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Vorwort

Thomas Schirrmacher

Ich begrüße es sehr, dass sich christliche Leiter – Frauen wie Männer – in diesem Buch mit den verschiedensten Fragen rund um den Machtmissbrauch beschäftigen. Als Papst Franziskus direkt bei Amtsantritt begann, Korruption, Mafia und Machtmissbrauch zu bekämpfen, einschließlich einer der übelsten Formen des Machtmissbrauchs, des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen durch Geistliche und von Nonnen durch Bischöfe, wähnte sich mancher Protestant noch in Sicherheit. Viele Untersuchungen von Freund und Feind weiter wissen wir, dass auch konservative evangelische Kirchen hier nicht ausgenommen sind, wie etwa die 380 vom Houston Chronicle belegten Fälle der letzten 20 Jahre in der großen Kirche der Southern Baptist Convention in den USA.1

Als christliche Leiter gehen uns alle diese Themen genauso an und wir sollten sie immer und ständig diskutieren, nicht weil uns die Medien die Themen aufdrängen oder die Faktenlage erdrückend sein kann, sondern weil Machtmissbrauch ein integraler Bestandteil dessen ist, was die Bibel als Sünde beschreibt, und weil Jesus am Kreuz gestorben ist, um uns von dieser Form des Egoismus zu befreien. Gerade wer echte Autorität in der Kirche hat, wird dies dadurch beweisen, dass er von sich aus, bevor irgendetwas anbrennt, diese Themen selbstkritisch in Predigten und Gemeindebriefen, Sitzungen und Jugendkreisen anspricht.

Die Erbsünde heißt auf Lateinisch „corruptio“, sie ist immer auch Machtmissbrauch des Menschen, im Kleinen wie im Großen. In uns allen, auch uns Christen und Christinnen, steckt die Versuchung, vernünftige und berechtigte Autorität nicht zum Guten und Nutzen anderer, sondern zu unserem Vorteil und zum Schaden anderer einzusetzen. Deswegen muss es immer Machtbeschränkungen, gegenseitige Kontrolle und Berufungsmöglichkeiten geben.

Christen haben die Demokratie mit erfunden, weil sie überzeugt davon sind, dass mit der Macht immer die Korruptionsanfälligkeit kommt, nicht nur manchmal und erstaunlicherweise. Deswegen muss man eine korrupte Regierung unblutig abwählen können und die Staatsstrukturen müssen die Macht aufteilen und eine automatische Kontrolle jeder Machtausübung vorsehen. Schon Paulus war mit den Spendergeldern, die er nach Jerusalem brachte, nie allein unterwegs, Vertreter der Gemeinden reisten mit ihm.

Seit vielen Jahren beschäftigt mich der Machtmissbrauch in christlicher und auch evangelikaler Variante, da er besonders abstoßend ist, wenn er mit dem angeblichen Willen Gottes bemäntelt wird. Warum tun etwa zu viele christliche Kirchen weltweit so, als seien sie immun gegen Korruption, das heißt gegen den Missbrauch und das egoistische Ausnutzen legaler Autorität? Fragt man nämlich genauer nach, können alle von spektakulären Fällen berichten.

Ein schönes Beispiel ist das Dokument „Christliches Zeugnis in einer multireligiösen Welt“, das 2010 vom Vatikan, dem Ökumenischen Rat der Kirchen und der Weltweiten Evangelischen Allianz und damit der großen Mehrheit der Weltchristenheit verabschiedet wurde. Ich durfte die Allianz in den fünf Jahren der Entwicklung vertreten. Das Dokument kritisiert jede Art von christlicher Mission, die mit Zwang, Bestechung, Diffamierung und Ausnutzen von Notlagen arbeitet. Hier wird die Autorität der Kirche, die Jesus Christus ihr im Missionsauftrag gegeben hat (Mt 28,18-20), nicht grenzenlos gesehen, sondern von den sich aus der Menschenwürde ergebenden Menschenrechten eingehegt. Oft genug musste ich mich seitdem in meinem eigenen Lager rechtfertigen, hier würde der Missionsbefehl eingeschränkt. Richtig, aber nicht von uns, sondern von Jesus selbst.

