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5.3.2 Mehrgenerationen- Familientherapie

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Der Mehrgenerationenansatz in der Familientherapie ist im psychoanalytischen Denken verwurzelt. Unsichtbare Bindungen und Aufträge, die über die Generationen hinweg weitergegeben wurden, sollen bewusst gemacht und bearbeitet werden. Eine der Gründerfiguren war Ivan Boszormenyi-Nagy (1920–2007). Kern seiner Theorie ist der Blick auf die »Beziehungskonten«, die in Familien geführt und von den Mitgliedern untereinander »verrechnet« werden (Boszormenyi-Nagy & Spark, 1981; Stierlin, 1997, 2005). Wenn langfristig ein »Konten- und Gerechtigkeitsausgleich« versagt bleibt, wenn die Balance von Geben und Nehmen verlorengeht, dann steht die Stabilität von Beziehungen auf dem Spiel. Psychische Störungen werden als Teil von Auseinandersetzungen um Beziehungsgerechtigkeit gesehen.

Die frühen Gründerpersönlichkeiten waren oft mit schweren psychischen Störungen konfrontiert, deren Rätsel sie zu entschlüsseln versuchten. Insbesondere erschienen die schwer einfühlbaren Symptome schizophrener Patienten in ganz anderem Licht, wenn sie in größeren Zusammenhängen gesehen wurden. Beispielhaft sollen hier die Konzepte einiger Pioniere erwähnt werden.

• Murray Bowen (1913–1990) ging davon aus, dass chronische Ängstlichkeit von Einzelnen und in Familien eine Gemengelage von »emotionaler Fusion« und geringer »Differenzierung des Selbst« fördert. Zur Bewältigung ihrer Angst ziehen zwei Menschen oft einen Dritten in ihre angstgeprägte Beziehung mit hinein (sie »triangulieren« ihn), was längerfristig Problemlösungen erschwert. Schizophrenen Symptomen liegt nach Bowen ein mehrgenerationaler Prozess schwacher Selbstdifferenzierung und emotionaler Fusion zu Grunde (Groß, 2012). In der Therapie lernen die Familienmitglieder, »engagiert, aber nüchtern« auf die Fusions- und Differenzierungsprozesse in ihren Beziehungen zu blicken und sich diesen Familienprozessen gut dosiert auszusetzen, ohne sich wieder »triangulieren« zu lassen.

• Theodore Lidz (1910–2001) beschrieb Zusammenhänge zwischen ehelichen Konflikten (eheliche Strukturverschiebung, »marital skew«, sowie Ehespaltung, »marital split«) und den als schizophren diagnostizierten Kindern, die in Loyalitätskonflikten gefangen waren.

• Lyman Wynne (1923–2007) benutzte die Begriffe »Pseudogegenseitigkeit« und »Pseudofeindschaft« als metaphorische Beschreibungen fassadenhafter Kommunikation. Der »Gummizaun« ist eine unsichtbare Barriere, die Familienmitglieder am erfolgreichen Kontakt mit der Außenwelt hindert.

• Wie die vorgenannten Pioniere kam auch der Gründervater deutschsprachiger Familientherapie Helm Stierlin (*1926) von der Psychoanalyse her. Er schließt mit dem »Delegationskonzept« an den Ansatz von Boszormenyi-Nagy an. Für ihn sind die Beziehungsmodi »Bindung« und »Ausstoßung« bedeutsam, durch die die Familie die Balance zwischen Bezogenheit und Individuation finden muss. Bei zu starkem Bindungsmodus wird es für die Familienmitglieder schwer, sich als abgegrenzte und eigenständige Persönlichkeit zu erleben. Zu starke Individuation kann mit Ausstoßung, Isolation und einem fehlenden Zugang zur inneren Welt des jeweils anderen einhergehen. Zwischen diesen ungesunden Extremen liegt die »bezogene Individuation« (Stierlin, 1989, 2001). Delegationen sind über Generationen hinweg fortbestehende elterliche Aufträge, die entgleisen können, wenn sie nicht mit den Fähigkeiten oder Bedürfnissen des Delegierten zusammenpassen.

• Die Bücher des Psychoanalytikers Horst Eberhard Richter (1923–2011) Eltern, Kind und Neurose und Patient Familie wurden in Deutschland in den 1960er und 1970er Jahren stark diskutiert. Sie verstanden kindliche Fehlentwicklungen als symptomatischen Ausdruck unbewusster Konflikte bzw. »narzisstischer Projektionen« der Eltern auf das Kind (Richter, 1963, 1972). Betroffen ist die ganze Familie und das Kind ist nur Indikator des Familienkonfliktes – eine damals durchaus revolutionäre Sicht für eine psychoanalytische Behandlungsmethode.

• Der Göttinger Psychoanalytiker Eckhard Sperling (1925–2007) entwickelte mit Almuth Massing und Günter Reich eine Praxis dreigenerationaler Familientherapie, in der neben Familien- und Paarsitzungen in der Mitte des Therapieverlaufes auch Sitzungen der Eltern mit ihren jeweiligen Eltern stattfinden, um früher Unausgesprochenes thematisieren zu können, Konfliktaustragung und Versöhnung nachträglich zu ermöglichen, der Großelterngeneration mehr »Seelenruhe«, der mittleren Generation mehr erlebte Autonomie zu verschaffen (Reich, Massing & Cierpka, 2007).

Ideengeschichte der Psychotherapieverfahren

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