidung von mythischer und historischer Zeit von entscheidender Bedeutung ist.

Platon als Mythologe

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