Jesus sagt gerade in Matthäus 28,20, dass wir Alles weitergeben sollen, was er uns gelehrt hat – und dazu gehört doch gerade auch die Würde und Gottesebenbildlichkeit des Menschen. Wer die Autorität der Mission missbraucht, betreibt keine schlechte Mission, sondern gar keine Mission, ja eigentlich Anti-Mission.

Gott hat uns als Christen nie die Autorität gegeben, andere zu zwingen, so zu leben und zu denken wie wir. Vielmehr sollen wir andere Menschen durch Verkündigung, Gespräch, Diskussion und durch unser Vorbild überzeugen. Nur wenn sie selbst glauben, glauben sie, erzwungener Glaube dagegen ist das Gegenteil von Glauben.

Jesus selbst ist der Gegenentwurf zum Machtmissbrauch. Er hat seine Macht nicht zu seinem Vorteil genutzt, sondern damit wir völlig frei werden. Er verband nämlich Autorität mit Dienen und Demut.

Das deutsche Wort „Demut“ ist „ein Wort, um welches die deutsche Sprache von allen Sprachen der Welt beneidet werden kann“2. Demut war als Begriff und als Sache bei den Germanen unbekannt3 und wurde erst von den Missionaren und in der oberhochdeutschen Kirchensprache („thiomouti“, „dio-mouti“) eingeführt.4 „De-mut“ entstand dabei als „Diene-Mut“, aus der Gesinnung zum Dienen, also dem „Mut zum Dienen“. Demütig bedeutet „dienstwillig“. „‚Demut‘ meint also den Diene-Sinn, die Bereitschaft des Menschen zu dienen.“5

„Demut“ gibt das griechische Wort „tapeinophrosyne“ [andere Bedeutungen: Bescheidenheit, Selbstbescheidung] wieder. Das diesem Wort zugrunde liegende Wort „tapeinos“ bedeutete bei den Griechen „meist im sittlich verwerflichen Sinne: kriechend, niedrig, gemein“.6 Im Neuen Testament haben beide Worte jedoch eine völlig andere Bedeutung, die das deutsche Wort „Diene-Mut“, das die Missionare in Anlehnung an die Bibel geschaffen haben, gut wiedergibt.

Demut ist also keine passive Haltung, kein kriecherisches Über-sich-ergehen-Lassen, sondern ein aktives, gewolltes Dienen, das Mut und Stärke erfordert. Ein ausgezeichnetes Beispiel für echte Demut ist die Fußwaschung (Joh 13,1-17), denn Jesus diente hier im vollen Bewusstsein seiner Autorität: „Da Jesus wusste, dass der Vater ihm alles in die Hände gegeben hatte […], stand er vom Mahl auf […] nahm eine Schürze […] und fing an, den Jüngern die Füße zu waschen […]“ (Joh 13,3-57).

Jesus fordert seine Jünger auf, sein Vorbild der Fußwaschung nachzuahmen. Die Apostel sollen sich angesichts der Autorität, die ihnen Jesus ja selbst gab, nicht die Füße waschen lassen, sondern anderen die Füße waschen. Dies gilt auch für uns. Gerade wer Autorität hat, soll für andere da sein.

Besonders an der Demut Jesu wird deutlich, dass nicht der demütig ist, der sowieso dienen muss, ob er will oder nicht, sondern der ist demütig, der trotz seiner Stellung anderen dient.

Literatur

Luthardt, Chr. Ernst 1921. Kompendium der theologischen Ethik. Leipzig: Dörffling & Franke, 169.

Melzer, Friso 1952. Unsere Sprache im Lichte der Christus-Offenbarung. Tübingen: J. C. B. Mohr: Tübingen.

Melzer, Friso 1965. Das Wort in den Wörtern. Die deutsche Sprache im Lichte der Christus-Nachfolge. Ein theophilologisches Wörterbuch. Tübingen: J. C. B. Mohr.

Anmerkungen

1https://www.houstonchronicle.com/news/investigations/article/Southern-Baptist-sexual-abuse-spreads-as-leaders-13588038.php (25.08.2020).

2zitiert nach Luthardt 1921:169.

3Ebd.: „Das Altertum kennt weder das Wort […] noch die Sache.“

4Melzer 1952:241+266. Vgl. auch Melzer 1965:65-66.

5Vgl. Melzer 1952:266-267 und Melzer 1965:65-73.

6Luthardt, 169.

7Zitiert nach SLT.

Religiösen Machtmissbrauch verhindern

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