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1. Der politische Kontext: Der Wunsch, dass die Gestalttherapie in der starken Konkurrenz des psychotherapeutischen Berufs besteht

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Als GestalttherapeutInnen erscheinen wir oft naiv in unserer Vorstellung, ungeachtet des sozialen und politischen Kontextes, in dem wir arbeiten, weiterhin frei praktizieren zu können. Doch ein kalter Wind weht durch Europa, ein kalter Wind, der evidenzbasierte Praxis, gesetzliche Regelungen, berufliche Vorschriften und manualisierte Behandlungen zu uns bringt. Diese Entwicklungen beeinflussen die klinische Praxis bereits. Können wir weiterhin so frei und liberal praktizieren wie in den letzten 50 Jahren? Während ich schreibe, wurde in einem weiteren Land, nämlich in Frankreich, der Titel Psychotherapeutln auf PsychologInnen und ÄrztInnen beschränkt.1 Dies ist trotz der ehrgeizigen und prinzipientreuen Vision der Europäischen Vereinigung für Psychotherapie geschehen, die sich seit ihrer Gründung 1991 für die Einrichtung einer unabhängigen Berufsrichtung der Psychotherapie einsetzt (EAP, Straßburger Deklaration zur Psychotherapie). Eva Gold und Stephen Zahm sind weise, wenn sie GestalttherapeutInnen mahnen, sich »kreativ an den aktuellen Zeitgeist anzupassen« [Übers. a. J.], wenn die Gestalttherapie überleben und wachsen soll (Gold / Zahm, in Brownell 2008).

Im ersten Abschnitt dieses Kapitels behandle und kritisiere ich die »Forschungspolitik«, um das notwendige Verständnis für die Themen, um die es geht, zu vermitteln und GestalttherapeutInnen dafür zu rüsten, den »neuen« Status quo so infrage zu stellen, wie unsere Gründer es mit dem »alten« Status quo vor 60 Jahren getan haben.

PsychotherapeutInnen werden zunehmend dazu angehalten, Forschung zu betreiben. Wir werden gedrängt, die Effektivität unserer Arbeit unter Beweis zu stellen und evidenzbasierte Praxis heranzuziehen, um die Qualität unserer Dienste zu verbessern (Rowland / Goss 2000). Aber welche Evidenz kann den Wert der Arbeit, die wir leisten, am besten zeigen? Auf welche Evidenz sollen sich KlientInnen und die Geldgeber, die das Gesundheitssystem finanzieren, am besten verlassen?

Es hängt viel davon ab, wie »Evidenz« definiert wird. Nach der herrschenden Sicht der Bewegung, die sich für eine evidenzbasierte Praxis einsetzt, sollte Evidenz »wissenschaftlich« sein und mit Messwerten und Quantifizierungen aufwarten. Ich bin schon so mancher GestalttherapeutIn begegnet, die sich sorgte, dass es qualitativen Methoden an wissenschaftlicher Glaubwürdigkeit fehlen könnte, und die den Glauben an die Effektivität einer Forschung mit Menschen anstatt über Menschen verloren hatte. Aber wie relevant sind die quantitativen Ansätze, wenn es um Psychotherapie geht? Wie kann quantifiziert werden, ob eine PsychotherapeutIn die Ambivalenz der menschlichen Erfahrung versteht? Ist es möglich, die komplexe, sich immer entwickelnde, vielschichtige Natur therapeutischer Beziehungen und der Arbeit, die wir leisten, zu messen?

Es ist zwar eminent wichtig, die Praxis durch Evidenz zu unterstützen, doch es ist auch notwendig, sowohl herrschende Meinungen darüber, was die »beste« Evidenz ausmacht, als auch die Überbetonung der quantitativen Evidenz infrage zu stellen, bei der die Verwendung randomisierter kontrollierter Studien als der »Goldene Standard« hochgehalten wird.

Gestalttherapie in der klinischen Praxis

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