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Robespierres „Planmacher“

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Via Toulon tritt Napoleon in das Gesichtsfeld einflussreicher Persönlichkeiten. Toulon ist kriegswichtig. Hätte England in der Hafenstadt dauerhaft Fuß gefasst, wäre die Konventsregierung schwer in Bedrängnis geraten. Kein Wunder, dass man in Paris auf den Mann aufmerksam wird, der in Toulon die Kastanien aus dem Feuer geholt hat. Aber das politische Parkett ist gefährlich glatt. Die aktuelle Konventsmehrheit verkörpert ja keineswegs Rousseaus fabelhafte volonté générale. Sie ist Partei im Bürgerkrieg und außerdem damit beschäftigt, sich zu zerfleischen. Noch lebt Danton, aber die Rivalität mit Maximilien Robespierre, dem Haupt des selbst ernannten Tugendregimes, nimmt an Schärfe zu. Ob Napoleon bewusst ist, dass er seinen Kopf riskiert, je nachdem wie der Machtkampf ausgeht? Seit dem Souper de Beaucaire gilt er als Anhänger der Robespierre-Brüder. Saliceti und Gasparin sind seine Verbündeten. Augustin Robespierre protegiert ihn. Nicht zu verachten ist, dass auch Barras ein Auge auf ihn geworfen hat. Paul-François-Jean-Nicolas Barras, ein ehemaliger Vicomte, soll der Italienarmee auf die Finger sehen. Die Förderung dieser Männer ist enorm wichtig für Napoleon, schon deshalb, weil er andere Förderer nicht hat. Aber sie stigmatisiert auch. Napoleon, urteilt François Furet, tritt „mit einem jakobinischen Ausweis“ in die Geschichte Frankreichs ein.107 Das wird sein Image jahrelang prägen.

Während sich in Paris grundstürzende Ereignisse vorbereiten, bewegt sich Napoleon auf Freiersfüßen. In Henry Kosters Film Désirée, der 1955 in die Kinos kommt, spielt Marlon Brando den jungen Napoleon, der sich in die 16 Jahre alte Eugénie Clary, genannt Désirée, (Jean Simmons) verliebt. Vorlage für den Film ist der gleichnamige historische Roman von Annemarie Selinko, der wohl auch deshalb zu einem der größten Bucherfolge im Nachkriegsdeutschland wird, weil die österreichische Autorin locker mit den Fakten umspringt. Von einem großen Liebesdrama kann nicht die Rede sein. „Désirée war meine erste Neigung.“108 In dem Geständnis Napoleons liegt der Akzent eindeutig auf dem Wort „Neigung“ (inclination). Die Bekanntschaft mit Désirée fällt in das Jahr 1793. Als Flüchtlinge sind die Bonapartes auf der Suche nach nutzbringenden Verbindungen. Eine solche stellen die Clary von Marseille dar. Der Großkaufmann Clary hat zwei Töchter, die 1774 geborene Désirée, die eigentlich Eugénie heißt, und die vier Jahre ältere Julie. Joseph und Napoleon machen den jungen Damen umgehend den Hof, wobei eine Weile offen ist, wer auf welche Schwester abfährt. Joseph hat zunächst Désirée ins Auge gefasst, aber Napoleon überredet ihn, Julie zu nehmen. Seine Begründung ist lesenswert: „Ein guter Haushalt setzt voraus, dass sich der eine dem anderen unterordnet. Du, Joseph, bist von unschlüssigem Charakter wie Désirée. Demgegenüber weiß Julie, was sie will, so wie ich es weiß. Deshalb ist es besser, wenn Du Julie heiratest.“109 Die Ehe Josephs mit Julie wird am 1. August 1794 geschlossen. Die 400 000 Francs Mitgift der Braut stellen den ersten Baustein zum neuen Wohlstand der Bonapartes dar. Napoleon lässt sich Zeit. Er träumt sich in eine romantische Beziehung hinein, die er sogleich schriftstellerisch umsetzt. Es entsteht Clisson et Eugénie, ein Liebesroman, in dem der Held tragisch endet. Das ist die Geschichte: Der erfolgreiche Feldherr Clisson wird im Kampf verwundet. Er schickt seinen Adjutanten zu Eugénie, um sie zu beruhigen, was sich als Fehler herausstellt. Denn die treulose Gattin verliebt sich prompt in den Adjutanten. Clisson erfährt davon und beschließt, in der nächsten Schlacht den Tod zu suchen. Bevor er, „durchbohrt von tausend Kugeln“, stirbt, schreibt er Eugénie einen Abschiedsbrief: „Mögest Du glücklich leben können, ohne an den unglücklichen Clisson denken zu müssen. Küsse meine Söhne. Hoffentlich haben sie nicht die glühende Seele des Vaters geerbt, sonst werden sie wie er Opfer der Menschen, des Ruhms und der Liebe.“110 Im Drehbuch des wirklichen Lebens geht die Romanze weit weniger dramatisch aus. Zuerst bremst die Familie Clary, die einen Bonaparte als Schwiegersohn für ausreichend hält. Sodann begegnet Napoleon in Paris Joséphine Beauharnais. Das bedeutet das Aus für Désirée. Gegen die ältere, erfahrene und außerordentlich reizvolle Kreolin steht die schüchterne Kaufmannstochter aus Marseille, die nach allgemeinem Urteil keine Schönheit ist, auf verlorenem Posten. Napoleon beendet die Romanze, die über den Austausch zärtlicher Briefe kaum hinausgegangen sein dürfte, auf dem Postweg. Bald darauf heiratet Désirée Napoleons Waffengefährten Bernadotte. An der Rivalität des künftigen Königs von Schweden, die Napoleon noch zu schaffen machen wird, ist Désirée unschuldig.

