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Karateka

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Ich lernte Romek Anfang 1981 in dem Arbeitshotel der Steinkohlegrube in Katowice, in dem Viertel von Załęże, kennen. Wir teilten uns ein Zimmer. Er beeindruckte mich nachhaltig. Er war ein intelligenter, weltgewandter und kultivierter Mann. Wir befreundeten uns schnell. Er verfügte über umfassendes Wissen zu verschieden Themen, was auch meine Aufmerksamkeit erregte. Ich glaubte, dass es für mich Segen war, einen Menschen wie Romek kennenlernen zu können – einen Segen, welchen ich lange erwartete. Romek war auch ein toller Gesprächspartner. Auf jede Frage ging er noch vollständiger ein, als ich es erwartete. Er redete kein dummes Zeug und log nicht, wie es die anderen Hotelgäste wie üblich taten. Nein. Er war ein freier Redner von höchstem Können. Wir hörten ihn mit großer Begeisterung. Er war ein Fachberater und konnte jede Frage klug beantworten – auch zu einem Thema, zu dem er kaum etwas wusste. Seine Wissenslücken deckte er geschickt mit sehr ausgeklügelter Mimik und Gestik. Er konnte sehr intelligente Gesichtsausdrücke machen. Er machte einen Eindruck eines allwissenden Menschen, der manchmal einfach nicht alles preisgeben mochte. In solchen Momenten gab er zu verstehen, dass er etwas mehr verraten konnte, sobald ihm jemand Wodka spendierte. Er spielte hervorragend Akkordeon, Gitarre und Klavier. Er war einfach die Seele der Gesellschaft. Er beherrschte mehrere Fremdsprachen und war ein ausgezeichneter Karatemeister – er besaß den schwarzen Gürtel, den ersten Dan.

Zu dieser Zeit interessierte ich mich nicht nur für diese japanische Kampfkunst, sondern auch für Geschichte und Philosophie der Samurai. Daher war Romek für mich ein Geschenk des Himmels. Er zeigte mir einige tödlich gefährlichen Tricks dieser japanischen Kampfkunst, die ich zwar nie wieder wiederholte, aber sie blieben mir tief in Erinnerung. Drei Jahre später, bei einem harmlosen Streit auf einer Alkohol-Party, brachte ich mein Gegenüber beinahe um, obwohl er viel stärker als ich war. Er geriet in Panik. Komischerweise hatte ich dann gar keine Ahnung, dass ich die Block-Techniken der Samurai anwandte, als ich mich mit diesem Mann auseinandersetzte. Das war automatisch und unkontrolliert. Dieses unbewusste Handeln verwunderte mich und versetzte mich in Angst und Schrecken. Der Arme setzte sich auf den Kopf und zeigte mit seinen Beinen eine berühmte Geste der Solidarität und zwar das „Victory-Zeichen“. Die Gesellschaft auf der Party war entsetzt. Ich selbst erschrak ein wenig, als ich die Folgen meines Verhaltens sah. Einer der Kollegen, die mit mir dabei waren, sagte zu mir „Was machst du denn, Mann? Du bringst den Kerl um!“ Ich fragte mich mit Entsetzen, wer ich eigentlich war? Warum kam ich mit dieser Situation so gut klar? Wieso konnte sowas passieren? Ich verhielt mich wie ein geübter Kenner der Kampfkunst, und ich war es gar nicht! Das zeigt, welchen Vorsprung eine Person, die etwas über Kampfkunst weiß, (so wenig es sein mag) einer Person gegenüber hat die lediglich starke Muskel hat. Ich ließ Romek meinen Karatetrainer in dem Spartakus Sportverein kennenlernen, wo ich in meiner Freizeit ab und zu trainierte. Romek stellte fest, dass mein Coach in dieser Kampfkunst noch ganz viel zu lernen hatte. Er musste immer wieder seine technischen Fehler korrigieren.

Ich zerbrach mir den Kopf, wieso solch ein begabter und intelligenter Mann wie Romek in irgendeinem Arbeitshotel bei der Kohlegrube pennte? Solch ein kluger und intelligenter Typ wie er war hier sonst kaum zu treffen. Für Romek war es aber gar nicht wichtig, eine Menge von gut ausgebildeten Gesprächspartnern zu finden. Sein Ziel war, eine aufmerksame Zuhörerschaft bei sich zu haben, die ihm für seine Geschichten und Akkordeonspiel ohne Wenn und Aber den Alkohol spendierte. Man konnte davon ausgehen, dass unser neuer Kamerad offensichtlich Probleme mit Alkohol hatte.

