Читать книгу Durch die Hölle in die Freiheit - Gregor Kocot - Страница 14
Nur ein Schritt vor dem Tod
ОглавлениеFünf Monate nach dem Tod meines Vaters machte ich eine Erfahrung, die beinahe dazu führte, dass ich meinem Vater hinüber folgte. Ich machte mein Schulpraktikum in der Eisenhütte Łabedy in Gliwice. Dort entschied ich mich, wie viele andere Schüler, für gutes Geld zu jobben. Unsere Aufgabe bestand darin, die Hochöfen abzubauen. Sie wurden zunächst mit Sprengstoff in die Luft gejagt. Dann mussten wir sie von Schutt, Asche und all dem reinigen, was durch die Explosion nicht zerbröckelt wurde. Niemand sagte uns, dass dieser Job sehr gefährlich war. Uns wurde nur mitgeteilt, dass es dort sehr heiß war. Und tatsächlich war es so, weil unsere Schuhsohlen langsam schmolzen. Es wurde uns auch empfohlen, nach 20 Minuten Arbeit am Ofen immer eine Pause zu machen.
Als ich die hohe Temperatur einmal schon nicht mehr ertragen konnte, sprang ich schon nach 10 Minuten aus dem abgebauten Ofen aus. Einen Augenblick später riss sich ein tonnenschweres Stück Schutt von der Ofendecke ab und rutschte gerade dort hinab, wo ich vor einer Weile arbeitete. Ich stand kurz wie angewurzelt. Ich spürte, dass der Tod zwei Sekunden von mir entfernt gewesen war. Zum ersten Mal im Leben wurde mir klar, was für ein zerbrechliches und vergängliches Wesen ein Mensch war, und dass wir zu jedem Zeitpunkt unser Leben verlieren konnten – ohne einen wichtigen Grund, vielleicht einfach zum Spaß des Schicksals. Ich glaube, dass niemand den Vorfall bemerkte, weil die Halle riesig war, und es herrschte ein schrecklicher Lärm. Ich erzählte niemandem von diesem gefährlichen Ereignis. Ich war sehr zurückhaltend und vertraute meine Erfahrungen kaum jemandem an.
Erst nach vielen Jahren, als ich schon ein Erwachsener mit einer gewissen Lebenserfahrung war, dachte ich über diese Ereignisse etwas genauer nach. Als ich siebzehn war, wurde ich zur „Todesarbeit“ angeworben, vielleicht nicht gerade, weil mich jemand tot sehen wollte. Ich wollte etwas verdienen, weil ich das Geld brauchte. Es gab natürlich keinen Arbeitszwang, aber wer weiß, wie unsere Vorgesetzten reagiert hätten, hätten wir solch ein „lukratives“ Angebot abgelehnt. Das Leben an sich ist ein großes Rätsel, und man weiß nie, was auf uns zukommt. Als ein junger, fügsamer und sich ohne Widerstreben einer höheren Macht unterordnender Mann wurde ich von einem üppigen Gehalt gelockt. Ich war der Überzeugung, dass man die Aufforderungen der Vorgesetzten nicht verweigern und das, was sie sagten, nicht in Frage stellen und ihnen stattdessen grenzenlos vertrauen sollte. Sie wussten bestimmt, was sie taten, und unsere Sicherheit musste ihnen wichtig sein. Ich war doch nur ein Schüler und kein Revolutionär. Daher zweifelte ich die Meinung der Vorgesetzten nie an, sondern führte all das gehorsam aus, was zu verrichten war. Ich konnte davon nicht abweichen, weil alle anderen, die mit mir arbeiteten, genauso handelten. Wenn jemand zu viele Fragen stellte, wurde er von den Vorgesetzten schief angeguckt.
Ich hatte gar keine Ahnung davon, dass die meisten Todesfälle am Arbeitsplatz auf Fehler, Fahrlässigkeit und Ungenauigkeit von anderen Menschen zurückzuführen waren. Ich glaubte, dass die, die umkamen, einfach Pech hatten. Wäre ich in der erwähnten Situation beim Abbauen der Öfen ums Leben gekommen, glaube ich nicht, dass jemand das plötzlich bemerkt hätte. In der Eisenhütte herrschte ein riesiges Durcheinander. Ich weiß auch nicht, ob es eine Person gegeben hätte, die für diesen Unfall zur Rechenschaft gezogen worden wäre. Daher ist es empfehlenswert den eigenen Arbeitsplatz zunächst genau zu betrachten und ihn auf seine Sicherheit zu prüfen, ehe man die Arbeit überhaupt aufnimmt.