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Neue Herausforderungen, reformbedürftige Institutionen

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Eine weitere grosse Veränderung im ersten Viertel des 21. Jahrhunderts ist das wachsende Bewusstsein für die Verletzlichkeit des Planeten Erde, für die Rolle der Menschheit bei dessen Schutz und für die dazu unerlässliche Zusammenarbeit der Nationen. Das Auftauchen eines tödlichen Virus mitten in der wirtschaftlichen Euphorie ist nur ein Beweis dafür, dass sich neue Handlungsweisen aufdrängen. Fünfzig Jahre nach der UNESCO-Konvention über den Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt (1972) bildet noch immer die UNO den Rahmen, innerhalb dessen die Regeln für die grossen Themen des Zusammenlebens – die Gesundheit, das Klima, die Entwicklung, die Menschenrechte, der Handel, das geistige Eigentum – verhandelt werden. Die 17 Nachhaltigkeitsziele der UNO (SDGs), 2015 von der Gesamtheit der Staaten beschlossen, bilden den Nukleus einer Weltagenda für das nächste Jahrzehnt. Sie sind die Leitplanken für staatliches Handeln. Die Resultate ihrer Anstrengungen werden nach einheitlichem Massstab miteinander verglichen und kommentiert. Sie dienen aber auch als Orientierung für die Gesellschaft als Ganzes, für die Unternehmen und ihre Investoren, deren Reputation immer mehr von der Beachtung der Prinzipien der Nachhaltigkeit abhängt.

Auch die Stärke der UNO hängt von ihren Mitgliedern ab. Das System ist in finanzieller Hinsicht prekär, in seiner Autorität unsicher und in seiner Ordnung schwach, da sämtliche Anstrengungen jederzeit von gegensätzlichen Auffassungen durchkreuzt werden können. In ihrer Hauptaufgabe, der Bewahrung des Friedens, fehlt der UNO gleichsam der Atem. Der Sicherheitsrat ist gelähmt. Der Menschenrechtsrat ist unwirksam und manchmal hoch irritierend, dennoch ist er der Ort, wo Menschenrechtsdivergenzen offen diskutiert werden. Die Normen, die aus der ideologischen Konfrontation der Staatenvertreter in den Spezialorganisationen resultieren, sind nicht mehr als der kleinste gemeinsame Nenner einer Welt, wie sie ist. Dennoch kann sich die UNO als universell bezeichnen. Ihre Stärke liegt, wenn es denn eine ist, im Anspruch, dass sie die Welt verbessern kann. Die Covid-19-Krise hat es gezeigt: Die Weltgesundheitsorganisation WHO wurde von Donald Trump im Stich gelassen und von China schikaniert. Dennoch diskutiert sie, mit der ihr typischen Vorsicht, über eine Reform, mit der die institutionellen Hürden überwunden werden sollen, die ihre Wirkungskraft im Kampf gegen die Pandemie eingeschränkt haben.

Wie steht es um die Welthandelsorganisation WTO? Geschaffen im Nachgang der wirtschaftlichen Öffnungen Russlands und Chinas und dem damit einhergehenden Optimismus, sollte sie in einer multipolaren Welt eine geregelte und damit gerechtere Wohlstandsvermehrung für alle Volkswirtschaften ermöglichen. Sie hat dies so erfolgreich getan, dass sich das Verhältnis zwischen Gewinnern und Verlierern auf Kosten der Gründerstaaten mittlerweile umgekehrt hat. Mit seinem militanten Nationalismus hat der verärgerte Donald Trump diesem Treiben ein Ende gesetzt. Um zu einem neuen Gleichgewicht zu gelangen, braucht die WTO neue Regeln. Die Schweiz versucht, zu diesem «reformierten Multilateralismus», wie sie es nennt, einen Beitrag zu leisten. Ob die WTO fähig ist, Länder wie China, das seinerseits versucht, der Organisation seine Funktionsweise aufzudrücken, zu integrieren, ist offen. Sein Eindringen jedenfalls ist dem westlichen Universalismus entgegengesetzt.

Die Eidgenossenschaft bekennt sich zu den Prinzipien der weltweiten Kooperation und zum internationalen Recht als Schranke gegen die blosse Macht. Es liegt ihr viel daran, dass die UNO mit ihren Spezialagenturen auf der Höhe der heutigen Herausforderungen agiert. Genf ist für sie ein wichtiges Handlungsfeld, besonders in der Umweltpolitik, denn die Stadt ist Sitz der Intergouvernementalen Expertengruppe für Klimawandel (IPCC), die von der Weltorganisation für Meteorologie und vom UNO-Umweltprogramm 1988 gebildet worden ist. Generell bedacht, die Potenziale des internationalen Genf zu entwickeln, unterstützt der Bund etwa 15 Denk-, Diskussions- und Koordinationsplattformen in den verschiedensten Bereichen, in denen Fachkenntnisse vor Ort versammelt sind. Welche Folgen die Covid-19-Pandemie mit ihrer drastischen Reduktion von Konferenzen, Reisen und Büroarbeit für das Leben dieses internationalen Zentrums hat, kann heute noch nicht abgeschätzt werden. Die kurzfristigen finanziellen Gewinne mögen für die Organisation erfreulich sein; für das internationale Netzwerken in Genf aber ist diese Entwicklung beunruhigend.

Übers Ganze gesehen, muss die Schweiz in einem dynamischen geopolitischen Kontext und einer durch Klimaveränderungen durcheinandergewirbelten Umwelt ihre Stellung behaupten, ihre Abhängigkeiten annehmen und den Raum ihrer Souveränität verteidigen. Die Neutralität war in einer prioritären Aussenhandelspolitik ein wichtiges Instrument. Es gibt keine Garantie dafür, dass sie diese Schutzfunktion noch erfüllen kann, wenn die internationale Zusammenarbeit durch Multilateralismus und Allianzen geprägt ist, wenn Machtdemonstrationen auf Wertekonkurrenz beruhen und wenn zwischenstaatliche Konflikte in Bürgerkriege, terroristische Akte oder staatliche Gewalt umschlagen.

Eine Aussenpolitik für die Schweiz im 21. Jahrhundert

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