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5.2.2 Die frühe Systemtheorie

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Der Beginn der Systemtheorie wird i.A. in den 1940er Jahren verortet und mit Namen wie Ludwig v. Bertalanffy oder Norbert Wiener verbunden. Es sollte die Zersplitterung des Wissens in unterschiedliche Bereiche aufgehoben und mit der »general systems theory« eine allgemeine Theorie der Komplexität und zirkulären Verfasstheit lebender und nicht-lebender Systeme entwickelt werden. Man meinte, identische Gesetzmäßigkeiten in verschiedenen Wissensgebieten finden zu können, wenn man sich nur auf die Strukturen und deren Funktionen bezieht (Miller, 1978).

Inzwischen hat die Systemtheorie sich in eine Familie sich teils stark überschneidender Theorien ausdifferenziert (v. Schlippe & Schweitzer, 2019). Eine deutlich erkennbare Linie lässt sich zwischen der Kybernetik erster oder der zweiter Ordnung ziehen. Kybernetik erster Ordnung versucht, das regelhafte Zusammenspiel von Strukturen und Funktionen zu beschreiben und so das Funktionieren von Systemen zu erklären. Ein berühmtes Beispiel ist der Thermostat, der im Zimmer die Temperatur konstant hält, weil er in einem Regelkreis mit der Heizung im Keller verbunden ist und Abweichungen von Sollwert dorthin meldet. Analog wurden auch Familien in der frühen Zeit als regelgeleitete Systeme verstanden. Der Begriff »zirkuläre Kausalität« beschreibt, wie Aktivitäten, mit denen Menschen in Kreisläufe eingreifen, auf sie wieder zurückwirken (Hoffman, 2002); wie emotionale und Verhaltensprobleme in den Kontext der Familienbeziehungen »passen«. Symptome wurden funktional für die Aufrechterhaltung der Homöostase gesehen (etwa: Ein auffälliges Kind zieht die Aufmerksamkeit beider Eltern auf sich und verhindert so, dass die Streitigkeiten der Eltern ein bestimmtes Maß überschreiten).

Der damit verbundene Anspruch, Systeme steuern zu können, wurden schon bald in Frage gestellt. Vor allem das Buch Ökologie des Geistes von Gregory Bateson (1904–1980) ebnete den Weg zu einer »Kybernetik zweiter Ordnung«. Zahlreiche noch heute populäre Kernbegriffe führte Bateson explizit in dem Feld ein, etwa den des Geistes, den er aus der Transzendenz in das menschliche Zusammenwirken hineinholte oder den des Musters (»the pattern which connects«), das Menschen über Kommunikation miteinander und mit der Welt verbindet. Bateson suchte eine Sprache zu finden, die Trennung aufhebt und Verbundenheit betont, indem er nicht mehr die Einzelperson zum Ausgangspunkt des Nachdenkens machte: »Was denkt, ist das Gesamtsystem, das sich auf Versuch und Irrtum einlässt, nämlich der Mensch plus die Umgebung« (Bateson, 1981, S. 620). Seine Aussagen über die Folgen, wenn Verbundenheit verkannt wird, sind heute erschreckend aktuell: »Wir wollen nun überlegen, was passiert, wenn man den erkenntnistheoretischen Fehler macht, die falsche Einheit auszuwählen: man gelangt zu dem Ergebnis, Spezies versus die andere Spezies um sich herum oder versus die Umwelt, in der sie wirkt. Mensch gegen Natur. Das Ende ist dann in der Tat, dass die Kaneohe Bay verschmutzt ist, der Eriesee eine schleimige grüne Scheiße, und die Forderung: ›Bauen wir größere Atombomben, um die nächsten Nachbarn auszurotten!‹ … [Es] handelt sich … um erkenntnistheoretischen Schwachsinn und führt unausweichlich zu verschiedenen Arten von Katastrophen« (ebd., S. 621 und 625, Hervorhebung i. Org.).

Die Systemtheorie entwickelte sich mehr und mehr zu einer Erkenntnistheorie. Betrachtet wird die Frage, was Menschen alles dazu tun, damit sie die Welt als die wahrnehmen, als die sie ihnen erscheint. Es geht um Prozesshaftigkeit: Die Selbstorganisation lebendiger (physischer, psychischer oder sozialer) Strukturen wird interessant: Eine Zelle ist nicht das »Ding« Zelle, sondern der Prozess, über den sie sich in ihren Bestandteilen immer wieder reproduziert (Maturana, 1982; Maturana & Varela, 1987). Ein psychisches System ist durch die Muster gekennzeichnet, wie psychische Prozesse (Gedanken, Gefühle) aneinander anschließen (Ciompi, 2005). Soziale Systeme bestehen aus Kommunikationsmustern, über die Menschen gemeinsam Sinn und Sinnstrukturen erzeugen, die sich in Erwartungsstrukturen niederschlagen (Luhmann, 1984; Simon, 2007).

Mit diesen Veränderungen begab sich die Systemtheorie auf den Weg zur Kybernetik zweiter Ordnung. Von einer Gegenstandstheorie, einer Theorie über »das Wesen der Dinge«, entwickelte sie sich zu einer Theorie über das Erkennen: Die Welt ist nicht denkbar, ohne Wahrnehmung von Beobachtern miteinzubeziehen.

Ideengeschichte der Psychotherapieverfahren

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