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Richard E. Lompa

Dieses Kapitel, das sich mit ethischen Fragen in der Praxis der Gestalttherapie auseinandersetzt, ist ein sehr wichtiger und interessanter Beitrag zum Wesen dieser Publikation, die ein breites Spektrum praktischer Anwendungen dieser Therapie bietet. Ethischen Überlegungen wurde in der Vergangenheit in der theoretischen gestalttherapeutischen Literatur oft nur minimale Aufmerksamkeit zuteil. Ausbildungsprogramme für GestalttherapeutInnen haben erst in den letzten zehn Jahren diese Themen in ihr Curriculum aufgenommen. Daher ist jeder Versuch willkommen, dieses Thema in den Fokus der gestalttherapeutischen Praxis zu bringen und Richtlinien zu bieten, die der GestalttherapeutIn helfen, mit den komplexen Situationen umzugehen, mit denen sie/er sich konfrontiert sieht. Wie viele meiner KollegInnen habe auch ich oft mit dem Auftauchen von ethischen Fragen und/ oder Dilemmata zu kämpfen, die sich im Beziehungs-Feld abspielen, einem so unverzichtbaren Konzept unserer Praxis. Dieses Kapitel zu lesen hat mein Bewusstsein im Hinblick auf meine persönliche Position in meinem Beitrag zum Beziehungsfeld gesteigert, das an der Kontaktgrenze entsteht.

Dan Bloom verdient Respekt und Anerkennung für seine dynamische und eingehende Auseinandersetzung mit einem großen Teil der aktuellen Literatur. Diese Publikationen tragen zu genauen Betrachtungen der Auswirkungen bei, die ethische Konzepte auf unsere Arbeit als TherapeutInnen und auf jene Menschen haben, die GestalttherapeutInnen konsultieren. Das Konzept der situativen Ethik als Ethik des phänomenalen Grundes, der Lebenswelt, ist ein Konzept, das zum Kern unseres Menschseins in Interaktion mit unseren Mitmenschen vordringt. Dieses Konzept ist Ausdruck der aktuellen Überlegungen des Feldes, die die Gestalttherapie als Psychotherapie der Situation hervorheben.

Goodman (Perls / Hefferline / Goodman 2006, 21 ff.) stimmt mit den Gestalttheoretikern überein, wenn er postuliert, dass man, um das eigene Verhalten zu verstehen, jede Art von Gedanken, Gefühl und Handlung in der momentanen Gesamtsituation bestimmen muss. Das heißt, man muss die Struktur der aktuellen Situation eines Menschen und seiner phänomenalen Umgebung definieren, was impliziert, dass das Verhalten eine Funktion der psychischen Situation ist. Die Bedeutung der Feldperspektive wird zunehmend relevanter. Wollants folgt dieser Überlegung, wenn er sagt, dass

[…] eine unterstützende Situation eine Situation ist, in der ein Mensch selbst-unterstützend sein kann, während er von der Unterstützung anderer abhängig ist. Selbst-Unterstützung ist unmöglich ohne eine Unterstützung aus der Umwelt. (Wollants 2007, 43)

Dies steht im Einklang mit der aktuellen Strömung weg von einer Praxis der Gestalttherapie als monopersonalem Ansatz, hin zu Therapie, die die sich entwickelnde Beziehung im therapeutischen Feld der TherapeutIn und der KlientIn anerkennt. Diese Betonung der Beziehung fördert eine Entwicklung in einen multipersonalen Ansatz, zu einem anderen Fokus.

Aus meiner Erfahrung im therapeutischen Feld schließe ich, dass die Vertrautheit und die daraus entstehenden Verwundbarkeiten beider Parteien umso mehr in den Vordergrund rücken, je mehr sich das Augenmerk auf das Beziehungsfeld von TherapeutIn und KlientIn richtet. Eben diese Verwundbarkeiten machen das ethische Verhalten beider Parteien so grundlegend wichtig. Es wird sehr wichtig für die GestalttherapeutIn, sich dieser Verwundbarkeiten bewusst zu werden und Strategien zu entwickeln, sich in ihrer psychotherapeutischen Praxis mit KlientInnen mit diesen Themen zu befassen.