Als ich Romek kennenlernte, war er 36, und hatte schon eine ganz interessante Lebensgeschichte hinter sich. Er war schon mal im Knast, lernte hervorragend Kassiber zu sprechen und verkehrte in der uninteressanten Unterwelt. Er pflegte zwar gute Kontakte mit diesem Milieu, aber sie bekamen ihm letzten Endes übel. Allerdings lernte er keine Lektion aus seinen peinlichen Erfahrungen. Er war nicht in der Lage, etwas zu begreifen und zur Vernunft zu kommen. Er wiederholte immer die gleichen Fehler, und seine Alkoholsucht trug dazu wesentlich bei. Sie verschleierte ihm die Wahrnehmung der Realität. Sie ließ zu, dass sich in ihm die Überzeugung verfestigte, dass die Gelegenheit zu trinken allem anderen vorrangig war, welche Folgen auch immer diese Gier mit sich bringen mochte.

Seine Frau verließ ihn und wanderte mit dem Kind nach Dänemark aus. Er träumte zwar von Kanada, blieb aber immer noch in Polen, weil ihn die Alkoholsucht jeder Möglichkeit beraubte, „diesem gemeinen kommunistischen System“ (so nannte er die politische Lage im sozialistischen Polen) zu entkommen. Er ließ kein gutes Haar an der damals in Polen regierenden Elite. Es ging nämlich um die Polnische Vereinigte Arbeiterpartei (pl: PZPR), über die er sich mächtig ärgerte.

Ich erfuhr, dass sich in einer Nacht mitten in der Stadt von Katowice einige Spaßvögel fanden, die den betrunkenen Romek nackt auszogen. Im Adamskostüm musste der arme Kerl ein paar Kilometer zu seinem Hotel laufen. Das war spät im Herbst, und das Wetter war auch nicht günstig. Ich glaube, dass der Rezeptionist schlummern musste, als Romek eintraf, sonst hätte der Portier meinen können, ein Spuk stünde vor ihm, und hätte möglicherweise einen Herzanfall bekommen.

Romek verdankte ich einige Ideen, unter anderen die Sehnsucht dem kommunistischen System zu entkommen, aber im Gegensatz zu ihm brachte ich diese Idee fehlerfrei in Erfüllung. Leider übernahm ich auch einige seiner alkoholbezogenen Phantasien, die mein Leben immer stärker beeinflussten, und zwar nicht in die Richtung, die ich mir gewünscht hätte. Obwohl ich nur ganz kurz in dem Arbeitshotel wohnte, wirkte sich dieser Aufenthalt negativ auf meine junge Persönlichkeit aus. Gerade dort wurde mir Alkohol richtig zum Alltag. Im Hotel wohnten mehrere Menschen in der Art von Romek – vielleicht nicht so intelligent, aber definitiv alkoholsüchtig. Diese Leute waren für mich kein gutes Beispiel. Sie verführten mich und imponierten mir aber mit ihrer Redekunst.

Das Arbeitshotel ist ein echter Fluch, weil man dort die Langeweile mit Alkohol vertreibt. Die Spirituosen sorgen tatsächlich für die schlimmstmögliche Unterhaltung. Gleiches gilt für alle Massenunterkünfte, wo ausschließlich die Männer wohnen. Daher ist es richtig schwierig, in solcher Gesellschaft der Versuchung zu widerstehen und nicht zu versumpfen.

Das spätere Schicksal von Romek ist mir unbekannt. Zum letzten Mal sah ich ihn 1985 in Katowice. Sein körperlicher und psychischer Zustand war nicht zu beneiden. Wenn er lachte, verdeckte er den Mund mit der Hand. Er scherzte, dass seine Rädchen weg seien. In der Tat ließ ihm der Skorbut die Zähne ausfallen. Ich glaube auch nicht, dass es ihm überhaupt gelang, das von ihm verachtete kommunistische System zu verlassen und in ein Land der westlichen Demokratie einzuziehen, auch wenn er so sehr davon schwärmte.

Durch die Hölle in die Freiheit

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