Читать книгу Religiösen Machtmissbrauch verhindern - Группа авторов - Страница 13
1 Schutzfaktoren des Glaubens entwickeln – mit Mündigkeit und Resilienz Machtmissbrauch vorbeugen
ОглавлениеTobias Faix
Ines ist 22, wohnt in Mainz und studiert Biologie. Sie stammt aus einer traditionellen katholischen Familie, christlich geprägt wurde sie aber eher in freikirchlich-charismatischen Kreisen.1 Für das Freiwillige Soziale Jahr meldete sie sich in Australien bei einer christlichen Organisation an. Dies bedeutete in der Hauptsache, Missionsarbeit unter Jugendlichen in der Schule zu leisten. Schon bald nach dem Start gab es erste Probleme. Die Freiwilligen mussten sechs Tage die Woche acht bis zwölf Stunden arbeiten und sonntags in den Gottesdienst gehen. Es ging bei ihrer Arbeit vor allem um Zahlen: Wie viele Leute kamen zu den Veranstaltungen? Wie viele hatten sich bekehrt und wie viele davon gingen jetzt in den Gottesdienst? Dazu gab es ein System mit klaren Vorgaben: Jede Person im Team sollte vier Jugendliche bekehren und diese dann wieder vier, wie bei einem Schneeballsystem. „Wir mussten immer wieder unsere Erfolge messen, sobald jemand in den Jugendkreis gekommen ist oder wie viele sich haben taufen lassen; es wurde immer wieder in Zahlen gemessen.“ Dazu gab es eine klare Leitungshierarchie, die es einzuhalten galt. Egal, ob es um die Schuljugendarbeit oder um kleine private Angelegenheiten ging. „Mein Teamleiter wollte immer Dinge, die keinen Sinn machten und gar nicht machbar waren. Das war schwer zu ertragen und die Frage war dann: Was war denn jetzt Gottes Wille?“ Wenn Ines widersprach oder sich über die Situation beschwerte, wurde ihr von ihren Leitern zur Antwort gegeben: „Gott lehrt dich Demut.“ So spürte Ines konstant geistlichen und psychischen Druck und es ging ihr immer schlechter. Dies wurde auch nicht besser, als sie wieder nach Hause in ihre alte Gemeinde kam. Auch bei ihren Mitchristen fand Ines keine richtige Hilfe: „Ganz viele haben gesagt, ich soll mehr beten, mehr Zeit vor dem Thron Gottes verbringen, dann wird es wieder besser werden.“ Aber das half Ines nicht. „Wir haben dann oft miteinander gebetet, dass wir die Gefäße Gottes sind und er durch uns fließt und ich weniger eigensüchtig sein und ganz auf den Willen Gottes hören soll.“ Sie wurde immer verzweifelter und merkte, wie es ihr immer schwerer fiel zu glauben. Aber an ihrem Glauben hing auch ihr Leben: „Dann weiß ich nicht mehr, wie ich leben soll.“ Dazu kamen Depressionen und ihre Fragen und Zweifel wurden eher mehr, als dass sie abklangen. Ihr Gebet war noch lange Zeit, dass „Gott aus dem Zerbruch was Großes machen soll“ und dass „diese Zeit eine Art geistliches Training“ für sie sein möge. Durch eine Seelsorgerin und eine Therapie fand Ines ins Leben zurück, ihren Glauben an Gott hat sie durch das Erlebte aber verloren.