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Général vendémiaire

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Die Thermidorianer sitzen keineswegs fest im Sattel. Sie werden von rechts bedroht und von links, von den Royalisten, denen der Thermidor-Putsch Hoffnung gemacht hat, und vom radikalen Flügel der Jakobiner, der sich als Verlierer des Thermidor fühlt. Wer sind die Männer, die den „Unbestechlichen“ zu Fall gebracht haben? Sie stammen aus der Mitte des Konvents. Etliche haben bis zuletzt mit Maximilien Robespierre an einem Strang gezogen. Ehemalige Dantonisten und Girondisten, die die Säuberungen überstanden haben, sind unter ihnen und Unabhängige. Vielen klebt Blut an den Fingern. Sie haben am 9. Thermidor gehandelt, um den Terror zu stoppen und zugleich der Gegenrevolution vorzubeugen, die nach ihrer Meinung unfehlbar gekommen wäre, hätte das Tugendregime weiter gewütet. Sie wollten ihren Kopf retten und ihr Vermögen, das häufig genug aus verramschten Nationalgütern besteht. Ihr Programmangebot ist der Eigentumsschutz, ihr Bestreben der Machterhalt. Denn eine Lektion haben sie in der Terrorzeit gelernt. Wer die Zügel aus der Hand gibt, dessen Leben ist keinen Pfifferling wert.

Soziale Unruhen machen der Regierung zu schaffen. Sie bekommt die Wirtschaft ebenso wenig in den Griff wie vor ihr der Wohlfahrtsausschuss. Das Land wird von einer Flut von Papiergeld (Assignaten) überschwemmt, der Wert der Immobilien beträgt nur noch ein Viertel des Niveaus von 1789. Das Warenangebot schrumpft, die Preise steigen. Davon ist besonders die Stadtbevölkerung betroffen. Die Schlangen vor den Bäckereien werden immer länger. Am 12. Germinal (1. April 1795) stürmt eine Abordnung aus dem Pariser Arbeitervorort Saint-Antoine den Sitzungssaal des Konvents und fordert Brot. Eine herbeigerufene Einheit der Nationalgarde stellt die Ruhe wieder her. Der Aufstand ist schlecht vorbereitet, es fehlt eine politische Führungsfigur. Dennoch sind die Thermidorianer alarmiert. Kaum zwei Monate später kommt es zu einer weiteren Hungerrevolte. Diesmal, am 1. Prairial, dem 20. Mai, sind es Frauen aus den Arbeitervierteln, die die Parlamentssitzung sprengen. Die Symbolwirkung ist einschüchternd: Am 6. Oktober 1789 waren die Marktweiber von Paris nach Versailles gezogen. Sie hatten die Königsfamilie in ihre Gewalt gebracht und die Revolution ein gutes Stück weitergedreht. Am 1. Prairial wird bei einem Handgemenge im Sitzungssaal ein Abgeordneter getötet und enthauptet, der Kopf wird auf eine Pike gesteckt. Die Thermidorianer machen den Arbeitern zunächst ein paar Konzessionen, dann schlagen sie zu. Militär kesselt den Faubourg Saint-Antoine ein. Das Strafgericht ist blutig. Linke Abgeordnete, die der Komplizenschaft mit den Aufrührern verdächtig sind, werden deportiert. Einige entziehen sich der Bestrafung wie Charles-Gilbert Romme, der Erfinder des Revolutionskalenders. Er erdolcht sich bei der Urteilsverkündung im Gerichtsgebäude. Woher der Wind weht, macht die Regierung dadurch deutlich, dass sie die Verwendung des Wortes „revolutionär“ unter Strafe stellt. Die Heimstatt der Jakobiner in der rue Saint-Honoré wird abgerissen und durch einen Markt ersetzt.

