Читать книгу Durch die Hölle in die Freiheit - Gregor Kocot - Страница 19

Jarocin

Оглавление

Im Sommer 1983 ging ich nach Jarocin zum Rockmusikfestival. Die Reise mit dem Zug von Katowice nach Poznań war sehr interessant. Fast alle Fahrgäste waren junge Leute unterwegs zum Festival. Sie waren alle Musikfreaks. Einige Leute wie ich nahmen die Gitarre mit und konnten die Reise auf diese Weise mit Musik verschiedener Art angenehmer machen. Ich wollte nicht mit meinen musikalischen Fähigkeiten glänzen. Ich hörte lieber den anderen zu. Einige spielten die Popklassiker so gut wie Profis. Ich hatte auch kaum eine Chance, mich mit meinen Balladen durchzusetzen. Die Jugendlichen reisten in den eng befreundeten Cliquen, scherzten und hatten zusammen viel Stoff zur Diskussion. Daher wollte ich mich nicht in ihre Gesellschaft einmischen. Und ich hatte auch keine Lust darauf, weil ich in Poznań mit meinen Kollegen verabredet war.

In Poznań war ich etwas zerstreut. Während sie an der Stelle eintrafen, an welcher wir verabredet waren, d. h. in der Wartehalle des Bahnhofs, würde ich versuchen sie auf dem Bahnsteig zu begrüßen. Da sie mich nicht an dem Ort trafen, den wir früher vereinbart hatten, fuhren sie nach Jarocin weiter, ohne weiter auf mich zu warten. Ich wollte ihnen eine Überraschung machen, aber sie erreichten das Ziel mit einem anderen Zug. Das sah ich nicht voraus, und mein Plan ging in die Hose. Hätte ich sie wie vereinbart in der Wartehalle erwartet! Zu viel Eifrigkeit kommt nicht immer gut an.

Nach Jarocin fuhr ich also alleine. Ich war etwas enttäuscht, dass dieses Treffen in Poznań gescheitert war. Ich wusste aber, dass ich die Kollegen früher oder später treffen würde. Als ich durch die Stadt bummelte, traf ich ein Ehepaar in den mittleren Jahren – echte Musikfreaks! Ich schlug mein Zelt neben ihrem Zelt auf, weil ich wollte, dass sie auf meine Klamotten aufpassten, wenn ich nicht da war.

Am ersten Tag, direkt nach dem Frühstück, raste ich zu dem Platz, wo die Konzerte stattfanden, um meine Kollegen zu finden. Ich hoffte, dass ich sie dort treffe. Als ich auf die Bühne zukam, sah ich Darek. Wie verrückt sprang ich zu ihm und begrüßte ihn freudig. Darek war auch sehr froh. Bald schlossen sich uns andere Kollegen an, die in der Nähe standen, und es entstand ein furchtbares Durcheinander. Endlich waren wir vollständig. Unsere unfassbare Freude ließ sich kaum mit Worten beschreiben. Wir sahen wie Bekloppte aus, die gerade aus der Nervenklinik flohen. Hier, in Jarocin war solch ein Verhalten nichts Besonderes. Niemand war überrascht. Das gehörte einfach dazu und trug zu einer festlichen Atmosphäre bei. Unsere spontane Begrüßung lenkte zwar die Aufmerksamkeit der anderen auf uns, aber nur kurz. Nach einer Weile fand sich eine andere Clique, die sich genauso spontan begrüßte.

Es war erst Vormittag, und die Musiker führten ihre Proben durch. Wir entschieden also, dass ich mich mit meinem Zelt meinen Kollegen anschließen würde, die in dem Zeltstand campten. Anfangs wurde dieses Gebiet von der ZOMO-Miliz überwacht (Einheiten der Bürgermiliz in der Volksrepublik Polen, ihre Aufgabe war es, die Ordnung zu schützen und evtl. Unruhe niederzuschlagen). Das war zu den Zeiten, als unser einheimischer Gangster, Wojciech Jaruzelski, einen privaten Krieg mit seinem Volk führte (1981 wurde in Polen für 2 Jahre lang ein Kriegszustand verhängt. Wojciech Jaruzelski war dann an der Macht). Man konnte sich aber darüber nicht beschweren. Unsere „Wächter“ waren zu uns verhältnismäßig liberal eingestellt. Wir konnten also unbeschwert feiern, wie es die Musikfans tun.

