Читать книгу Durch die Hölle in die Freiheit - Gregor Kocot - Страница 18
Ein Geist in der Försterei
ОглавлениеIch lernte Cezary im Herbst 1981 in Katowice kennen. Ich merkte, dass er ein intelligenter und intrigierender Mann war. Da für uns gleiche Werte wichtig waren, lernten wir uns schnell genauer kennen und befreundeten uns miteinander.
Cezary konnte niemanden und nichts ertragen, was ihm sagen würde, wie er leben und was er tun soll. Daraufhin vereinbarte er mit dem Militär, dass er das zweite Jahr seines Militärdienstes nicht in der Armee, sondern in dem Steinkohlewerk ableisten würde, weil er das für das geringere Übel hielt. Trotzdem verbrachte er nicht besonders viel Zeit in Katowice, weil er von der industriellen Landschaft alles andere als begeistert war. Sobald er seine Verpflichtungen gegenüber der Volksarmee erfüllte, zog er wieder zu seinem Familienhaus in der Nähe von Przasnysz zurück. Er war ein ausgebildeter Forstarbeiter. Sein Traum war, in Masuren, am Busen der Natur wohnen und arbeiten zu können. Er wartete auf ein entsprechendes Arbeitsangebot und züchtete inzwischen Kaninchen. Dadurch wollte er seine Langeweile vertreiben. Er konnte auch kein großer Züchter werden, weil er diese Arbeit nicht besonders eifrig ausführte. Nach einer Zeitlang fing er an sich auf die Arbeit in der Försterei in Masuren vorzubereiten. Ehe er diese Försterei übernahm, ging ich mit ihm zum ersten Mal in diese schöne Seenplatte. Ich muss zugeben, dass mich Masuren tief beeindruckte. Das ist ein richtig wunderschönes Gebiet.
Etwas später besuchte ich Cezary in seiner Försterei zwischen Szczytno und Mrągowo. Das was ein schönes gut erhaltendes, ehemals deutsches Gebäude mit vielen Zimmern. Die Umgebung war auch schön. Die Försterei hatte jedoch einen gewissen Nachteil, und zwar bekam man Angst in diesem Haus zu schlafen, weil sich nachts komische und haarsträubende Dinge ereigneten. Ein Geist spukte nämlich in der Försterei. Deshalb wollte kein Forstarbeiter in diesem Haus wohnen. Cezary nahm dieses Arbeitsangebot an, ohne viel zu überlegen, weil der Ort von vielen an Pilzen reichen Wäldern und Seen umgeben war. Dazu hatte Cezary keine Angst vor Geistern. Ihm war egal, ob diese Geister tatsächlich existieren oder nicht.
Ich hörte schon viele Geschichten über diesen Geist. Ich war aber ganz skeptisch und nahm alle diese Erzählungen nicht ganz so wörtlich. Für mich waren es einfach die Fantasien des abergläubischen Volkes. Endlich konnte ich mich selbst überzeugen und dieses übersinnliche Phänomen ganz real erleben.
Als ich bei Cezary eintraf, kam sein Kumpel Darek aus Danzig zu ihm zu Besuch. Wir verbrachten die Zeit ganz fröhlich zu dritt. Es gab unzählige Ideen, was wir tun könnten. Eines Abends kamen wir ganz spät von der Disco zurück. Cezary verschwand in seinem Zimmer, und auch wir gingen auf unsere Kojen im Wohnzimmer schlafen. An diesem Tag war so viel passiert, dass wir nicht sofort einschlafen konnten. Ich lag also ruhig und wartete, bis der Schlaf kam. Plötzlich bekam ich die komischen Geräusche zu hören. Man konnte vermuten, dass Darek einfach nach etwas im Dunkeln suchte, weil das Licht aus war. Ich wusste aber, dass Darek damit nichts zu tun hatte. Was sollte er doch suchen und warum im Dunkeln? Er lag ruhig und sagte nichts. Ich versuchte einzuschlafen und diese Geräusche einfach zu ignorieren.
