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Pass mir auf den Jörg auf!
ОглавлениеIch gehöre zu den Menschen, die denken: Gott braucht nicht unser Gebet. Wir müssen ihn nicht bestürmen. Er lässt seiner Schöpfung die Gesetzlichkeit und uns den Freiraum und wirkt nicht immer Überraschendes oder gar Wunder, nur damit wir in unseren Wünschen oder unseren Nöten gestärkt werden. Aber ich merke, dass ich sehr gerne bei vielen Anlässen, besonders während der Eucharistiefeier, Menschen in mein Gebet einschließe, die mir nahestehen oder in Not sind – und vor allem dort, wo ich keine Lösung sehe.
Dafür habe ich wahrscheinlich neben einer positiven Grundentscheidung für das regelmäßige Schweigen und Beten – ich unterscheide beides nicht wirklich – einen Impuls erhalten, der für mich immer neu Ansporn ist: Eine Ordensfrau und Mathematiklehrerin an einem Gymnasium in Augsburg hatte ein paar Mal Exerzitien gemacht, die ich begleiten durfte. In ihrer Gemeinschaft hielt man sie für eine tiefgläubige Frau; in Wirklichkeit war sie von vielen Zweifeln geplagt und zeitlebens eine ringende und suchende Schwester, die eher eine Gottesferne verspürte als das Empfinden hatte, in Gottes Händen geborgen zu sein. Diese Schwester wurde mir nicht nur durch viele Exerzitien zu einer Freundin. Vielmehr wusste sie durch Gespräche mit mir, dass auch für mich viele Fragen offen waren und ich keine Antwort, geschweige denn Lösungen für persönliche Nöte habe. Das hat sie aber nicht abgehalten, immer wieder einmal Exerzitien zu machen und sich von mir begleiten zu lassen.
Und dann ging sie jeweils ein wenig gestärkt oder auch getröstet nach Hause in ihren eigenen Konvent. Die Fragen und Nöte blieben, sie konnte sie aber ertragen oder sogar oft tragen. Aber was tat diese Schwester? Jeden Abend, bevor sie selbst ins Bett ging, machte sie noch den Gang in die Hauskapelle ihres Klosters und verweilte dort mit ihren eigenen Fragen und mit Gedanken zum ausklingenden Tag in der Dunkelheit des Kirchenraumes. Nur das rote Lichtlein flackerte und deutete ihr an, dass Christus zugegen ist, auch wenn sie dieses nicht greifen und schon gar nicht begreifen konnte. Und am Ende sagte sie in ihrem Herzen und in die Dunkelheit hinein: »Guter Gott, pass mir auf den Jörg« – also mich – »auf; der hat es nötig, dass Du ihm zur Seite stehst.«
Dass eine Mutter, ein Vater für die Kinder beten; dass wir als Kinder für unsere Eltern Hoffnungen und Wünsche an Gott herantragen, das ist fast »natürlich«. Aber dass jemand, der selbst um den Glauben ringt und an einer bitteren Gottesferne leidet, sich dennoch Tag für Tag dieser Bitte erinnert und sie ausspricht: »Guter Gott, passe mir auf den Jörg auf!«, das nimmt mich in die Pflicht. Und diese Pflicht ist weniger ein »Auch du musst beten!«, sondern eine Einladung: »Lasse andere erfahren, dass es dich, guter Gott, gibt; dass wir dir nicht gleichgültig sind; dass du uns liebst.« Seit dieser Zeit empfinde ich den 139. Psalm als eines der schönsten Gebete, die ich kenne: »Herr, du hast mich erforscht und du kennst mich. Ob ich sitze oder stehe, du weißt von mir. Noch liegt mir das Wort nicht auf der Zunge – du, Herr, kennst es bereits. Du umschließt mich von allen Seiten und legst deine Hand auf mich …«
Jörg Dantscher SJ, Nürnberg, geb. 1941