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Der Mensch wird des Weges geführt, den er wählt
ОглавлениеDie Geschichte meines Gebetslebens ist untrennbar verbunden mit meiner Kindheit und Jugend in einer Diktatur, die Freiheit nur als das Sich-Entscheiden für eine bestimmte politische Meinung verstand, die in der DDR zudem streng vorgegeben war. Somit ist es nicht verwunderlich, dass ich die katholische Gemeinde der Franziskaner in Halle/Saale als einen Raum der Freiheit und Geborgenheit in einem atheistischen, religiösen Glauben ablehnenden Umfeld erlebt habe. Besonders das aktive Mittun und Übernehmen von Verantwortung als Ministrant und Lektor in den vielen und vor allem auch feierlichen Gottesdiensten und die damit verbundene Gruppenzugehörigkeit waren wichtig, aber auch das Erleben von jugendlicher Gemeinschaft der freitäglichen Jugendmesse mit anschließendem Treffen zum Austausch. Prägend für mich war das Erleben sehr unterschiedlicher Franziskaner in der Pfarrei, die dort in Gemeinschaft lebten. Sie legten den Grund für ein Selbstverständnis in meiner heute sehr freiheitlichen Beziehung mit Gott. Im 1987 in Erfurt begonnenen Studium der Theologie bekam ich ein geistliches Lesebuch in die Hand, dessen Titel mich seitdem begleitet und mir immer wieder in den Sinn kommt. »Der Mensch wird des Weges geführt, den er wählt« (Johannes Bours).
Ich wähle, ich entscheide, ich bin frei! Das war in der Diktatur eine meiner tiefsten Sehnsüchte, die äußerlich nur sehr begrenzt erfahrbar, faktisch nur innerlich erfüllbar war. Dort aber habe ich eine Form der Freiheit erfahren, die ich als geschenkt erlebt habe und die sich von äußerer Bewegungs- und Wahlfreiheit unterscheidet, für die ich unendlich dankbar bin. Mein Beten war – und ist es auch heute – oft ein Zwiegespräch mit Jesus Christus, wo ich sehr oft das Gefühl hatte, er antwortet, schenkt mir fühlbaren inneren Frieden, den ich oft ohne erkennbare Ursache spüren durfte. Manchmal waren es nur wenige Augenblicke. Für mich war diese Form, Ihn zu spüren, eine Realität, die zu einem Schatz wurde, tief in meinem Inneren, und mich gestärkt hat, einem politischen System zu widerstehen, das ich von Herzen abgelehnt habe. Und wenn es nur die Kraft war, einem Vorgesetzten ins Gesicht zu sagen, katholisch und aktiv in der Kirche zu sein. Die Konsequenzen solcher Äußerungen waren nicht absehbar. Nun kann ich sagen, ich hatte einfach Glück, aber das genügt nicht.
Durch diese Beziehung mit Jesus Christus erlebe ich bis heute dieses Glück als Führung. Ich glaube, dass ich mich in bewusstem Wählen und Entscheiden von Ihm geführt und gehalten weiß. Heute bin ich Jesuit. Mich fasziniert der hl. Ignatius von Loyola mit seiner Art der Gottsuche und -erfahrung, seiner Art zu unterscheiden, was hilfreich für mein Leben ist und was mich vom guten Weg abbringt. Diese aktive Spiritualität, die mich in eine große Freiheit setzt, beflügelt mein Leben und gibt mir Kraft, so manches Schwierige im Leben zu meistern. Mein Beten sieht also oft so aus, dass ich im Zwiegespräch mit dem Herrn zu einer Entscheidung komme und mich, durch den Glauben, von Ihm geführt zu wissen, zu Lebensentscheidungen stehen kann, auch wenn es oft genug schwer ist.
Michael Beschorner SJ, Dresden, geb. 1963