Plötzlich klopfte jemand an die Tür, die zum Flur führte. Es wurde mächtig und gleichmäßig geprallt. Es war so laut, dass ich sicher war, dass man dieses Klopfen auch mindestens 500 Meter entfernt vernehmen konnte. Ich war aber der Einzige, der die Schläge hörte. Dieses unglaubliche Phänomen ließ mich fest ans Bett klammern. Ich lag bewegungslos und erschrocken auf meiner Koje. Nach einer Weile fragte ich Darek schüchtern: „Hast du das laute Klopfen an der Tür gehört?“ Darek erwiderte: „Das war bestimmt Wacek“.
Wacek – so nannten Darek und Cezary die Geisterscheinung, an die sie sich schon gut gewöhnten. Das ich etwas hörte und sie nicht, war es für sie schon nichts Besonderes. So etwas kam ganz oft vor und erregte bei vielen Gästen ein großes Entsetzen. Was ich da erlebte, war nichts im Vergleich dazu, was die anderen erfuhren, die dann plötzlich das Hasenpanier ergriffen, und nie wieder wagten, diesen heimgesuchten Ort zu besuchen. Selbst die frisch eingezogenen Forstarbeiter rissen wie Schafleder aus nach der ersten Begegnung mit dem Geist. Der mutige Cezary ließ sich aber nicht so einfach verjagen, auch wenn der Geist verschiedene dreiste Tricks an ihm versuchte. Zum Beispiel zog er ihm die Decke im Schlaf weg. Vergebens versuchte der Geist eine Panik bei dem neuem Landwirt zu wecken. Stattdessen wurde der Spuk zurechtwiesen, dass er ihn nach einem schwierigen Arbeitstag im Wald beim Schlafen störte.
Am nächsten Tag, als ich mit Darek ein Bier trank, überhäufte ich den Geist mit verschiedensten Beschimpfungen. Er verdiente sich das für die Dreistigkeit, die er in der Nacht gegen mich zeigte. Als ich über Wacek lästerte, machte sich plötzlich das Nachtlämpchen an. Das machte auf uns zwar keinen großen Eindruck, aber ich hörte sofort auf mit meiner scharfen Kritik gegenüber dem Geist. Nach diesem Ereignis fing ich an zu glauben, dass es irgendeine spirituelle Realität geben muss, und dass es besser war nicht in Konflikt mit ihr zu geraten.
Zu diesem Zeitpunkt war ich ein Mensch schwachen Glaubens. Ich fragte mich, mit wem ich zu tun hatte. Waren es tatsächlich die Geister, oder spielte meine Vorstellung mir bloß Streiche? Cezary war der Meinung, dass das die Wasseradern waren, die unter dem Haus verliefen. Deshalb kam hier ein Forschungsteam an, um die Situation genau zu erkunden. Sie fanden aber keine Wasseradern.
Später erfuhr Cezary, was sich in dieser Försterei früher abgespielt hätte und erzählte mir die ganze Geschichte. Vor einigen Jahren wohnte hier ein junger Forstarbeiter mit seiner Frau und seiner alten Mutter. Als das Paar im Urlaub war, starb die Dame. Sie starb genau an dem Platz, wo ich später schlief. Es dauerte zwei Wochen, bis sie tot gefunden wurde. Gab es irgendeine Verbindung zwischen dem Albtraum, der ich in jener Nacht erlebte, und diesem Tod? Das weiß ich nicht, weil ich die Sache selbst nicht genauer erforschte. Ich hoffe, dass die alte Frau nicht in demselben Bett lang, in dem ich mich später ausruhte. Doch das war nicht auszuschließen, weil das Bett aus preußischen Zeiten stammte. Ich hoffe auch, dass sie es uns nicht übel nahm, dass wir sie Wacek nannten – wir wussten doch nicht, dass wir es mit einem weiblichen Geist zu tun hatten!