Jerzy aus Przasnysz, ein Kollege von Cezary, erließ schon früher die „Verordnung“, dass jeder etwas Schnaps mitbringen sollte – in Jarocin galt für die Zeit des Festivals ein striktes Alkoholverbot. Jerzy schmuggelte meinen Teil durch die Kontrolle der ZOMO-Miliz. Er war schon ein Profi in diesem Bereich. Einen Tag früher packte er alle Flaschen seiner Kollegen in seinen Rucksack und zog zum Eingangstor der Zeltstadt. Auf die Frage der Wächter, was er in dem Rucksack trug, antwortete er grinsend, dass er Wodka dabeihätte. Die Milizen waren sicher, dass er Spaß machte und ließen ihn durch, ohne den Inhalt seines Gepäcks zu kontrollieren. Auf diese Art und Weise, durch einen schlauen psychologischen Trick, gelang fast der ganze Vorrat an Alkohol, den wir mitbrachten, in die Zone mit striktem Alkoholverbot. Daher wurde Jerzy zu unserem Helden: Durch seine ehrenvolle Leistung konnten wir unsere nächtliche Zeit mit anderen Rockfans in dem „Zeltdschungel“ umso mehr genießen.

Es gab nicht allzu viele Cliquen, die so schlau waren wie wir. Fast jeder brachte etwas Alkohol nach Jarocin mit, aber kaum jemand schaffte es, die Flaschen ins Zelt zu schmuggeln. Wir waren immer in guter Laune im Gegensatz zu den meisten, die einerseits versuchten, etwas Selbstverleugnung zu zeigen und beim Feiern etwas Spaß zu haben und sich andererseits gnadenlos dazu gezwungen fühlten ohne Alkohol zu feiern. Sie hatten einfach kein Glücksmittel dabei. In den Gruppen wie unserer waren die ganze Nacht lang die Gitarrenmusik, unendliche Gespräche und unkontrollierte Lachsalven zu hören. Diese Atmosphäre zog die Mädchen an, die angeblich an Schlaflosigkeit litten. Am Morgen früh war in der Zeltstadt ein lautes Schnarchen der Typen zu hören, die bis in die Puppen feierten. Ich war oft einer davon.

Abends auf dem Stadion, unweit von unserem Zeltplatz, fanden die Konzerte statt. Eine tolle Musik unter dem schönen Sternenhimmel ließ uns in Euphorie verfallen. Inzwischen flirteten wir beide, ich und Darek, mit den Mädchen und holten sie unter welchem Vorwand auch immer zu unserer Gruppe. Unser Interesse war ihnen lieb, weil sie es gerne hatten, dass man mit ihnen flirtete. Es war wunderschön, aber vielleicht nicht für alle. Mitunter kam es zu Streitereien und Prügeleien. In solcher Menschenmenge ließ sich das nicht vermeiden. Auch das gehörte dazu.

Direkt nach dem Festival fuhren wir nach Masuren, um Cezary zu besuchen, weiter zu feiern und die Gaben der Natur und das Land der tausend Seen zu genießen. Wir aßen fette Aale und tranken dazu Bier oder Schnaps – je nachdem, welcher Alkohol uns gerade zur Verfügung stand. Was noch wichtiger war: Wir flirteten mit den abenteuerhungrigen Mädchen, die zu den Sommerferien aus ganz Polen ankamen.

Das waren sehr schöne Momente in meinem Leben, weil Alkohol meine Seele ganz schön erfreute und fast keine negativen Nebenwirkungen spüren ließ. Aber im Laufe der Zeit sollte sich meine Beziehung zum Alkohol radikal verändern. Zu diesem Zeitpunkt aber war ich noch weit davon entfernt, ins Grübeln zu kommen oder zu ahnen, dass etwas Schlimmes auf mich zukommen könnte. Ich trank ab und zu, hatte dabei viel Spaß und lebte ganz unbekümmert. Ich merkte gar nicht, dass ich mich allmählich an Alkohol gewöhnte, oder ich wollte das nicht sehen, um mir selbst den Spaß nicht zu verderben.

Durch die Hölle in die Freiheit

Подняться наверх