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Dylan wird boshaft

Village Voice

18. Oktober 1976

In Bob Dylans kürzlich ausgestrahltem TV-Special, einer Aufzeichnung von einer der letzten Shows der Rolling-Thunder-Tournee in Fort Collins, Colorado, gab es einen Moment, den ich hoffentlich nie vergessen werde: Ich meine die Stelle, wo Dylan »Idiot Wind« in die brutalste Outlawballade verwandelte, die man sich vorstellen kann. Mitten in der ersten Strophe senkte er plötzlich den Kopf; es schien, als erfasse er mit einer einzigen Wendung aus einer Zeile des Songs die gesamte Geschichte des Ortes, an dem er gerade auftrat, als könne er in dieser Sekunde das Leben solcher in Colorado beheimateter Killer wie Kid Curry oder Sundance Kid nachvollziehen. Sein Gesicht glühte vor Bösartigkeit und Schadenfreude und mit einem Mal war Dylan der übelste, schmutzigste und gemeinste Killer, den es jemals gegeben hatte. »I can’t help it – if I’m lucky.« Seine Augen blitzten vor Zorn und ich zuckte unwillkürlich zusammen.

Die Show war ohne Raffinesse oder Fantasie abgefilmt worden. Die radikal schicken Araberkostüme waren dämlich und schon beim Zu­schauen wurde klar, dass Dylans Präsenz alle Fragen der musikalischen Qualität überschattete. Diese Präsenz war sogar dermaßen stark, derma­ßen boshaft, dass sie alles beiseitefegte, was ihr ins Gehege kam. Die Wirkung des Mannes war phänomenal. Ich erschrak, als der Abspann begann; die Stunde war wie im Fluge vergangen. Wäre es nach mir gegangen, so hätte die Show noch die ganze Nacht weiterlaufen können.

Hard Rain, der Soundtrack dieser Show (jedenfalls im Großen und Ganzen, denn es fehlen ein paar Nummern und einige stammen von anderen Konzerten), ist jedoch Dylans bislang schlechtestes offizielles Album – ohne Dylans optische Präsenz verendet die Musik auf dem Plattenteller. Ich habe nichts von der Rolling-Thunder-Tournee gesehen und das Mad-Dogs-&-Englishmen(Folkie-Abteilung)-Konzept des Ganzen klang alles andere als aufregend, doch es fällt schwer zu glauben, dass dieses wüste, völlig beliebige, provozierend lässige Herumgewurstel die beste Musik darstellt, die die Tournee hervorgebracht hat. Die Musiker spielen nicht, sie prallen gegeneinander. Dylan phrasiert nicht, er plärrt, und zum ersten Mal in seiner Karriere klingt er ein­fältig. Es gibt da keine musikalische Attacke, keinen Rhythmus, keine Kunstfertigkeit. Die Arrangements sind sinnlos – kaum vorhanden, wie bei »Memphis Blues Again«, oder banausenhaft, wie bei »Maggie’s Farm«. (Sollen diese langen, lächerlich ausgedehnten Pausen nach jeder Strophe, in denen Dylan wie ein sterbendes Pferd wiehert, dem Song Ausdruckskraft verleihen? Oder sollen sie zu Applaus animieren? Letzteres ist nämlich alles, was sie bewirken.) Gelegentlich entwickeln die Nummern zu Anfang eine gewisse Dynamik, doch die verpufft im Handumdrehen angesichts der Indifferenz der Performer. Die klingen, als interessiere sie das Ganze nicht die Bohne. Als Dokument einer Tournee, bei der fast jede Show auf Band mitgeschnitten wurde, ergibt das keinerlei Sinn (und wo sind die Songs, die bei dieser Tournee zum ersten Mal vorgestellt wurden, etwa die alte Ballade »Railroad Boy«, »Going, Going, Gone« und »Where Did Vincent Van Gogh«?).

Es heißt, die Tournee habe ein schlimmes Ende genommen – das Unternehmen soll sich nur noch mühsam dahingeschleppt haben, mit ständig schrumpfenden Zuschauerzahlen und in die Höhe schnellenden Kosten, die die mageren Einnahmen auffraßen. Man könnte denken, dass dieses Album den Groll zum Ausdruck bringt, den die Musiker gegenüber einem Publikum empfunden haben, dass sich schließlich weigerte, vor ihnen einen Kniefall zu machen. Ob dies tatsächlich so gewesen ist, sei dahingestellt, doch was ich aus dieser Musik heraus­höre, aus ihrem beharrlichen Mangel an Charme und Groove, ist eine abgrundtiefe Verachtung für das Publikum. Und diese Verachtung könnte durchaus die andere, die langweiligere Seite von Dylans Boshaftigkeit sein, von jener gehässigen Intensität, die er im Fernsehen bei »Idiot Wind« an den Tag legte. Gezielt eingesetzt und unverhüllt macht diese Boshaftigkeit den Kern von Dylans Kunst aus. Ziellos – und verkleidet als eine Kameraderie mit hektischer, krakeelender Musik – ist sie lediglich ein Ärgernis und, zu allem Übel, noch leer.

Bob Dylan, Hard Rain (Columbia, 1976).

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