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Im Wort bleiben

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Für mein Gebetsleben prägend war das Jahr vor meinem Ordenseintritt, das ich als Student im Heiligen Land verbrachte. Unvergesslich bis heute die überwältigende Stille eines Wüstenaufenthaltes auf dem Sinai. Geradezu physisch erfuhr ich damals, dass das Wort in der Stille und im Schweigen empfangen wird. An jedem Heiligen Abend denke ich daran zurück, wenn es in der Liturgie heißt: »Als tiefes Schweigen das All umfing und die Nacht bis zur Mitte gelangt war, da sprang dein allmächtiges Wort vom Himmel, vom königlichen Thron herab …« (Weish 18,14f). Ein Leben ohne regelmäßige Tage des Schweigens, um das Wort wieder neu zu empfangen, ist für mich seit damals nicht mehr vorstellbar.

So deutlich und unverwechselbar ich immer wieder das Wort vernommen habe und vernehme, gab und gibt es auch Zeiten, in denen ich sehr unter der Zerstreuung im Alltag leide und die Fokussierung auf das Wort einfach nicht gelingen will. Gerade in diesen Zeiten aber wächst mein Hunger nach dem Wort spürbar. Umso beglückender, wenn es dann plötzlich und unerwartet zu einer Begegnung mit dem Wort kommt, sei es in der Stille der Kammer, sei es in einer menschlichen Begegnung. Nicht selten halte ich beim Beten des Stundengebetes der Kirche dankbar Rückschau, wie mich das Wort während des Tages überrascht hat: »Kamen Worte von dir, so verschlang ich sie; dein Wort war mir Glück und Herzensfreude« (Jer 15,16).

Mein Selbstverständnis als Jesuit und Priester speist sich wesentlich aus der Botschaft von der Menschwerdung: »Und das Wort ist Fleisch geworden« (Joh 1). Auf Menschen am Rande zuzugehen kostet mich fast immer Überwindung. Und doch habe ich gerade in Begegnungen mit Armen und Kranken, Trauernden, Flüchtlingen und Drogenabhängigen erstaunliche Erfahrungen der Nähe Gottes gemacht. Das Wort führt mich zum Fleisch und das Fleisch zum Wort.

Wenn beim (Stunden-)Gebet oder bei der Lektüre anderer geistlicher Texte ein Vers oder ein Satz zu mir spricht, unterstreiche ich diesen bisweilen mit roter Tinte. Eine Zeitlang – ich nenne es meine »Wanderjahre« – habe ich persönliche Melodien zu einzelnen Bibelversen erfunden, um sie so besser zu behalten. Bis heute begleiten mich diese auf Reisen und Spaziergängen. Begonnen hat das in der Kapelle des Maison d’Abraham in Jerusalem, in der ich an einem besonders heißen Tag Zuflucht gefunden hatte. In jeder Hinsicht ausgedürstet, suchte ich in einer dort bereitliegenden französischen Bibel nach etwas, was meinen Durst stillen könnte, und stieß auf folgenden Vers, der übersetzt lautet: »Wenn ihr in meinem Wort bleibt, seid ihr wirklich meine Jünger. Dann werdet ihr die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen« (Joh 8,31–32). Das »Vier-Stufen-Programm« dieses Verses begleitet mich bis heute. Als im Zusammenhang mit dem Missbrauchsskandal viele kirchliche Verantwortliche von Angst und Sorge um den Ruf der Kirche erfüllt waren, habe ich es täglich wie ein Mantra für mich selbst wiederholt: »Die Wahrheit wird euch frei machen.«. Und das Wort hat Wort gehalten.

Stefan Dartmann SJ, Freising, geb. 1956

Wie betest du?

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