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5. Ausblick

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Die Zeitschrift „Književni Jug“, radikales Organ des kulturpolitischen Jugoslawismus, geriet trotz konsequenter Zurückhaltung in realpolitischen Fragen in den Strudel der politischen Umbrüche. Die im realpolitischen Feld ausgetragenen Konkurrenzen um die Ausrichtung der südslawischen Monarchie im Spannungsfeld von Zentralismus und Föderalismus (deren entscheidende Frontlinie sich zunehmend zwischen den serbischen und den kroatischen politischen Parteien verfestigte), lassen auch manche Beiträge in dem integren integralistischen Organ im Zwielicht eines „Pseudo-Jugoslawismus“1 erscheinen. Diesen Eindruck konnten etwa literarische Beiträge vermitteln, in denen die erzählende Darstellung oder die lyrische Evokation serbischer Kriegserfahrung an jenen heroisch-märtyrologischen Mythenkomplex gemahnen, der auch in der Legitimation der semi-imperialen Ansprüche der zentralistischen Regierung eine wichtige Rolle spielte.2 Wenn im Beitrag eines jugoslawischen Patrioten aus Kroatien ein zentrales Element dieses Mythenkomplexes – die Sankt-Veits-Feier, die seit den Balkan-Kriegen Teil der offiziösen Erinnerungspolitik in Serbien war und als Teil des Kosovo-Mythos mit dem Anspruch auf eine Erneuerung des serbischen Reiches assoziiert wurde3 – in diffusen patriotischen Volten zu „unserer nationalen Religion, unserer jugoslawischen Religion“ erklärt wird,4 dann geht es um die Stilblüten eines längst bekannten Diskurses, der in dem aktuellen politischen Kontext allerdings neue Konnotationen entfaltete.

Als die Redaktion im letzten Heft der Zeitschrift in einem knappen Schlusswort5 ihre Aufgabe – nämlich „den Weg zu unserer endgültigen Vereinigung und Freiheit aufzuzeigen“ und darüber hinaus „in der Praxis den Grundstein zu legen für die zukünftige jugoslawische Literatur“ – für erfüllt und damit eine „hohe Mission“ für realisiert erklärte,6 verdeckte die optimistische Bilanz das personelle Auseinanderdriften im Schatten der politischen Entwicklung und ihrer zentripetalen und zentrifugalen Tendenzen. Exemplarisch hierfür ist das Verhältnis zweier exponierter Mitarbeiter der Zeitschrift:7 Der Herausgeber Ivo Andrić zog mit den meisten übrigen Redaktionsmitgliedern in die Hauptstadt des neuen Staates und begründete dort seine Karriere in staatlichen Diensten, während Miroslav Krleža – der seine projugoslawische Orientierung und seine intensive Zusammenarbeit mit Belgrader Autoren niemals aufgeben wird, der zentralistischen und royalistischen Gesinnung jedoch äußerst kritisch gegenüber stand und 1919 eine Abrechnung mit der diesbezüglichen Orientierung des Schriftstellerkreises um den „Literarischen Süden“ geplant haben soll – quasi demonstrativ in Zagreb blieb. Hier kehrten die Schriftsteller früher oder später auch zu der kroatischen Variante von Sprache und Schrift zurück: War die Unifizierung zeitgemäße Solidaritätsbekundung und antiprovinzieller Gestus gewesen, so wurde ihre Zurücknahme nun zum Signal der Distanzierung von unitaristischen Übergriffen und vom Pseudo-Jugoslawismus.

Die Konstellation aber, in der die skizzierte Programmatik einer integralen jugoslawischen Literatur das ‚Wesen der Nation‘ zu erfassen und die ‚jugoslawische Revolution‘ geistig zu fundieren versprach, blieb historisch einmalig. Nur hier bildeten eine ergebnisoffene politische Wende, der Grundkonsens der kulturellen Eliten und eine experimentierfreudige literarische Praxis zusammen genommen den Horizont einer realisierten Utopie.

Europa im Schatten des Ersten Weltkriegs

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