Die erste Zeit nach den heißen Tagen von Toulon verläuft für Napoleon unspektakulär und unbefriedigend. Seine Hauptaufgabe besteht jetzt darin, Festungsbauten zu inspizieren, und so pendelt er zwischen Marseille und Nizza hin und her. Im Februar wird ihm die gesamte Artillerie der Italienarmee unterstellt. Die armée d’Italie verharrt schon seit einem Jahr in Wartestellung. Verglichen mit den beiden in Deutschland operierenden Armeen, der Rhein- und der Donauarmee, haftet ihr der Ruf an, sie sei verlottert und wenig brauchbar. Aber dann kommt Bewegung in die Alpenfront. Das Königreich Piemont-Sardinien, Allianzpartner Österreichs, soll im Piemont angegriffen werden. Augustin Robespierre, der Napoleon schon das Artilleriekommando verschafft hat, bestellt bei ihm einen Feldzugsplan. Den Auftrag rechtfertigt er gegenüber dem Wohlfahrtsausschuss damit, dass Napoleon ein Mann von „überragenden Verdiensten“ sei.111 Napoleon schlägt eine Offensive in Norditalien vor. Zuerst solle die piemontesische Armee ausgeschaltet werden, danach Österreich, der Hauptfeind. Habe man Österreich aus der Lombardei vertrieben, sei der Weg nach Wien offen. Parallel zur Aktion der armée d’Italie solle die Rhein-Armee Österreich von Süddeutschland aus angreifen. Dann entwickelt er seine Erfolgstheorie, die Theorie der Konzentration der Kräfte. Alles, was die Republik im Moment aufzubieten habe, müsse auf ein Ziel gerichtet werden. „Die Republik kann mit ihren 14 Armeen keine allgemeine Offensive durchführen, sie hat dafür weder genug Offiziere noch genug Artillerie und Kavallerie. Außerdem wäre ein Angriff an allen Fronten ein militärischer Fehler: Man darf sich nicht verzetteln, sondern muss den Angriff konzentrieren. Bei der großen Kriegführung gelten dieselben Gesetze wie bei der Belagerung von Festungen: alle Kräfte an einer Stelle einsetzen. Ist die Bresche geschlagen, dann ist das Gleichgewicht gestört, alles Weitere erübrigt sich, und die Festung kann eingenommen werden.“112 Napoleon weiß, weshalb er so argumentiert. Er ist – wahrscheinlich durch den jungen Robespierre – darüber informiert, dass der im Wohlfahrtsausschuss für die Kriegführung zuständige Carnot den Krieg in Spanien auszuweiten wünscht. Das ist die Verzettelung, vor der er warnt. Überraschenderweise wird sein Feldzugsplan angenommen. Aber kaum hat die Italienarmee ihre ersten Erfolge errungen – am 9. Mai fällt Imperia –, wird der Angriff gestoppt. Die hoffnungsvolle Offensive fällt den heftigen Konvulsionen zum Opfer, die das Konventsregime erfasst haben. Die Revolution frisst ihre Kinder. Der Ausschaltung der Girondisten ist die der Hébertisten gefolgt. Dann ist Danton an der Reihe. Er wird im April geköpft. „Ils n’oseront pas!“ („Sie werden es nicht wagen!“) Der Ausruf des Volkstribunen wird zum Synonym für sträflichen Leichtsinn. Niemand kann mehr sicher sein. Wer überleben will, muss dem nächsten Schlag zuvorkommen. Am 9. Thermidor, dem 27. Juli 1794, stürzt Robespierre. Mit ihm gehen 60 Anhänger aufs Schafott, darunter sein Bruder. Augustin ist erst kurz vor dem 9. Thermidor aus dem Süden in Paris angekommen. Er hatte Napoleon eingeladen, ihn zu begleiten, aber der sagte ab – zu seinem Glück: „Wenn ich mich nicht beharrlich geweigert hätte, wer weiß, wohin mich ein erster Schritt hätte führen können und wie anders mein Schicksal verlaufen wäre“, äußert er gegenüber Las Cases auf Sankt Helena.113

