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Erste Vergiftung mit Alkohol

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Als ich zum ersten Mal eine Alkoholvergiftung erlitt, war ich sechzehn. Das passierte im Herbst 1977, als ich an Allerheiligen von der Schule zurück nach Hause kam. Ich besuchte die Schule in Gliwice, und dort wohnte ich auch in dem Internat.

Andrzej, mein Schulkamerad aus dem gleichen Dorf, mit dem ich auch zusammen nach Hause reiste, schlug vor, zwei Flaschen Wein zu kaufen. Unterwegs verhielten wir uns noch bedenkenlos, weil wir uns dafür entschieden hatten, den Alkohol erst dann zu trinken, wenn wir in unser Heimatdorf eintrafen. Der Zug von Gliwice nach Radom kam etwas nach Mitternacht an. So spät gab es keine Busverbindungen. Wir wollten nicht die ganze Nacht in der Wartehalle des Bahnhofs verbringen. Daher entschlossen wir uns, per Anhalter zu fahren. Als wir aus dem LKW ausstiegen, waren wir schon in der Nähe von unseren Häusern. Wir setzten uns am Straßenrand hin, hinter dem Graben, verborgen in dem dunklen Wald. Wir könnten uns diese gemeinsam verbrachte Zeit nun mit dem Alkohol noch angenehmer machen.

Wir saßen auf dem weichen Gras und fingen an, uns zu unterhalten und den Wein zu trinken – jeder aus seiner Flasche, weil wir keine Gläser hatten. Als Happen gab es Rosinenkekse. Beide stellten wir fest, dass die Nacht unglaublich warm war, angesichts der Tatsache, dass sich der Oktober schon dem Ende neigte. Daher erlaubten wir uns, die Schönheit unserer Heimatsgegend unbeschwert zu genießen. Wir hatten es nirgendwo eilig und konnten uns bei einer Flasche Wein gut unterhalten, die Seele erfreuen und den Schulstress loswerden. Es war sehr angenehm, so zu sitzen und die frische Luft des Waldes zu atmen. Wir führten viele interessante Gespräche, bewunderten die Schönheit der Gegend unserer Kindheit. Immer wieder setzten wir die Flasche mit dem stinkenden Wein an die Lippen, die etwas wie Plörre schmeckte. Es handelte sich um einen billigen Apfelwein mit hohem Säuregehalt, welcher zu kommunistischen Zeiten in Polen überall erhältlich war.

Andrzej beschwerte sich darüber, dass es seinem Vater gesundheitlich immer schlechter ging und seine Tage schon gezählt waren. Ich hatte Mitleid mit ihm ohne zu wissen, dass meinem eigenen Vater ein ähnliches Schicksal kurze Zeit später bevorstehen würde. Wir wussten nicht, dass wir beiden drei Monate später keinen Vater mehr haben würden.

Andrzej leerte seine Flasche Wein mühelos. Ich wollte ihm in nichts nachstehen und ließ die übrig gebliebene giftige Flüssigkeit schon etwas gleichgültig durch meinen Körper fließen, der an derartige Substanzen gar nicht gewöhnt war. Unter meinen Kollegen herrschte die Überzeugung, dass jener, der wenig trank, ein Weichling war. Ich wollte kein Weichling sein, sondern ein echter Mann. Mit dem Leertrinken einer Flasche Wein wollte ich beweisen, dass ich es war. Als die Flaschen schon leer gewesen waren, erhoben wir uns und wollten nach Hause gehen. Kaum standen wir auf, stürzte ich aber nach hinten und merkte, dass ich die Beine über dem Kopf hatte. Ich fiel noch ein paar Mal um. Endlich fing ich mit der Unterstützung meines Kollegen an, mühsam und schwankend nach vorne zu torkeln.

Als ich endlich wunderbarerweise mein Zuhause erreichte, begrüßte ich meine Eltern wortkarg und verbrachte viele Stunden in der Diele. Mir war sehr unwohl, und ich übergab mich immer wieder in den Eimer. Ich schämte mich unglaublich vor meinen Eltern für mein schändliches Verhalten, aber ich wusste gar nicht, wie ich mich bei ihnen rechtfertigen sollte. Ich versagte auf der ganzen Linie. Am liebsten wäre ich vor Scham im Boden versunken. Meine Eltern schätzten mich hoch und waren stolz auf mich. Mein Vater hielt mich für einen sehr großherzigen jungen Mann, und jetzt wurde er so enttäuscht. Ich hörte die Eltern hinter der Wand leise über mich sprechen. Mein Zustand verbesserte sich gar nicht. Ich weiß nicht, wie es mir gelang mich endlich ins Bett zu schleppen.

