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5.3.4 Verhaltenstherapeutische und kognitiv-behaviorale Familientherapie
ОглавлениеUnabhängig von den systemischen Ansätzen entwickelten sich Formen von Paar- und Familientherapie, die sich explizit auf die akademische Familienpsychologie und auf Lerntheorien bezogen (Perrez, 2012). Sie arbeiten i. d. R. stärker edukativ, also mit Erklärungen und Training, verstehen sich aber ebenfalls als »Paar- bzw. Familientherapie« und beziehen oft auch systemtheoretische Überlegungen mit ein. Zentral aber ist die Anwendung der Lerngesetze und der Arbeit mit kognitiven Schemata/kognitiver Umstrukturierung auf Mehrpersonensysteme, etwa in der Arbeit mit Paaren (Schindler, Hahlweg, & Revenstorf, 2019). Die Ansätze sind vielfältig, exemplarisch werden hier einige aufgelistet (für einen Überblick s. T. Patterson, 2014; s. a. Lieb, 2009):
• Gerald Patterson wird der Ausspruch zugeschrieben: »In God we trust, all others, bring data«. In seinem »Oregon model of parent management training« geht es um »improving parenting practices«, d. h. Eltern werden in Gruppen mit programmierten Arbeitsmaterialien darin geschult, unerwünschte Verhaltensweisen ihrer Kinder (ein Schwerpunkt lag auf denen, die stark aggressives Verhalten zeigten) unter Anwendung von Verstärkungsprinzipien zu verändern (s. G.R. Patterson, 1990).
• Auch Robert Liberman verstand seinen Ansatz explizit als verhaltenstherapeutischen Zugang zum Familiensystem (Liberman, 1970). Er führte das Üben in Rollenspielen und das Lernen am Modellsowie Prinzipien des gegenseitigen Verstärkens in die Paartherapie Erwachsener ein, etwa bei Problemen wie Depression oder chronischem Kopfschmerz.
• Die Bedeutung gegenseitiger positiver Verstärkung zwischen Ehepartnern (»reinforcement reciprocity«) betonte Richard Stuart. Er erarbeitete mit den Klienten »Kontingenzverträge«, also Vereinbarungen, die auf der Logik gegenseitigen Austauschs beruhen, etwa in dem Sinn der Frage: »Was geb’ ich dir, was gibst du mir?« (Stuart, 1998).
• Norman Epstein and Donald Baucom führten kognitive Verfahren in die Paartherapie ein. Sie kombinierten Elemente der Verhaltenstherapie mit dem Fokus auf beobachtbares Verhalten und mit kognitivem Vorgehen (CBT), indem sie den Schwerpunkt auf Schemata oder Glaubenssätze legten (Epstein & Baucom, 2002; vgl. auch T. Patterson, 2014).
• Weltweit bekannt wurden die Arbeiten des Paartherapeuten John Gottman. Er sagte die Zufriedenheit und künftige Stabilität einer Paarbeziehung aus dem Verhältnis positiver zu negativer Kommentare der Partner übereinander vorher: Wenn fünfmal so viele positive wie negative Interaktionen erfolgen, bleiben beide mit hoher Wahrscheinlichkeit zusammen. Dagegen kündigen die »apokalyptischen Reiter« hemmungslose Kritik, Abwehr, Rückzug und Verachtung den Zerfall der Beziehung an (Driver, Tabares, Shapiro & Gottman, 2012; Gottman, 2002).
In den USA besteht zwischen verhaltenstherapeutischen und systemtherapeutischen Ansätzen ein viel engerer Austausch als in Europa (Birchler & Spinks, 1980). Behaviorale Techniken werden oft als wirkungsvolle Einzelmaßnahmen in ein systemisches, insbesondere strukturelles und strategisches Gesamtkonzept integriert, etwa in der funktionalen Familientherapie (Alexander, Sexton, Kaslow & Kaslow, 2002), in der »behavioral family systems therapy« (BFST, s. Robin & Foster, 1989) oder in den multisystemischen (Borduin, 2009) und multidimensionalen Familientherapien (Diamond & Liddle, 2010). Das mag damit zu tun haben, dass die Rezeption der Systemtheorie in den USA sich mehr auf die Modelle der Kybernetik erster Ordnung bezieht. Der Fokus auf Erkenntnistheorie ist wohl eine Besonderheit im deutschsprachigen Raum. Es sind wohl weniger der »Methodenkoffer« und die »Störungsorientierung«, die beide Ansätze grundlegend voneinander unterscheiden (hier gibt es durchaus Berührungspunkte, s. Lieb, 2009), sondern die zugrunde liegende Erkenntnistheorie (vgl. Lieb, 2010).