Die Kunde von den Thermidor-Ereignissen erreicht Napoleon am 5. August in Nizza. Er kommt gerade zurück von Josephs Hochzeit mit Julie Clary. „Ich war etwas berührt von seiner [Augustin Robespierres, GM] Katastrophe, denn ich liebte ihn und hielt ihn für makellos. Aber wär’s mein Vater gewesen, ich hätte ihn mit eigener Hand erdolcht, wenn er sich zum Tyrannen hätte aufwerfen wollen“, versichert er dem französischen Geschäftsträger in Genua, Tilly.114 Als ein den Robespierres Nahestehender wird Napoleon am 12. August im Fort Carré von Antibes inhaftiert. Es ist ausgerechnet Saliceti, der ihn beim Konvent angeschwärzt hat. Bonaparte sei der „Planmacher“ der Robespierres gewesen, behauptet Saliceti. Die Zuschreibung wäre noch vor einem Monat einen Orden wert gewesen. Inzwischen ist jeder aus dem Nahbereich des „Unbestechlichen“ ein Kandidat für die Guillotine. Das gilt auch für Saliceti selbst. Aus Angst um das eigene Leben ist er bereit, den Schicksalsgenossen aus korsischer Zeit ans Messer zu liefern.

Verlassen kann sich Napoleon auf seine Offizierskameraden. Zusammen mit Marmont heckt Junot einen Plan aus, wie man ihn aus der Zitadelle von Antibes entführen könne. Es gelingt, ihm einen Brief zuzuspielen, aber dem Häftling ist das Vorhaben zu heikel. „Die Menschen“, antwortet er, „können ungerecht gegen mich sein, mein lieber Junot, aber es genügt, unschuldig zu sein. Das Tribunal, dem ich mein Verhalten vorlege, ist mein Gewissen, und mein Gewissen ist ruhig, wenn ich es befrage. Tue also nichts, was mich kompromittieren könnte. Adieu, mein lieber Junot. Gruß und Freundschaft. Buonaparte“.115 Der Stoizismus des Gefangenen ist gespielt. Napoleon muss wissen, dass es in Zeiten wie diesen keineswegs ausreicht, ein gutes Gewissen zu haben. Es wird so leicht guillotiniert! Offenbar ist er so überzeugt von seiner Unersetzbarkeit als Offizier, dass er eine Beschwerde in Paris dem Risiko einer Befreiungsaktion vorzieht. „Hab’ ich nicht“, heißt es in seiner Rechtfertigungsschrift, „seit dem Beginn der Revolution an ihren Grundsätzen festgehalten? Hat man mich nicht im Kampfe gesehen gegen den Feind im Innern wie als Soldat gegen die Fremden? Ich habe den Aufenthalt in meinem Departement [Korsika, GM] geopfert, mein Hab und Gut verlassen, alles verloren für die Republik. Soll ich nun mit den Feinden des Vaterlands zusammengeworfen werden? Sollen die Patrioten unüberlegtermaßen einen General verlieren, der der Republik nicht ohne Nutzen gewesen ist?“116 Seine Rechnung geht auf. Die Blutgier der Thermidorianer hält sich in Grenzen, und politisch ist dieser Korse doch wohl keine ganz große Gefahr. Zudem macht Saliceti, den die Angst um den eigenen Kopf inzwischen verlassen hat, einen Rückzieher. Die Papiere, die man bei Bonaparte gefunden habe, hätten nichts Verdächtiges enthalten, teilt er dem Konvent mit. Am 20. August, gut eine Woche nach seiner Inhaftierung, ist Napoleon wieder auf freiem Fuß. Weitere drei Wochen später erhält er seine Stellung als General der Artillerie zurück.

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