Von anderer Art ist die Unruhe, die in den wohlhabenden Wohnvierteln von Paris herrscht, zum Beispiel im noblen Faubourg Saint-Germain. Die Royalisten, die hier und in anderen Quartieren zu Hause sind, waren lange politisch abgemeldet, haben den Glauben an die Wiederkehr der Bourbonen jedoch nie aufgegeben. Zwar haben sie gerade den Tod des legitimen Thronfolgers, des einzigen Sohnes Ludwigs XVI., betrauert (8. Juni 1795). Die Todesursache des „Kindes im Temple“, das in der Obhut eines Schusters zu einem kleinen Jakobiner herangezüchtet werden sollte, sind bis heute ungeklärt. Aber der Comte de Provence, Ludwigs ältester Bruder, steht bereit, die Königswürde zu übernehmen, sollte es in Frankreich zu einem Systemwechsel kommen. Dass sich die Monarchisten neuerdings wieder eine Menge zutrauen, beweist ein von England unterstützter – wenn auch gescheiterter – Landungsversuch von 3500 Emigranten im Juni auf der Halbinsel Quiberon.

Mit einer neuen Verfassung, der Verfassung des Jahres III nach Einführung der Republik, wollen die Thermidorianer ihre Macht festigen. Das allgemeine Wahlrecht wird durch ein Zensuswahlrecht ersetzt. Das Parlament hat künftig zwei Kammern, den Rat der Fünfhundert, dem die Gesetzesintiative obliegt, und den Rat der Alten, der die vorgeschlagenen Gesetze billigt oder ablehnt. Von den zusammengenommen 750 Abgeordneten wird jedes Jahr ein Drittel durch Wahl ausgetauscht. Die Regierung soll aus fünf gleichberechtigten Direktoren bestehen, dem Directoire. Die neue Konstitution verfehlt ihren Zweck vollkommen. Das Zensuswahlrecht empört die Linken, weil es gegen die égalité ist. Die Rechte arbeitet sich besonders an der Drittelregelung ab, deren Trick darin besteht, dass zunächst einmal zwei Drittel der Abgeordneten ihre Mandate behalten. Nicht zu Unrecht hegen die Royalisten den Verdacht, dass dadurch die Mehrheitsverhältnisse konserviert und ihnen der Wind aus den Segeln genommen werden soll.

Anfang Oktober knistert in Paris die Luft. Im August ist über die Wahlgesetze abgestimmt worden. In der Hauptstadt haben praktisch alle Sektionen gegen die Drittelregelung votiert. Die oppositionelle Agitation wird von einer breiten Koalition aus „harten“ Monarchisten, ehemaligen Vendée-Kämpfern und Gemäßigten betrieben. Die Konventsmehrheit reagiert mit Sondervollmachten für die Regierung, einer der fünf Direktoren, Barras, wird zum Chef der Armee des Innern ernannt. Barras enthebt General Menou, dem die im Lager von Les Sablons nahe Paris liegenden Linientruppen unterstehen, des Kommandos und schart eine Gruppe republiktreuer Offiziere um sich. Zu dieser Gruppe gehört der General Bonaparte. Napoleons Darstellung seiner Berufung ist reichlich melodramatisch. Danach erfährt er am Abend des 12. Vendémiaire (4. Oktober) während einer Vorstellung von Saurins Trauerspiel Beverley oder der englische Spieler im Theater Feydeau, dass sich etwas zusammenbraut und dass das Parlament in Permanenz tagt. Aus Neugier nimmt er den Weg zur Assemblée. Dort angekommen, hört er jemanden im Sitzungssaal rufen: „Wenn einer die Adresse des Generals Bonaparte weiß, so ist er gebeten, zu ihm zu gehen und ihm zu sagen, man erwarte ihn im Komitee.“129

