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Entwicklungsorientierte Sprachdiagnostik und Förderplanung bei minimal verbalen Kindern mit Beeinträchtigung Christina Müller, Sylvia Mira Wolf & Maren Aktas

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Probleme beim Erwerb der Lautsprache gehören zu den zentralen Symptomen unterschiedlicher Entwicklungsstörungen und Behinderungen, wie z. B. spezifischen Sprachentwicklungsstörungen, geistigen Behinderungen oder frühkindlichem Autismus. Auch Kinder mit Körperbehinderungen können erhebliche Schwierigkeiten beim Aufbau lautsprachlicher Fähigkeiten haben. Bei manchen Kindern sind die sprachbezogenen Defizite so stark ausgeprägt, dass es ihnen über einen längeren Zeitraum hinweg oder sogar dauerhaft nicht gelingt, in den produktiven Spracherwerb »einzusteigen« und zumindest basale expressive Lautsprachfähigkeiten aufzubauen; diese Kinder werden auch als »minimal verbal« bezeichnet.

Die Hintergründe für eine (weitgehend) ausbleibende Entwicklung der lautlichen Sprache sind vielfältig. Es können behinderungstypische Beeinträchtigungen vorliegen, wie z. B. eine eingeschränkte soziale Bezugnahme bei Autismus oder (artikulations-)motorische Schwierigkeiten bei schweren Körperbehinderungen. Zudem können Defizite in basalen kognitiven Fähigkeiten (z. B. beim Symbolverständnis) oder schwerwiegende Auffälligkeiten in zentralen Planungs- und Steuerungsprozessen (z. B. in der Aufmerksamkeitssteuerung oder in der Planung von Sprechbewegungen) den Erwerb von lautsprachlicher Kommunikation erschweren.

Für die heilpädagogischen Fachkräfte, Lehrkräfte und (Sprach-)TherapeutInnen, die mit der Kommunikationsförderung und Sprachanbahnung minimal verbaler Kinder betraut sind, stellt die Vielfalt der möglichen Hintergründe eine große Herausforderung für die Planung einer wirksamen Intervention dar. Kenntnisse über die Art der Behinderung des Kindes sind für die Förderplanung hilfreich, reichen aber bei weitem nicht aus. Die Fachleute sind gefordert, differenzierte Informationen über den kommunikativ-sprachlichen Entwicklungsstand des jeweiligen Kindes sowie seine spezifischen Verarbeitungsprobleme zu erheben. Zudem müssen sie beurteilen, welche Beeinträchtigungen für die sprachlich-kommunikative Entwicklung besonders relevant sind und welche Förderziele Priorität haben sollten. Hierfür müssen Befunde aus unterschiedlichen diagnostischen Quellen berücksichtigt und zu einem individuellen Profil der kindlichen Stärken und Schwächen integriert werden.

Das Konzept der entwicklungsorientierten Sprachdiagnostik und -förderung (Aktas, Asbrock, Doil & Müller, 2012) bietet einen Handlungsrahmen für eine systematische Diagnostik und Planung von Sprachfördermaßnahmen bei Kindern mit Behinderungen. Es liefert ein theoretisches Modell, anhand dessen der kommunikativ-sprachliche Entwicklungsstand eingeordnet und Förderschwerpunkte abgeleitet werden können. Ferner wird ein diagnostisches Konzept vorgeschlagen, das das Vorgehen und die Auswertung der Befunde strukturiert. Das Vorgehen ist ursprünglich an einer Stichprobe von Kindern mit Down-Syndrom entwickelt worden (Aktas, 2004), aber mit wenigen Modifikationen auch auf andere Gruppen von Kindern mit Behinderungen übertragbar (vgl. Aktas, 2012a).

Die Grundannahmen und zentralen Eckpunkte des entwicklungsorientierten Diagnostik- und Förderkonzepts sind im folgenden Kasten zusammen gefasst.

Grundannahmen und Eckpunkte der entwicklungsorientierten Sprachdiagnostik und -förderung (Aktas et al., 2012)

• Der Spracherwerb von Kindern mit Behinderungen ist durch eine erhebliche Variabilität und Heterogenität gekennzeichnet – auch innerhalb einzelner Behinderungsgruppen. Interventionen müssen daher stark individualisiert erfolgen.

• Für die Förderplanung wird ein individuelles Profil der kommunikativ-sprachlichen Stärken und Schwächen erstellt. Ergänzend werden nicht-sprachliche, aber spracherwerbsrelevante Fähigkeiten (im kognitiven, sozialen und emotionalen Bereich) beachtet.

• Ein Ablaufschema strukturiert das Vorgehen vom Anamnesegespräch über die direkte Untersuchung des Kindes bis hin zur konkreten Umsetzung der Förderung ( Tab. 1).

• Für die Sprach- und Kommunikationsdiagnostik werden verschiedene diagnostische Methoden kombiniert.

• Die Diagnostik umfasst – sofern vom Kind her möglich – eine standardisierte Untersuchungssituation (z. B. einen Sprachentwicklungstest). Diese wird gleichzeitig als standardisierte Beobachtungssituation genutzt.

• Die direkte Untersuchung des Kindes mit standardisierten Verfahren wird über einen diagnostischen Leitfaden erleichtert ( Abb. 3). Dieser besteht aus einem Einstiegstest und Empfehlungen für die Wahl weiterer Aufgaben. So gelingt es, für jedes Kind das passende Anforderungsniveau zu finden und Über- sowie Unterforderung zu vermeiden.

• Die auf standardisierte – und damit eine gute Vergleichbarkeit sichernde – Weise erhobenen Ergebnisse werden zweifach ausgewertet: quantitativ-normorientiert und qualitativ-theoriegeleitet.

• Die normorientierte Auswertung ermöglicht die Angabe eines ungefähren sprachlichen Entwicklungsalters in verschiedenen Sprachkomponenten.

• Die qualitative Auswertung trägt zur Einordnung des Entwicklungsstandes im theoretischen Rahmenmodell ( Abb. 1 und 2) bei.

• Am Ende dieser standardisierten und zugleich maßgeschneiderten Diagnostik steht das individuelle (vor-)sprachlich-kommunikative Entwicklungsprofil des Kindes. Die Förderplanung setzt unmittelbar an diesem Profil an: Anhand des theoretischen Modells kann abgelesen werden, welche Entwicklungsschritte das Kind bis zu diesem Zeitpunkt bereits bewältigt hat und welche Entwicklungsaufgaben nun unmittelbar anstehen.

• Zur Feinplanung der Förderung werden die wesentlichen Förderschwerpunkte ausgewählt und mit Entwicklungszielen versehen.

• Die Umsetzung in konkrete therapeutische Interventionen inklusive Auswahl geeigneter Methoden ist der letzte Schritt. Das Konzept sieht vor, hier – zielgerichtet, theoretisch fundiert und möglichst empirisch begründet – aus einem breiten Methodenspektrum zu schöpfen, das sozial-interaktive und verhaltenstherapeutische Ansätze sowie Methoden der unterstützten Kommunikation umfasst (genauere Ausführungen bei Doil, 2012).

• In regelmäßigen Abständen wird die entwicklungsorientierte Diagnostik wiederholt, um Veränderungen feststellen zu können.

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