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Die Bonapartes
ОглавлениеDreizehn Kinder haben Carlo und Letizia Bonaparte, acht überleben, von ihnen ist Napoleon der Zweitgeborene. Der ältere Bruder Guiseppe kommt 1768 zur Welt. Später, nach der Flucht der Familie aus Korsika, werden die Kindernamen französisiert. Aus Guiseppe wird Joseph, Luciano wird zu Lucien, Maria-Anna zu Elisa, Maria-Paola zu Pauline, Maria-Annunciata zu Caroline, Gerolamo zu Jerôme, nur Louis bleibt Louis, und Napoleon bleibt Napoleon. Wo sind die Wurzeln der Bonapartes? Als Napoleon Kaiser geworden ist, versuchen fromme Geister, den Stammbaum des Emporkömmlings künstlich zu veredeln. Kaiser Franz von Österreich, durch Napoleons zweite Heirat sein Schwiegervater, lässt in Archiven fahnden, ob sich für den unebenbürtigen Schwiegersohn nicht doch eine noble Herkunft finde. Die Rechercheure graben einen angeblichen Bonaparte aus und behaupten, dieser habe im 11. Jahrhundert in Treviso gelebt. Napoleon weist diesen und ähnliche Versuche im Staatsanzeiger Moniteur lässig zurück: „Auf alle Fragen, von wann das Haus Bonaparte datiert, ist die Antwort sehr leicht: vom 18. Brumaire.* Wie kann man so wenig Takt und Gefühl für das haben, was man dem Kaiser schuldet, um der Frage Bedeutung zu geben, wer seine Vorfahren waren?“10 Die Vorfahren kommen wohl wirklich aus Italien, und zwar aus dem Ort Sarzana, der zwischen Ligurien und der Toskana liegt. Ein Giovanni Buonaparte siedelt 1529 aus unbekannten Gründen nach Korsika über, wo die Familie die folgenden Jahrhunderte über ansässig bleibt. Joseph, der Familiengeschichte zu seinem Steckenpferd macht, insistiert, die Bonapartes seien „eine der ältesten Familien Europas“. Sie gingen zurück auf einen Ghibellinen, der 1120 wegen seiner Anhänglichkeit an das staufische Kaiserhaus aus Florenz habe fliehen müssen.11 Lässt man den Ghibellinen beiseite, spricht wirklich viel für die Herkunftsregion Toskana. Die korsischen Bonapartes lassen die Verbindung mit dem italienischen Festland nie abreißen. Man ist des Italienischen mächtig, die Söhne werden zum Studieren über das Tyrrhenische Meer geschickt. Carlo Bonaparte studiert Jura an der Universität von Pisa, Joseph, sein Ältester, tut es ihm nach. Von sich sagt Napoleon: „Ich bin eher Italiener oder Toskane als Korse.“12
Die Mutter Letizia Ramolino Bonaparte, Gemälde (um 1804) von François Pascal Simon Gérard.
Carlo und Letizia heiraten 1764. Napoleons Mutter, eine geborene Ramolino, zählt zum Zeitpunkt der Hochzeit 15 Jahre. Die Ehe ist arrangiert. Wie die Bonapartes gehören die Ramolinos zu den führenden Familien von Ajaccio. Letizias Vater ist Stadtkommandant des damals etwa 4000 Einwohner zählenden Ortes, Carlos Vater Mitglied des Stadtrats. Die Ramolinos mögen hoffen, aus dem jungen Bonaparte werde einmal ein angesehener Rechtsanwalt werden. Für die Bonapartes ist die stattliche Mitgift von 175 000 Franken, die das Ramolino-Mädchen mit in die Ehe einbringt, ein starkes Argument. Und da Letizia eine Schönheit zu werden verspricht, ist die Partie noch besser. Carlo wird als selbstbewusster Jüngling geschildert. Er legt Wert auf Kleidung, ist belesen, beredt und unternehmungslustig. Unglücklicherweise sind nicht alle seine Unternehmungen solide geplant. Die Familie wird bald ein Lied davon singen können.
Im Jahr nach der Heirat beschießt Carlo Bonaparte, sein Glück in der Politik zu suchen. Pasquale Paoli ist damals die Führungsfigur in Korsika. Carlo dient sich ihm als Gefolgsmann an. Die inneren Verhältnisse Korsikas liegen kompliziert. Die viertgrößte Insel des Mittelmeers ist ein kontrastreiches Eiland, dessen topografische Beschaffenheit die Herausbildung von Gemeinsinn erschwert. Korsika besteht zu fast 90 Prozent aus Bergland, im Westen dominiert das Hochgebirge mit immerhin gut 50 Zweitausendern und entsprechend engen, schwer zugänglichen Tälern. Flachland existiert praktisch nur im Osten in Gestalt eines schmalen Küstenstreifens. Es liegt auf der Hand, dass die Küstenbewohner sich in Interesse und Lebensart von der Bevölkerung des Landesinneren unterschieden. Eine große Rolle spielt auf der Insel die Vendetta, eine auf schroffen Ehrbegriffen beruhende und in der Ausübung gnadenlose Form der Selbstjustiz. Prosper Mérimée hat sie in Matteo Falcone anschaulich beschrieben. Dem französischen Diplomaten Miot de Melito, der 1796 als Bevollmächtigter seiner Regierung die Insel besucht, kommt Korsika kaum regierbar vor. Nach Paris meldet er: „Die Menschen haben eine lebhafte Fantasie und sind außerordentlich leidenschaftlich.“13