Zutreffend an der Erzählung ist, dass beide Seiten, die an den Ereignissen des 13. Vendémiaire beteiligt sind, stark improvisieren. Die Konventsmehrheit sieht den royalistischen Aufstand kommen und ist entschlossen, ihn niederzuschlagen. Aber wer soll das tun? Barras hat zwar als Soldat Erfahrung, aber die liegt lange zurück. Er braucht einen Exekutor. In Paris halten sich einige hohe Offiziere auf, darunter der beschäftigungslose General Bonaparte. Barras hat Napoleon während der Belagerung von Toulon beobachtet und ist ihm in Paris mehrfach begegnet. Der Gedanke, den Artillerieexperten zu reaktivieren, ist naheliegend. Dass der General gar kein General mehr ist – man hat Napoleon am 15. September wegen Nichtbefolgung des Stellungsbefehls aus der entsprechenden Liste gestrichen –, spielt keine Rolle. Barras macht Napoleon de facto zu seinem Stellvertreter und dieser tritt sofort in Aktion. In den frühen Morgenstunden des 13. Vendémiaire schickt er den Kavalleriehauptmann Murat, Mitglied der „Boygroup“ von Toulon, ins Lager Les Sablons. Murat requiriert die dort gelagerten Geschütze und bringt sie in die Stadt. Das schnelle Handeln ist entscheidend. Noch eine wichtige Maßnahme geht auf Napoleons Konto. Er überzeugt Barras davon, dass mit scharfer Munition geschossen wird und nicht, wie vom Sicherheitskomitee gewollt, mit Platzmunition. Zahlenmäßig sind die Aufständischen, die 30 000 Nationalgardisten hinter sich haben, den 5000 Mann der Armee des Innern deutlich überlegen. Doch den Ausschlag gibt die Artillerie, und über die verfügt dank des zupackenden Handelns von Napoleon und Murat die Armee. Die schlecht geführten Aufständischen lassen ihre Kolonnen kompakt in Richtung Tuilerien marschieren, was ein schwerer Fehler ist, denn dadurch werden sie zum idealen Kanonenfutter. Der Kampf endet, als die Konventstruppen das Viertel um die Kirche Saint-Roch in der rue Saint-Honoré, in dem sich der Hauptteil der Insurgenten verschanzt hat, in die Hand bekommen. Die Aufständischen haben rund 300 Tote zu beklagen, die Sieger ein halbes Dutzend.

Warum lässt sich Napoleon am 13. Vendémiaire mit Barras ein? Die Antwort ist einfach: Er hat keine Alternative. Die Königlichen sind für ihn tabu, und wenn er seine ins Stocken geratene Karriere wieder in Schwung bringen will, kann er sich auch nicht heraushalten. Natürlich steht er jetzt als Parteimann der Linken da. Aber dieses Etikett hatte er schon vorher. Im Konvent wird er als Retter der Republik gefeiert. Er ist der Held des Tages und etlicher Sorgen ledig. Als Générale vendémiaire muss er nicht fürchten, in die Vendée abgeschoben zu werden, er muss sein Glück auch nicht beim Sultan suchen. Ende Oktober wird er zum Divisionsgeneral ernannt, ein paar Wochen später übernimmt er als Nachfolger von Barras das Kommando über die Armee des Innern. Damit ist er Pariser Stadtkommandant. Sein Sold erhöht sich auf 48 000 Franken, er bewohnt jetzt ein Hôtel, einen Stadtpalast, und hat eine Dienstloge in der Oper. Vorbei sind die Zeiten, da er in verschlissener Kleidung durch die Straßen der Hauptstadt irrte und sich keine Handschuhe leisten konnte.

Mit den Vergünstigungen wird eine sehr politische Funktion honoriert. Die Armee des Innern ist für die Sicherheit in Paris zuständig. Napoleon reorganisiert die Polizei, er schließt die politischen Klubs, die Direktoren bekommen militärischen Begleitschutz. Als „Law-and-order-General“ hat er auch dafür zu sorgen, dass es in den stets zum Aufruhr bereiten Arbeitervierteln ruhig bleibt. Eines Tages zieht er zusammen mit einer Handvoll Stabsoffizieren durch die Stadt und ist plötzlich umringt von wütenden Protestlern. Eine Frau schreit, die Uniformierten würden immer fetter, während das Volk hungers sterbe. Der junge General, der bekanntlich äußerst mager ist, antwortet schlagfertig: „Meine Gute, sehen Sie mich genau an, wer von uns beiden ist fetter?“130

