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Die Talente meines Vaters

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Pferde waren die Leidenschaft meines Vaters. Er hatte sie ganz lieb und verachtete die Bauern, die diese Tiere schlecht behandelten. Manchmal lieh er sein „Ross“ anderen Bauern, die kein Pferd hatten. Das war doch kein billiges Tier, und nicht jeder Landwirt konnte sich solche Ausgabe leisten, besonders wenn er nur einen kleinen Acker besaß. Wenn mein Vater schon sein Pferd zur Feldarbeit lieh, so musste er sich sicher sein, dass es nicht ausgebeutet wurde. Er konnte sich dessen jedoch nie hundertprozentig sicher sein, weil er den Bauern nicht auf die Hände schaute. Daraufhin fiel das arme Tier oft dem „Ausborgen“ zum Opfer. Es wurde von Hand zu Hand verliehen. Niemand schonte ihn dann. Es passierte einmal, dass Tadeusz, der Nachbar, das Pferd ausborgte und es entgegen früheren Vereinbarungen zu hart arbeiten ließ. Der Vater erteilte ihm einen scharfen Tadel, und das Pferd lieh er ihm schon nie mehr aus. Das Tier schäumte kräftig und brauchte eine lange Zeit, um überhaupt zu sich zu kommen nach der Knochenarbeit, die es ausführen musste. Nach einigen Erfahrungen dieser Art entschloss sich mein Vater, das Pferd nie mehr auszuborgen. Wenn jemand ihn darum bat, antwortete er, dass die Frau und das Pferd nicht zum Ausleihen sind. So ließ er die Bittenden mit leeren Händen abziehen.

Stachu, der in unserem Dorf wohnte, war oft betrunken, und in diesem Zustand quälte er sein Pferd gnadenlos, und das Tier wollte sich ihm total unterwerfen. Wenn er besoffen war, dressierte und folterte er das Tier mit verschiedenen Übungen. Kein Wunder, dass sich ihm das Pferd in solchen Fällen oft entriss und ins Dorf floh, um Rettung für sich zu suchen. Wenn man den schweren, gleichmäßigen Hufschlag und die schrecklichen Schreie der Mutter hörte, die ihre Kinder aus dem Weg in Sicherheit brachte, wusste man, dass Stachu wieder „voll“ war, und dass es sein Ross war, das hart geschlagen und heftig erschrocken wie eine Rakete über die Dorfstraße raste. Er suchte verzweifelt nach dem Schutz vor seinem Folterer – und er fand ihn fast immer auf unserem Hof, bei meinem Vater, der wie ein Retter und Heilsbringer aller Pferde war. In seinen Armen konnte das Tier eine Zuflucht finden und sich über sein bedauerliches Schicksal beschweren. Mein Vater streichelte ihn, tröstete mit saftigen Worten und beruhigte das gequälte und noch zitternde Geschöpf. Plötzlich kam der wütende Stachu, um seinen Besitz zurückzuholen. Der Vater tadelte ihn scharf, nannte ihn ein Metzger und verbot kategorisch das Tier so zu quälen. Stachu schwor sich, das Pferd fortan immer gut zu behandeln. Und es gelang ihm – aber natürlich nur bis zum nächsten Mal, wenn er besoffen war. Mein Vater wusste allzu gut, dass er keine Macht hatte, die Welt zu verändern und die Not des gefolterten Pferdes zu lindern. Er beklagte aber ein Schicksal der Pferde, die zu ihrem Unglück in die Hände von herzlosen Menschen gerieten.

In der Frühlingszeit spielten sich auf dem Feld folgende Szenen ab: Ein Pferd mit wutentbranntem Kopf stand auf zwei Beinen. Um das Pferd herum lief ein hilfloser Bauer, der das Tier mit vielen schrecklichen Beschimpfungen überhäufte. Er versuchte, das Tier lange mit Zuckerbrot und Peitsche zum Gehorsam bei der Feldarbeit zu bringen. Der Landwirt schlug sich mit dem Tier herum. Es sah so aus, als ob sie einen Volkstanz geübt hätten. Jedoch starrte das Tier seinen Besitzer mit seinen großen, hervorstehenden Sehern hasserfüllt an, und jegliche Kompromissversuche des Bauers waren zum Scheitern verurteilt.

Ich fragte den Vater, warum es so aussah. Er erklärte, dass die Pferde im Winter nichts zu tun haben. Sie faulenzen, nehmen zu und werden immer kräftiger. Sie empfinden es daher als ein großes Unrecht, wenn der Bauer plötzlich von ihnen verlangt, dass sie ihr Hinterteil bewegen und einsatzbereit stehen. Im Herbst, wenn sie schon ans Joch gewöhnt sind, laufen sie so zahm wie ein Lamm, und kein Pferd wagt es, sich aufzulehnen.

