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2 Grenzüberschreitende Berufsbildung in der Großregion SaarLorLux I: Strukturen, Programme, Akteure

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Die Großregion SaarLorLux besteht auf deutscher Seite aus dem Saarland und Teilen von Rheinland-Pfalz, in Frankreich aus der ehemaligen französischen Region Lothringen (Departements Moselle, Meurthe-et-Moselle, Meuse und Vosges), dem Großherzogtum Luxemburg sowie der Wallonie (französische Gemeinschaft und deutschsprachige Gemeinschaft in Belgien). Mit einer Fläche von 65.401 km² und einer Bevölkerung von 11,6 Millionen Einwohnern gilt sie als größte grenzüberschreitende Region Europas (http://www.granderegion.net/; 07.05.2020). Sie ist nicht nur die größte grenzüberschreitende Region in Bezug auf Fläche und Bevölkerung, sondern auch die Region mit der höchsten Anzahl von Grenzgängern in der EU (täglich rund 240.000 Pendler; ebd.). Die überwiegende Mehrheit der Grenzgänger, im Jahr 2018 ca. 170.000, pendelt dabei ins Großherzogtum Luxemburg. Das Saarland zieht täglich 16.300 lothringische Pendler an, wohingegen die Zahl in umgekehrter Richtung sehr viel geringer ausfällt (Les offices statistiques de la Grande Région 2018: 17).

Die Durchlässigkeit der nationalen Berufsbildungssysteme und die Öffnung dieser Systeme, die durch die oben erwähnte EU-Politik ermöglicht wurde, ist zweifellos in den Arbeits- und Wirtschaftsregionen am deutlichsten spürbar, die jeweils an der Peripherie ihrer Nationalstaaten liegen.1 Das größte Potenzial für berufliche Mobilität zwischen benachbarten Regionen besteht dann, wenn bei geringer geographischer Entfernung deren wirtschaftliche Situation (z.B. Arbeitslosenquote) und demographische Strukturen voneinander abweichen, wie dies im Raum SaarLorLux der Fall ist (Les offices statistiques de la Grande Région 2018: 18). So sind etwa angesichts der alternden Bevölkerung im Saarland Anstrengungen erforderlich, um junge Menschen für eine (grenzüberschreitende) Berufsausbildung zu gewinnen; zugleich ist die Jugendarbeitslosigkeit in Lothringen vergleichsweise hoch. Eine Arbeitsmarktpolitik, die auf grenzüberschreitende Mobilität setzt, liegt daher nahe. Mit der im November 2014 unterzeichneten Rahmenvereinbarung über die grenzüberschreitende Berufsbildung in der Großregion (RVGR 2014)2 wurde hierfür ein politischer Rahmen3 geschaffen, der sowohl die Aus- als auch die Weiterbildung betrifft, und auf dessen Grundlage umfassendere Programme entwickelt werden konnten.4

Mittlerweile hat sich auf unterschiedlichen Ebenen ein dichtes Netz an grenzüberschreitenden Strukturen und Programmen etabliert, von Bildungseinrichtungen (Sekundarschulen, berufliche Schulen, Universitäten) über Arbeitsagenturen und Verbände bis hin zu einzelnen Unternehmen (vgl. auch Dörrenbächer 2018). Alle tragen zur Umsetzung, Ausweitung und Gestaltung grenzüberschreitender Ausbildungsmobilität auf ihrer Ebene bei.

Beispielhaft sollen im Folgenden einige dieser Akteure aus dem Schulbereich mit ihren Aktivitäten kurz vorgestellt werden, um das Spektrum der Kooperationen im deutsch-französischen (saarländisch-lothringischen) Grenzraum zu illustrieren.

Verschiedene berufliche Schulen im Saarland bieten grenzüberschreitende Ausbildungsgänge an. So arbeitet etwa das Berufsbildungszentrum (BBZ) St. Ingbert im Bereich Automobil mit dem Lycée André Citroën in Marly zusammen. Die Auszubildenden erhalten im Rahmen dieser Kooperation eigenen Französischunterricht, auch im fachsprachlichen Bereich. Vorgesehen im Ausbildungsprogramm sind außerdem zwei Tagesbesuche und ein einwöchiger Aufenthalt sowie zwei dreiwöchige Praktika in einem französischen Betrieb.5

Ein anderes Format wird beispielsweise im Technisch-gewerblichen Berufsbildungszentrum (TGBBZ) Dillingen praktiziert. Hier wird in der Abteilung Elektrotechnik regelmäßig ein Schüleraustausch mit der Partnerschule in Freyming-Merlebach organisiert. So haben im Januar 2020 sieben Schüler des Lycée Ernest Cuvelette in Freyming-Merlebach das TGBBZ Dillingen besucht. Die gemeinsame Arbeit umfasste fachliche (Installationsschaltungen) und metasprachliche Aspekte (Entwicklung eines deutsch-französischen Fachwörterbuchs). Eine ähnliche Veranstaltung ist demnächst an der lothringischen Partnerschule geplant.6

