Читать книгу Eine Aussenpolitik für die Schweiz im 21. Jahrhundert - Группа авторов - Страница 14
Überblick
ОглавлениеSeit der Gründung des Bundesstaats 1848 war die schweizerische Aussenpolitik vom Bestreben geprägt, die Souveränität des jungen demokratischen und liberalen Nationalstaats gegen aussen zu sichern. Weitere «Ziele» existierten lange Zeit nicht, jedenfalls nicht explizit. Parallel wurden Strukturen errichtet und geduldet, die dem Aussenhandel dienten und die Einbindung des im Verhältnis zu den Kantonen noch schwachen Bundesstaats in die Weltwirtschaft ermöglichten. Bewahrung der politischen Souveränität und wirtschaftliche Integration waren dabei im schweizerischen Verständnis kein Widerspruch, insbesondere in einem Zeitalter, in dem die internationalen Beziehungen von den Grossmächten im sogenannten europäischen Konzert der Mächte (bestehend aus Frankreich, Österreich, Grossbritannien, Russland und Preussen) determiniert wurden und die Beteiligung von Staaten ausserhalb dieser Pentarchie auf dem diplomatischen Parkett der «grossen Politik» eigentlich nicht vorgesehen war.
Die Gründung des Völkerbunds 1919 verdichtete das seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstehende System von internationalen Konferenzen und Kongressen und ermöglichte es der Schweiz, sich aktiv in ein multilaterales System einzubinden und überhaupt ein Akteur der internationalen Beziehungen zu werden. Angesichts der faschistischen und nationalsozialistischen Bedrohung kehrte das mehrsprachige Land dem «Universalismus» in den 1930er-Jahren den Rücken und kreierte das Konstrukt der «integralen Neutralität», das für die schweizerische Aussenpolitik lange zum alles bestimmenden Selbstläufer werden sollte.
Dank der Bipolarität des Kalten Kriegs gelang es der Schweiz, der internationalen Infragestellung der Neutralität wegen ihrer Rolle während des Zweiten Weltkriegs geschickt auszuweichen und allen Seiten Gute Dienste anzubieten. Dem von den Supermächten lancierten Diskurs über Menschenrechte und ihren UN-Resolutionen zur kollektiven Friedenssicherung vermochte sich die Schweiz unter dem Banner der bewaffneten Neutralität weitgehend zu entziehen. Lange bewegte sie sich damit bewusst am Rand der internationalen (multilateralen) Diplomatie.
Die «Normalisierung» der schweizerischen Aussenpolitik setzte Mitte der 1960er-Jahre ein. Unterstützt von einer neuen Generation Diplomaten, wie etwa dem späteren Staatssekretär Edouard Brunner, gingen die Vorsteher des Eidgenössischen Politischen Departements (EPD), wie das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) bis 1979 hiess, die Veränderung der schweizerischen Aussenpolitik aktiv an. Eine zuerst stark kritisierte Reisediplomatie begann sich auch in der Schweiz zu etablieren und ermöglichte eine Konsolidierung der internationalen Beziehungen. Sehr vorsichtig zeigten sich auch Ansätze einer Menschenrechtspolitik, die das bislang herrschende Axiom der neutralitätspolitischen Nichteinmischung allmählich aufweichte.
Das Ende des Kalten Kriegs stellte zunächst die dank der Bipolarität wiedergewonnene Bedeutung der Neutralität erneut infrage. Dies und die Konflikte zum Beispiel im ehemaligen Jugoslawien oder im Nahen Osten verunsicherten grosse Teile der Schweizer Bevölkerung und liessen Souveränitätsargumente wieder in den Vordergrund treten und teilweise gar wirtschaftliche Interessenüberlegungen verdrängen. Paradigmatisch für diese neue Ausgangslage war die Ablehnung des EWR-Vertrags 1992. Die zunehmend als global wahrgenommenen Bedrohungen wie Terrorismus, Umweltfragen oder Migration erleichterten 2002 die Zustimmung von Volk und Ständen zum UNO-Beitritt, der den Schlusspunkt eines langen Normalisierungsprozesses bildete.