Um diese Zeit macht Napoleon die Bekanntschaft von Joséphine de Beauharnais,* einer Vedette der Nach-Thermidor-Gesellschaft. Die Mutter zweier Kinder, Witwe eines kurz vor dem Ende Robespierres hingerichteten Generals, ist durch viele Hände gegangen, auch mit Barras hatte sie eine Liaison. Über die Anbahnung mit Napoleon erzählt Las Cases im Mémorial de Sainte-Hélène eine rührende Geschichte: „Eines Tages stellte sich im Generalstab ein junger Mann von zehn oder zwölf Jahren vor, der den kommandieren General bedrängte, ihm den Degen seines Vaters herauszugeben, der General der Republik gewesen war.** Dieser junge Mann war Eugène de Beauharnais, der spätere Vize-König von Italien. Napoleon, der von der Art der Bitte und der Anmut des Jungen angetan war, erfüllte seinen Wunsch. Eugène brach in Tränen aus, als er den Degen des Vaters erblickte. Das rührte den General sehr und er erwies dem Jungen so viel Wohlwollen, dass Madame de Beauharnais ihn am nächsten Tag aufsuchte, um sich zu bedanken. Napoleon beeilte sich, ihren Besuch zu erwidern.“131

Ob die schöne Anekdote stimmt oder nicht: Napoleon und Joséphine werden ein Paar und bleiben es, bis sich Napoleon – aus Staatsräson und mit großen Skrupeln – 1809 von ihr trennt. Es ist eine Mischung aus Berechnung und Zuneigung, die die beiden zusammenführt. Joséphine ist keine makellose Schönheit, aber von verführerischem Reiz. Ihre schlechten Zähne weiß sie zu verbergen. Allseits gerühmt wird ihre durch einen kostspieligen Geschmack gesteigerte natürliche Eleganz. An Liebeserfahrung ist die um sechs Jahre Ältere ihrem Partner weit voraus. Napoleon verfällt ihr regelrecht, er ist eifersüchtig und schreibt ihr liebestolle Briefe. Sie ist entzückt. „Mein Freund liebt mich nicht, er betet mich an, und ich glaube, dass er noch verrückt werden wird“, entdeckt sie wonnevoll ihrer Intimfreundin, Madame Tallien.132 Joséphine ist keine Intellektuelle, aber was macht das schon bei so viel Anmut? Niemand sei so brillant ohne Esprit zurechtgekommen wie sie, lautet ein auf sie gemünztes Bonmot Talleyrands.133 Lavalette, Napoleons späterer Postminister, meint dasselbe, drückt es nur nicht so hübsch aus. „Sie hatte einen nicht besonders weitgespannten Horizont und war ziemlich ungebildet. Aber sie besaß ein gutes Urteil, Scharfsinn, ein sicheres Auftreten in Gesellschaft, eine unnachahmliche Anmut, und die kreolische Sprechweise verlieh ihrer Konversation viel Charme.“134

Bei Joséphine kann von Liebestollheit nicht die Rede sein. Die 33-jährige Frau hat zwei Kinder zu versorgen, und da sie ständig Schulden macht, braucht sie finanziellen Beistand. Ihr Auge fällt auf den jungen Korsen, dem man eine große Zukunft voraussagt. Seinerseits ist auch Napoleon nicht frei von Berechnung. Joséphine kennt in der halbseidenen Gesellschaft, die aus dem Jammertal der Tugendzeit emporgestiegen ist und nun den Lohn ihrer Angst einfordert, jeden, der über Einfluss verfügt. Napoleon hat diese Netzwerke nicht, er kann von ihr eine Menge lernen. Am 9. März 1796 geben die beiden im Rathaus des 2. Pariser Arrondissements einander das Jawort. Die zivile Handlung verläuft chaotisch. Napoleon erscheint zu spät. Der Standesbeamte hat die Mairie schon verlassen. Ein Ersatzmann muss herbeizitiert werden, ein Beamter der Direktoratsverwaltung. Bei der Beurkundung macht sich der Bräutigam um 18 Monate älter, die Braut um vier Jahre jünger. Es ist eine Trauung, bei der „alles so lügenhaft und illegal war, dass man sie heute rechtlich für null und nichtig ansehen würde“, urteilt der Historiker Patrice Gueniffey.135 Die Trauzeugen ficht das nicht an. Es sind zwei politische Schwergewichte, Barras und Tallien.

Napoleon

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