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4. Mehrdeutigkeiten aushalten: Mündiger Glaube ist ambiguitätsfähig

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Das willentliche Aushalten einer anderen Meinung beschreibt das Wort Ambiguitätstoleranz. Ambiguitätstoleranz kann mit Unsicherheits- oder Ungewissheitstoleranz übersetzt werden. Es beschreibt die Fähigkeit, dass Menschen mit Mehrdeutigkeiten, Widersprüchlichkeiten, ungewissen und unstrukturierten Situationen oder unterschiedlichen Erwartungen, die an die eigene Person gerichtet sind, umgehen können. Ein erster beispielhafter Aspekt eines mündigen Glaubens ist somit, vieldeutige Aussagen und Situationen und unterschiedliche Positionen im Ringen um die Wahrheit aushalten zu können, ohne dabei Gleichgültigkeit zu entwickeln oder in aggressiven Eifer zu verfallen. Die eingangs beschriebene Freiheit des Glaubens ist dafür eine Grundvoraussetzung. Ambiguitätstoleranz ist dabei auch eine innere Haltung: den anderen trotz Schwierigkeiten auszuhalten, gerade wenn man unterschiedlicher Meinung ist. Der Apostel Paulus wusste schon, dass sein Wissen nur Stückwerk ist (1Kor 13,9) und dass ein Ringen mit anderen um das eigene Verständnis zum Glaubensleben dazugehört. Und ja, Ambiguitätstoleranz im Glauben ist manchmal auch schwer auszuhalten, gerade in Bezug auf geistliche Dinge, die einem selbst sehr wichtig sind. Oder weil Menschen mit einer großen Autorität und Sendung auftreten und selbstsicher verkünden, was sie für die Wahrheit halten. Aber wenn wir ehrlich sind, ist Gott manchmal nicht eindeutig zu verstehen. Gott spricht zu uns, keine Frage – durch die Bibel, durch die Natur, durch seinen Geist, durch Menschen, selbst durch Esel (4Mo 22). Aber manchmal wissen wir nicht, ob es Gott ist oder nicht. Was für die einen sonnenklar ist, zweifeln andere an. Was die einen als das Reden des Heiligen Geistes identifizieren, halten andere für das Zwitschern des eigenen Vogels. Deshalb ist ein gesundes Misstrauen gegenüber anderen, sich selbst und auch gegenüber dem, was man denkt, was Gott zu einem gesagt hat, gut und notwendig. Denn dieses Nicht-ganz-sicher-Sein hilft uns beim Einüben der eigenen Ambiguitätstoleranz. Aber jede Ambiguitätstoleranz hat auch Grenzen. Das ist normal und auch gut, denn wir alle haben und brauchen für unsere eigene Identität und Selbstvergewisserung auch Grenzen. Die Frage ist eher, wo diese Grenzen sind. Warum werden einfache Meinungsverschiedenheiten plötzlich zu identitätsstiftenden Glaubenskrisen? Aber es ist gut zu wissen, was uns bei allen Grenzen und Streitigkeiten verbindet. Es ist Christus. Er hält uns zusammen. Und zwar in aller Unterschiedlichkeit. Bei allen Spannungen und Streitigkeiten, in aller Ambiguitätstoleranz und darüber hinaus. Weil er es ist, der uns zusammenhält, wegen dem wir den anderen in seiner Meinung aushalten können. Er ist der Leib, der die verschiedenen Glieder zusammenhält, nicht wir. Was aber machen, wenn die Grenzen so überschritten werden, dass die eigene Ambiguitätstoleranz nicht ausreicht?

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