Am nächsten Tag sprachen die Eltern das Thema meiner Alkoholvergiftung gar nicht an. Sie spürten wohl, wie betrübt ich wegen meines Unfugs war. Auch ich wollte das Thema nicht erwähnen. Ich entschuldigte mich bei ihnen gar nicht dafür. Ich wollte überhaupt nicht, dass dieses Thema aufgegriffen wurde. Das war bloß das erste Mal, dass ich betrunken nach Hause kam, und ich würde nicht verstehen, warum man davon viel Aufheben machen sollte. Und dazu verletzte ich niemanden, nur mich selbst. Nur ich war es, der sich schrecklich fühlte. Erst nach zwei Tagen kam ich endlich zu mir.

Diese Erfahrung war mir zwar sehr peinlich, brachte mich aber nicht zur Vernunft, und ich ließ mich dadurch nicht vom Alkohol abschrecken. Er hatte eine geheimnisvolle Anziehungskraft, auch wenn er stank, Schaden anrichtete und mir riesige Probleme bereitete. Ich vergab ihm immer und lud ihn wieder ein, in Körper und Psyche Gast zu sein. Es gibt wahrscheinlich keinen größeren Feind auf der Welt, der gleichzeitig so beliebt ist, wie Alkohol.

Zum ersten Mal griff ich zum Alkohol, als ich fünfzehn war, also ein Jahr früher. Mit meinen Schulkollegen tranken wir im Sommer einen relativ hochwertigen Fruchtwein. Ich trank vielleicht ca. 300 ml. Etwas später, d. h. zum Erntefest, gab mir mein Vater symbolisch ein Glas Wein. Das war dann für mich eine große Auszeichnung. Drei Monate vor meiner ersten Alkoholvergiftung war ich mit meinem älteren Bruder Edward zu Gast auf der dörflichen Hochzeit. Dann kam ich mit alkoholischen Getränken auch ganz gut klar. Ich trank ein Dutzend Gläser Schnaps, und es war mir ganz angenehm. Ich fühlte mich fast wie ein erwachsener Mann und kam glimpflich davon. Den Schnaps trank ich ohne Eile und nahm über die ganze Hochzeit hinweg verschiedene Happen dazu.

Zu diesem pechvollen Abend mit meinem Schulkollegen trank ich eine Flasche stinkenden Zeugs ganz schnell aus, was tatsächlich katastrophale Folgen haben konnte. Zu diesem Zeitpunkt in meinem Leben trank ich ganz selten. Der Alkohol war aber sehr geduldig, clever und schlau wie ein Fuchs. Er eroberte mich ganz langsam in kleinen Schritten. Und ich hatte gar keine Ahnung, mit wem ich es zu tun hatte und wie folgenschwer diese „Freundschaft“ sein konnte. Der Alkoholkonsum war zu diesen Zeiten nichts Verwerfliches, aber die Leute, die ihm zum Opfer fielen, waren der Gegenstand der Verachtung. Man hielt sie für Weichlinge, die nicht trinkfest waren. So war damals unsere polnische Mentalität.

Auf diese Art und Weise schlug ich leichtsinnig den Weg ein, von dem es kein Zurück mehr gab. Es kam mich damals gar nicht in den Sinn, dass ich irgendwann ein Problem mit Alkoholkonsum haben konnte. Andrzej, ich und alle unseren Kollegen waren der Meinung, dass die Trinker, Säufer und Schluckspechte einfach Lausbuben oder Penner waren. Niemand von uns kam auf die Idee, dass gerade dieses „harmlose Trinken“, das wir praktizierten, diese Kerle in ihren elenden Zustand brachte. Höchstwahrscheinlich dachten diese Unglücksmenschen ganz ähnlich, wenn sie zum ersten Mal die Flaschen an die Lippen setzten. Auch sie glaubten, dass sie mit der Alkoholsucht nichts zu tun hatten, weil sie keine Absicht hatten, sich vom Alkohol abhängig machen zu lassen. Es gibt noch einen wichtigen Faktor, und zwar die Sehnsucht nach dem Gemeinschaftsgefühl. Kaum ein junger Mensch denkt, wenn er anfängt zum Alkohol zu greifen, darüber nach – dass er gerade wegen dieser Sehnsucht dem Alkohol zum Opfer fallen und zum gesellschaftlichen Außenseiter, zum Penner auf der Parkbank, zum Schluckspecht oder unglücklichen Obdachlosen, zum verachteten und ungewollten Abschaum werden kann. Wer rechnet überhaupt damit?

Wenn ein junger Mensch, ehe er zum ersten Mal zum Alkohol greift, überlegen würde, wenn er zunächst darüber nachdenken würde, mit wem er zu tun hat und ob es sich tatsächlich lohnt, diesen größten Dieb und Lügner in den Mund zu nehmen… Wenn er sich das Unglück und Elend anschauen würde, welches die Menschen durch Alkohol erleben, sowie die Schäden, die sich die Leute durch übermäßigen Konsum selbst zufügen! Wenn er sich so reiflich überlegen würde, so würde dieser Giftstoff bestimmt nicht zu seinem Leben durchdringen und es nicht „besudeln“. So würde ihm dadurch ein bedauerliches Schicksal erspart, das man nicht mal seinem Erzfeind wünscht.

Durch die Hölle in die Freiheit

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