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Schutzfaktoren des Glaubens
ОглавлениеVor dem Hintergrund dieser hier nur sehr verkürzt wiedergegebenen Ergebnisse der Resilienzforschung stellt sich in unserem Zusammenhang die Frage nach einem resilienten, also widerstandsfähigen Glauben. Wie können Risiko- und Schutzfaktoren des Glaubens aussehen? Geistlicher Missbrauch, anhaltende negative Gemeindeerfahrungen, die Druck und Stress verursachen, eine als problematisch erlebte christliche Sozialisation und der Verlust nahestehender Personen, der an der Güte Gottes zweifeln lässt, sind einige der Risikofaktoren im Glauben. Als Schutzfaktoren kommt man angesichts der großen Bedeutung von familiären Faktoren schnell auf die geistliche „Familie“, also die Kirche, Gemeinde, Gemeinschaft, die als Schutzfaktor wirkt, sofern sie durch Stabilität, konstruktive Kommunikation und ein kompetentes und fürsorgliches Verhalten der Leitungspersonen geprägt ist. Neben diesen gemeinschaftlichen Schutzfaktoren gibt es aber eine ganze Menge innerer Glaubensfaktoren, die einem helfen können, eine eigene Selbstwahrnehmung des Glaubens zu erfahren. Dazu gehört, seine geistlichen Gefühle zu kennen und sie ausdrücken zu können und bei sich und anderen Stimmungen zu erkennen und einzuordnen. Reflexionsfragen, die dabei helfen können, wären:
•Inwieweit kann ich meinen Glauben und mein Gottesbild für mich und andere plausibel erklären?
•Wie hat sich mein Glaube in den letzten Jahren verändert?
•Kann ich andere theologische Meinungen in meinem Umfeld aushalten?
•Wie sprachfähig über meinen eigenen Glauben bin ich?
•Kann ich meinen Nachbarn meinen Glauben erklären – so, dass sie es verstehen?
•Kann ich eigene Zweifel zugeben, aussprechen, ja anerkennen? Oder fühle ich mich schlecht dabei?
Um sich diese Fragen stellen zu können, braucht es aber sichere Räume, in denen wir offen über Glaube, Unglaube und Zweifel reden können. In der Pädagogik gibt es mittlerweile umfangreiche Programme zur Stärkung der Resilienz. Vielleicht bräuchte es auch in Gemeinden nicht nur Grund-, Basic- oder Alphakurse, sondern die gezielte Förderung eines mündigen, eigenständigen Glaubens. Noch wichtiger als irgendwelche Programme sind jedoch, wie schon beschrieben, eine gute und fördernde Gemeindekultur sowie das Vorleben eines ganzheitlichen Glaubens, der sich weder um sich selbst noch auf selbstzerstörerische Art und Weise um andere dreht und eigene Bedürfnisse leugnet. Manchmal sind es nicht die schnellen Lösungen und klugen geistlichen Ratschläge, die dem anderen helfen, sondern das gemeinsame Aushalten. Ines hat so etwas gefehlt und ich hoffe, dass wir als Christinnen und Christen es lernen, diese Haltung des Aushaltens zu lernen, für den anderen, für uns, in der kurzen Begegnung oder in Kleingruppen oder Mentoringprogrammen.9 Mündig glauben lernen heißt auch, dass wir uns in unserer Unperfektheit auszuhalten lernen – oder wie es der große Theologe Karl Rahner sagte: „Glauben heißt, die Unbegreiflichkeit Gottes ein Leben lang aushalten.“10 Mündiger Glaube lernt, barmherzig gegenüber Zweifel und Zweiflern zu sein, er ist heilsam für Gläubige und aufbauend für die eigene Gemeinde. Wo andere wegschauen, da schaut mündiger Glaube hin.