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4.8 Lebensgeschichte und Hier-und-Jetzt-Prinzip

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In der Tradition der Psychoanalyse kommt auch in der Gesprächspsychotherapie der Lebensgeschichte des Klienten große Bedeutung zu. Allerdings wird ein Rückbezug auf die Vergangenheit von Seiten des Therapeuten in keiner Weise forciert. Dem Klienten ist freigestellt, was er erzählt. Das kann sich auf seine aktuellen Probleme in seinem Alltag beziehen, auf die therapeutische Beziehung im Hier und Jetzt oder auch auf die Vergangenheit. Oft ergibt sich ein Rückbezug auf vergangene Erfahrungen durch ein Innewerden verbalisierter Erfahrungen in der Gegenwart i. S. Diltheys (s. o.).

Swildens (1988/2015) ist in seiner »Prozessorientierten Gesprächspsychotherapie«, in der er das menschliche Dasein nicht nur aus der Perspektive Humanistischer Therapeuten (u. a. Rogers, Finke und Yalom), sondern auch unmittelbar aus jener der Existenzphilosophie betrachtete, von dieser »Gegenwärtigkeit« insofern abgewichen, als er der Vergangenheit (sowie der Zukunft) besondere Bedeutung beimisst. Das kommt auch in zwei seiner wichtigsten Begriffe zum Ausdruck. Als Mythe bezeichnet er die Erzählung des Klienten über seine Lebenserfahrungen. Sie umfasst neben Sachverhalten u. a. auch Erklärungen, Verzeichnungen, Beschuldigungen, Entschuldigungen und blinde Flecken. Der Therapeut trägt dazu bei, die Mythe in ihrer Bedeutung für die Gegenwart und für die Zukunft zu erhellen. Eng verknüpft mit der Mythe ist der Begriff Alibi: Das von der Mythe motivierte Alibi vereinfacht, stilisiert und rechtfertigt die Lebensgeschichte des Klienten. Es handelt sich mithin um eine Selbsttäuschung, die bis zur Lebenslüge reichen kann. Klienten benutzen oft die Darstellung ihrer Vergangenheit als Alibi, als Anklage und/oder als Zufluchtsort, um in Zukunft nichts unternehmen zu müssen (z. B. »Ich kann nicht…«, »Ich wage es nicht…«, »Wenn nun erst…, dann…«). Nach Swildens helfen Therapeuten Klienten, ihre Mythe zu revidieren sowie ihr Alibi zu durchschauen und durch eine Haltung zu ersetzen, in der sie Verantwortung für ihre Situation und ihr Leben übernehmen, damit sie alternative Möglichkeiten erproben und entfalten bzw. ihr Verhalten in Zukunft verändern können (vgl. Swildens, 1988/2015, S. 26 ff.).

Demgegenüber ist in der Gestalttherapie die Gegenwärtigkeit konstitutiv. Ihr wird größere Bedeutung beigemessen als in der Gesprächspsychotherapie und insbesondere in der Prozessorientierten Gesprächspsychotherapie i. S. von Swildens. Für Gestalttherapeuten ist das Hier- und-Jetzt- Prinzip maßgebend (vgl. u. a. Maragkos, 2017, S. 51 f.). Demnach sind psychische Störungen darin begründet, dass Entwicklungsbedingungen Menschen dazu gezwungen haben, ihren Bezug zum »Hier und Jetzt« zu wenig zu beachten und dadurch ihr Sein in der Gegenwart zu unterbrechen. Das heißt, nur bestimmte organismische Zustände (Bedürfnisse, Gefühle, Empfindungen) wurden den Patienten bis anhin »erlaubt«, andere hingegen waren »verboten«. Dadurch werden die Möglichkeiten einer Person, am organismischen Lebensprozess teilzunehmen, systematisch eingeengt. Auf dem Hier- und-Jetzt-Prinzip basiert das Konzept der Reaktualisierung im Hier und Jetzt: So ist für einen Gestalttherapeuten »bedeutungsvoll«, wie sich ein Patient momentan über seine Vergangenheit verbal und nonverbal äußert. Was in der Vergangenheit war, wird allenfalls verändert in der Gegenwart reaktiviert (vgl. ebd., S. 122 f.).

Ideengeschichte der Psychotherapieverfahren

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