Obwohl ich dieses Kapitel sehr schätze, muss ich auch eine kritische Bemerkung machen. Dan Bloom stellt klinische Beispiele von Treffen zwischen TherapeutIn und KlientIn vor, um seinen Standpunkt zu belegen. Dennoch bleibt bei mir oft ein Gefühl der Verwirrung zurück: Besonders zu Anfang des Kapitels bleibt die Botschaft, die präsentiert wird, und ihrer Verbindung mit den angestellten ethischen Überlegungen unklar. Als Leser sehe ich mich mit der Idee konfrontiert, dass ich auf meine eigenen Erfahrungen als Gestalttherapeut zurückgreifen muss, um Beispiele für die Bedeutung der ethischen Überlegungen zu finden. Ich kann das selbst, doch mir fehlt die Unterstützung des Autors. GestalttherapeutInnen, die sich am Anfang ihrer beruflichen Laufbahn befinden, sind vielleicht noch verwirrter, weil sie weniger Erfahrung mit den Beziehungen haben, die im therapeutischen Feld entstehen.

Dan Blooms Erklärung der Konzepte von intrinsischer und extrinsischer Ethik und ihrer Unterschiede hilft der GestalttherapeutIn dabei, die Verwirrung aufzulösen, die in der klinischen Praxis oft entsteht. Hier machen die beiden klinischen Beispiele deutlicher, wie subtil diese beiden ethischen Konzepte sich an der Kontaktgrenze vermischen und welchen Einfluss diese Vermischung auf die phänomenologische Methodologie der psychotherapeutischen Praxis hat.

In einem der Beispiele stellt der Autor eine Klientin vor, die sich von ihrem früheren Therapeuten sehr beschämt fühlt und um eine Sitzung bittet, um ihr Vertrauen in einen Therapeuten und seine therapeutische Rolle wiederherzustellen. Dies ist ein schmerzvolles Beispiel, das aus dem Verhalten des Therapeuten resultiert. Ich denke, dass das Auftauchen von Scham in einer therapeutischen Beziehung immer ein Signal ist, sich mit ethischen Fragen auseinanderzusetzen. Ich beziehe mich dabei nicht auf die möglicherweise beschämende Erfahrung der KlientIn, die um Hilfe bitten muss, sondern auf die Erfahrung, die im therapeutischen Feld stattfindet. Scham ist ein Gefühl, das den Prozess der Selbstverwirklichung eines Menschen blockiert. Lee (1996, Vorwort, xii) führt aus, dass man sich, wenn Psychotherapie beziehungsorientiert ist und wenn Scham beziehungsorientiert ist, mit der Dimension der Scham im therapeutischen Feld befassen muss und dass es zu diesem Zweck neuer theoretischer Werkzeuge bedarf.

Unsere Aufgabe als PsychotherapeutInnen ist es, den Prozess der Selbstverwirklichung zu unterstützen und zu fördern, der den Menschen befähigt, sich kreativ an die aktuellen und kommenden Situationen des Lebens anzupassen. Alle Erfahrungen, die an der Kontaktgrenze im therapeutischen Feld stattfinden, müssen integriert werden und eine Bedeutung verliehen bekommen, die diese Anpassung unterstützt. Dabei handelt es sich um einen kreativen Prozess, und jede Behinderung dieses Prozesses, die sich in der Beziehung zwischen TherapeutIn und KlientIn herausbildet, muss als eine mögliche Ausbeutung von einer oder beiden Parteien bewertet werden. Aus diesem Grund impliziert für mich jedes Hemmnis, dass es sich um eine unethische gestalttherapeutische Praxis handelt. Meiner Meinung nach kann die Scham, die man im Beziehungsfeld der Therapie erlebt, zu einem Indikator einer unethischen Praxis werden. Die Möglichkeit dieser beziehungsorientierten Verbindung verlangt nach weiterer Untersuchung und fortgesetzter Reflexion.

Abschließend treten Aufregung und Dankbarkeit in den Vordergrund, wenn ich Dan Blooms umsichtige und eingehende Abhandlung ethischer Überlegungen in der gestalttherapeutischen Praxis lese. Er präsentiert viele Ideen und Betrachtungen, die zu weiterer Diskussion und einem Erfahrungsaustausch auf einem Gebiet beitragen werden, das für die therapeutische Praxis von höchster Relevanz ist. Auf diese Weise wird diesem Aspekt der psychotherapeutischen Praxis die Aufmerksamkeit zuteil, die ihm im psychotherapeutischen Alltag zukommt.

Gestalttherapie in der klinischen Praxis

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