Eine dritte Variante ist schließlich z.B. im Technisch-gewerblichen Berufsbildungszentrum (TGBBZ 2) in Saarbrücken anzutreffen. Schülerinnen und Schüler im Ausbildungszweig Hotel- und Gaststättengewerbe haben die Möglichkeit, an einem deutsch-französischen Zweig teilzunehmen, in dessen Rahmen sie zusätzlich zum normalen Schulprogramm mindestens einmal an einem dreiwöchigen Azubi-Austausch mit Montpellier (inklusive Betriebspraktikum), regelmäßig an einem zweistündigen Zusatz-Sprachkurs Französisch sowie an mindestens einer Exkursion ins französischsprachige Ausland teilnehmen. Die Aktivitäten werden eigens bescheinigt.7

Ebenfalls u.a. mit Montpellier unterhält das Kaufmännische Berufsbildungszentrum (KBBZ) Halberg Austauschprogramme, die durch ProTandem (vormals das deutsch-französische Sekretariat für den Austausch in der beruflichen Bildung, DFS) finanziert und gerahmt werden. „Die Austausche in der beruflichen Bildung sind elementarer Bestandteil unserer Frankreichstrategie“, schreibt die Schule auf ihrer Homepage (http://kbbz-halberg.de/austausch/; 07.05.2020). Vorbereitet werden die Teilnehmenden des deutsch-französischen Berufsschulzweigs Tourismus darauf u.a. in einem Kurs „Maîtriser la communication professionnelle – Französisch mit Schwerpunkt: Sprechen“.8

Dieser kurze Blick auf bestehende Programme und Initiativen auf der Ebene der beruflichen Schulen9 verdeutlicht nicht nur die unterschiedlichen Branchen, sondern auch die verschiedenen Formate, in denen grenzüberschreitende Ausbildung im hier betrachteten Raum stattfindet:

 grenznah vs. grenzfern

 sporadische gegenseitige Besuche vs. strukturierte Programme

 durch die Schulen bzw. die jeweiligen Lehrkräfte organisiert vs. im Rahmen von spezifischen Mobilitätsprogrammen

 gestützt vs. nicht gestützt durch spezielle Sprachlehrangebote

 mit vs. ohne externe Zertifizierung.

Jedes dieser Formate impliziert spezifische Anforderungen an die sprachlichen Kompetenzen der Auszubildenden und folglich auch an die Lehr- / Lernszenarien, um sie angemessen auf solche grenzüberschreitenden Mobilitätserlebnisse vorzubereiten.

Im Unterschied zu den Schulen agiert die Fachstelle für grenzüberschreitende Ausbildung (FagA; frz.: Centre d’aide à la mobilité transfrontalière, CAMT) – ein Zweig der unternehmerischen Initiative Verbundausbildung Untere Saar e.V. (VAUS) – auf übergeordneter Ebene. Die FagA / CAMT, die seit 2016 im Rahmen eines Interreg-Projekts besteht (vgl. auch Dörrenbächer 2018: 292f.), organisiert und fördert Praktika für Jugendliche aus Lothringen, dem Saarland und der Westpfalz in den jeweiligen Nachbarländern, mit dem Ziel, durch konkrete organisatorische und finanzielle Unterstützung von Praktika und Ausbildungsaufenthalten im gewählten Land die Bereitschaft der Jugendlichen zu erhöhen, praktische Erfahrungen in den Nachbarländern zu sammeln. Damit soll letztlich ihre Beschäftigungsfähigkeit für den grenzüberschreitenden Arbeitsmarkt gestärkt werden.10 Die FagA / CAMT arbeitet vor allem grenznah und kann mittlerweile als wichtigster Akteur im Bereich der grenzüberschreitenden Berufsausbildung in der Großregion angesehen werden. Die Zahl der organisierten Praktika, insbesondere von Frankreich nach Deutschland, ist in den letzten Jahren stetig gestiegen. Der Erfolg des Angebots ist offensichtlich darauf zurückzuführen, dass es nicht nur grenzüberschreitende Praktikumsangebote sammelt, kommuniziert und finanzielle Unterstützung leistet, sondern auch aktiv auf alle relevanten Akteure zugeht. Dabei bewegen sich die Leistungen auf vielerlei Ebenen – vom Abschluss vertraglicher Vereinbarungen mit den Berufsschulen über den Kontakt zu Gastunternehmen bis hin zu einer sehr engen Begleitung der Jugendlichen (vgl. Nienaber et al. (im Druck)). Während allerdings bei den Aktivitäten und Programmen in den beruflichen Schulen der Aspekt des Sprachenlernens – wenn auch in unterschiedlichen Formen – mitgedacht wird, ist dies bei der FagA / CAMT zumindest bislang nicht der Fall. Entsprechend wird hier die Sprachbarriere als ein erhebliches Hindernis wahrgenommen: Ein großer Teil der Jugendlichen, die mit Unterstützung von FagA / CAMT ein Praktikum in einem Nachbarland absolviert haben, verfügte über geringe oder gar keine Sprachkenntnisse (A1-A2; ebd.).

Hier deutet sich an, dass für die Umsetzung des Slogans „Ab ins Nachbarland! – Grenzüberschreitende Ausbildung Saarland-Lothringen“, mit dem die IHK Saarland für eine grenzüberschreitende Ausbildung wirbt11, noch wichtige Arbeiten zu leisten sind.

Die Menschen verstehen: Grenzüberschreitende Kommunikation in Theorie und Praxis

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