Mein Vater war ein agiler und tüchtiger Typ, der mit vielen Begabungen gesegnet war. Wie vielen anderen Menschen seiner Art war es jedoch nicht wichtig, diese Talente zu entwickeln. Bestimmt war er der Meinung, dass harte Arbeit die einzige Tugend war, die den Menschen zu den erwünschten Zielen führen konnte. Er war ein einfacher, bodenständiger und sachlicher Mann. Manchmal war diese Bodenständigkeit auch etwas übertrieben. Er kannte sich mit den Pferden sehr gut aus. Wäre er in der Lage gewesen, seine innige Verbundenheit zum Boden aufzugeben, so hätte sein Leben, und auch das Leben unserer Familie einen ganz anderen Lauf nehmen können.

Einmal in den sechziger Jahren kaufte mein Vater ein Pferd. Auf dem ersten Blick sah es ganz mager und schwach aus. Nichts deutete darauf hin, dass er das Geld zurückbekommen würde, das er in das Tier investiert hatte. Nach zwei Wochen verkaufte er das besser gefütterte Tier und verdiente daran unter dem Strich 2000 Zloty (die polnische Währung). Wer konnte zu diesen Zeiten als ein Facharbeiter in einem staatlichen Betrieb oder auch privat in einem Monat solch ein Vermögen verdienen? Schon die Hälfte davon zu verdienen war eine beachtliche Leistung. Er schaffte das und zwar nur dafür, dass er das magere Pferd zwei Wochen lang fütterte.

Ein Tier, das am Anfang bis zum Gerippe abgemagert war, verwandelte sich über Nacht in ein prächtiges Pferd. Mein Vater musste das vorhersehen, weil er kein risikofreudgier Typ war. Ich ertappte ihn nie bei Glücksspielen. Wenn man solch ein Geschäft nur zweimal im Monat abwickelte, so konnte man sich zu diesen Zeiten richtig schonen, musste sich keine Sorgen darüber machen, ob man die Familie ernähren konnte. Man musste sich gar nicht bemühen über die Runden zu kommen. Das „Bauchgefühl“ für Pferde war die größte, aber nicht die einzige Begabung meines Vaters. Das Leben strafte ihn dafür, dass er dieses Talent nicht entwickelte. Unnötigerweise versuchte er, viele Tätigkeiten im Leben unter einen Hut zu bringen. Er setzte auf körperliche Arbeit und vernachlässigte somit seine echten Vorzüge – die Fähigkeit, logisch und analytisch zu denken. Daraufhin erkrankte er schwer und starb im Alter von 54 Jahren. Die Natur bestrafte ihn dafür, dass er die ihm von Gott geschenkten Gaben nicht zur Anwendung brachte. So etwas kann mit jedem Mensch passieren, der seine Talente vergräbt. Was hatte er davon, dass er seinen Prinzipien treu blieb, wenn er zugleich versäumte, die Talente, d. h. die Gaben Gottes so zu entwickeln, dass sie ihm zu einem wohlhabenden Leben verhelfen konnten. Er war sich einer der wichtigsten Sachen unter der Sonne nicht bewusst – und zwar, dass Gott die größte Freude erlebt, wenn sich der Mensch von Ihm beschenken lässt. Er war einer von Vielen, denen diese Weisheit nicht bekannt war, und die die Prinzipien, nach denen unser Geist und die Seele funktionieren, nicht kannten. Auch ich wusste es lange nicht. Kein Wunder also, dass mein Vater solche Fehler beging. Ähnliches gilt für die meisten Bewohner dieser Erde. Leider rächt sich die Natur gnadenlos dafür. Es mag noch eine Ursache geben, warum mein Vater kein großes Geschäft mit den Pferden entwickelte. Er lebte zu den düsteren Zeiten des Kommunismus in Polen. Hätte er seine Karriere in diesem Bereich entwickelt, so hätte er dadurch die Aufmerksamkeit der Behörden auf sich gelenkt und wäre als Kulak eingestuft worden (Als Kulaken wurden in den Ländern des Ostblocks die wohlhabenden Bauer bezeichnet, die nach Meinung der kommunistischen Behörden dem geltenden politischen System abgeneigt waren. Daraufhin wurden diese Menschen verschiedenen Repressalien ausgesetzt). Er wäre dadurch in eine schwierige Lage geraten. Allerdings verbesserte sich die Situation in den siebziger Jahren, und Edward Gierek, der regierende Erste Sekretär, gab den Menschen mehr Spielraum, derartige Tätigkeiten auszuführen, aber ich weiß nicht, ob mein Vater das überhaupt wusste. Daher ist es wichtig, sich stets weiterzubilden und mit den Grundlagen des Rechts vertraut zu sein.

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