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Für Glauben eintreten

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Onkel Stasiek, ein Bruder meiner Mutter, fiel der Evangelisation der Zeugen Jehovas zum Opfer, die vom Haus zu Haus liefen und versuchten, Schafe zu finden, die sie mit ihrer „heilsamen“ Ideologie anstecken konnten. Infolgedessen fing der Onkel an, an der Botschaft des katholischen Glaubens zu zweifeln. Die Familie geriet in Panik.

Der erwähnte Onkel Władek war ein starrköpfiger, konservativ gesinnter Typ. Auf alles, was nicht katholisch war, reagierte er allergisch. Eines Tages kam eine fromme, vergeistigte Gruppe von „Verkündern der Wahrheit“ vorbei. Sie entschieden sich dafür, den Hof von Onkel Władek zu betreten. Ohne das Terrain zu erkunden, liefen sie unbedacht an die Tür. Plötzlich fingen sie an, den Onkel zu evangelisieren. Sie begingen dadurch einen schlimmen Fehler: Sie wussten nicht, dass sie auf dünnem Eis wandelten und mit wem sie es eigentlich zu tun hatten. Der Onkel fragte sie misstrauisch, wer sie waren. Als sie zugaben, dass sie die Zeugen Jehovas waren, blieb er kurz wie angewurzelt stehen. Dann errötete er vor Zorn. Er wusste allzu gut, was sie seinem Schwager Stasiek angetan hatten. Sein Gesicht wurde purpurfarbig. Aus seinen breit geöffneten Nüstern quollen die Dampfwolken wie bei den isländischen Geysiren. Er sprang zu dem Brunnen, nahm einen Stock in die Hand, mit dem man den Wassereimer aus der Tiefe zieht und stürmte gewaltig wie ein verletzter Keiler auf die Propheten des Armageddon ein. Er schrie, heulte und zischte kämpferisch. Seine Augen flammten vor Zorn und Wahnsinn der Rache an den Feinden des Glaubens.

Auf die drei „Heilprediger“ verschiedenen Alters und Geschlechts kam „das Tausendjährige Königreich“ im Augenblick ganz nahe zu. Ein klares Zeichen dafür war, dass ihre Körper plötzlich viel jünger wurden. Sie hauten wie geübte Läufer ab. Sie brachen alle möglichen olympischen Rekorde im Hürdenlauf über 60 Meter – so lange jagte ihnen der empörte Onkel Władek hinterher. Er überhäufte sie mit heftigen Beschimpfungen schwersten Kalibers. Dann passierte das nächste Wunder. Den Flüchtenden zeigte sich ein Fluchtweg durch eine kleine Pforte in dem Zaum – so etwas wie ein „Nadelöhr“ in Jerusalem. Drei „Kandidaten für die Erlösung“ stießen aufeinander und versperrten sich so den Ausgang. Wenn sie schon einen kalten Hauch des Todes an ihren Rücken spürten, gelang es ihnen wunderbarerweise, sich durch die Pforte durchzudringen. Wenn sie schon draußen waren und etwas Luft aufatmen konnten, flohen sie fort, aber diesmal nicht mehr in einem Geist vereint. Jeder begab sich in eine andere Richtung. Sie waren nun schmählich zersplittert.

Die Abtrünnigen ließen dadurch den Onkel in seiner Verfolgung verwirrt stehen und darüber nachdenken, in welche Richtung er nun laufen sollte. Er gab nach, und die Fremden blieben somit verschont.

Um den Onkel Stasiek zu retten, entschloss sich die Familie, einen Aktionsplan zu schmieden. Als ein allzu radikaler Typ wurde Onkel Władek dazu nicht zugelassen. Mein Vater leitete die ganze Bekehrungsmission und führte sie meisterhaft und – zu guter Letzt – ohne Blutvergießen durch. An dem Plan waren noch meine Mutter und die Frau von Stasiek beteiligt. Ich war auch dabei, nur um alles mit großem Interesse zu beobachten.

Vielleicht um dem Onkel die Scham zu ersparen, fing mein Vater vorsichtig an, über die katholischen Werte zu erzählen. Er betonte die wichtige Rolle, die sie für den Zusammenhalt und die Moral der Familie spielten. Er gab dem Onkel ausdrücklich zu verstehen, dass sich unsere Vorfahren kein Leben außerhalb des katholischen Glaubens vorstellen konnten. Dann wurde sein Ton etwas schärfer. Er fing an, Stasiek heftig zu kritisieren und hackte dauernd auf ihm herum. Er warf ihm sogar den Verrat vor. Er fragte ihn, wieso er wagte, so etwas anzustellen, zu einem schwarzen Schafe zu werden und der Familie solch eine Schande zu bereiten. Endlich ließ er den Onkel sich vor Gott demütigen, und vor den heiligen Bildern knien, die er auf Verlagen der Sekte nach dem Eintritt mit Füßen treten sollte. Der Onkel kniete ganz lange und überlegte sich alles reiflich. Er versuchte sich mit seinem Gewissen und der katholischen Kirche neu zu arrangieren. Danach versöhnte er sich endgültig mit Gott. Niemand störte sich daran. Nur die Tante und die Mutter weinten vor Glück. Der Vater strahlte vor einer unausgesprochenen Freude, dass es ihm gelang, die Mission Gottes erfolgreich zu vollbringen.

Nach der Bekehrung des Onkels Stasiek versuchte diese aggressive Sekte ihn erneut anzuwerben. Sie stießen jedoch auf den harten Widerstand der Tante und des Onkels Stasiek selbst, der in der katholischen Kirche bleiben wollte. Sie gaben ungern nach, aber ihre Versuche scheiterten, und letztendlich hörten sie mit ihren Bemühungen auf. Stasiek wurde gerettet, aber die Zweifel, die die Sekte ihm eintrichterte, lauerten in ihm bis zum Ende des Lebens. Er war nicht in der Lage, sie ein für alle Mal hinter sich zu lassen.

Durch die Hölle in die Freiheit

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