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Оглавление6 Sozioökonomische und politische Einordnung
Christian M. Schulz und Petra Thorbrietz
Planetary Health ist nicht nur Voraussetzung für medizinische Gesundheit, sondern auch für wirtschaftliche Prosperität. Das am Bruttoinlandsprodukt gemessene Wachstum ist der wichtigste Index dafür. Die Weltwirtschaft wächst jährlich absolut um 3%. Das würde bis zum Ende des Jahrhunderts eine Versechzehnfachung der derzeit global erwirtschafteten 85 Billionen US-Dollar bedeuten. Dafür aber fehlen die Lebensgrundlagen. Angesichts der eingangs geschilderten Veränderungen in den Ökosystemen ist klar, dass solch ein Wirtschaftswachstum ohne eine Entkopplung vom Ressourcenbedarf unmöglich sein wird.
6.1 Bevölkerungswachstum und Konsum
Die Bevölkerungsgröße multipliziert mit individuellem Konsum und den dafür eingesetzten Technologien definieren die Auswirkungen auf die Ökosysteme (Impact). Die Auswirkung eines einzelnen Individuums sind vernachlässigbar, aber millionenfach oder milliardenfach multipliziert ist der Impact erheblich (Dauvergne 2010).
Seit Beginn der Industrialisierung stieg die Weltbevölkerung von ca. 1 Milliarde im Jahr 1800 auf 2,5 Milliarden im Jahr 1950. In den letzten 70 Jahren aber verdreifachte sich die Bevölkerung auf jetzt etwa 8 Milliarden Menschen. Bereits eine kleine Veränderung der durchschnittlichen Kinderzahl hat große Auswirkungen auf die Entwicklung der Gesamtpopulation. Eine rechnerische Abweichung von ± 0,5 Kindern vom Median resultiert in einer Spannweite der geschätzten Gesamtpopulation für das Jahr 2100 zwischen 7,7 und 15,6 Milliarden Menschen (United Nations Population Division 2019). Derzeit wird von etwa 10,6 Milliarden Menschen am Ende dieses Jahrhunderts ausgegangen, mit großen regionalen Unterschieden: die Bevölkerung in Europa und Asien wird abnehmen, während sie in Nordamerika und Afrika zunächst noch zunehmen wird. Global gesehen verlangsamt sich die Geschwindigkeit des Bevölkerungswachstums.
Im Vergleich zur Beschreibung der Bevölkerungsentwicklung ist die quantitative Beschreibung des individuellen Konsumverhaltens ungleich komplizierter. Fest steht allerdings, dass am Ende des 21. Jahrhunderts 10 Milliarden Menschen pro Kopf nicht so viel Energie und Ressourcen verbrauchen können, wie es derzeit noch in Deutschland geschieht. Pandemiebedingt fiel 2020 der Tag, an dem alle Ressourcen, welche die Erde in einem Jahr erneuern kann, verbraucht waren, auf den 22. August. 2021 fiel der Tag bereits wieder auf den 29. Juli. Würden alle Bewohner des Planeten so leben wie in Deutschland, wären drei Erden notwendig (https://www.footprintnetwork.org).
Ein Blick auf die Herkunft der CO2-Emissionen zeigt, dass die Klimakrise auch eine Gerechtigkeitskrise ist. Der Oxfam-Bericht „Confronting Carbon Inequality“ zeigt, welche Einkommensgruppen zwischen 1990–2015 für jeweils wieviel CO2-Emissionen verantwortlich waren. Es geht also um den Zeitraum, in dem sich global die Emissionen verdoppelt haben. Für mehr als die Hälfte (52%) der Emissionen sind die reichsten 10 Prozent der Menschen (630 Millionen Menschen) verantwortlich. Das reichste 1 Prozent verantwortet allein 15% der Emissionen, die ärmere Hälfte der Menschheit dagegen nur 7%. Diese Ungleichheit gilt auch innerhalb Deutschlands: 2015 verursachten die reichsten 10 Prozent (8,3 Millionen Menschen) mehr CO2-Emissionen als die gesamte ärmere Hälfte der Bevölkerung (Oxfam 2020).
Die Reduktion des Prokopfkonsums spielt im politischen Diskurs allerdings kaum eine Rolle. Das ist eine verpasste Gelegenheit, denn die ökologischen Vorteile zeigen sich hier viel unmittelbarer als bei der komplizierteren und langsameren Einflussnahme auf das Bevölkerungswachstum. Diese Diskussion muss allerdings die derzeit ungleiche Verteilung von Wohlstand in der Welt einbeziehen.
Warum sollten Arme weniger Recht auf Konsum haben als der Mittelstand oder gar Reiche? Dieses Bedürfnis ist nicht nur nachvollziehbar, es ist auch gerechtfertigt.
Die Begrenzung des Bevölkerungswachstums ist eng verknüpft mit der Frage der Menschenrechte. Diese begründen das Recht auf eine selbstbestimmte Familienplanung, Bildung und Gleichberechtigung. Es wird gestärkt durch Unterstützung bei der Familienplanung, Zugang zu Kontrazeptiva, Bildung und Gleichberechtigung, Menschenrechten, individueller Autonomie und persönlicher Entscheidungsfreiheit. So eröffnen sich auch langfristige Wege für eine Verbesserung der Gesundheit und ökologische Nachhaltigkeit. Gleichzeitig gelingt so auch die Verlangsamung des Bevölkerungswachstums.
Mittlerweile beschreibt eine wachsende Gruppe von Ökonomen, wie bereits jetzt ökologische Zwänge ökonomische Aktivitäten begrenzen. Soll das BIP weiterhin wachsen, muss der Ressourcenverbrauch zwingend davon abgekoppelt werden: durch eine Stärkung des Dienstleistungssektors, durch Kreislaufwirtschaft und erneuerbare Energien. Für sie ist die priorisierte Bekämpfung der Armut mit dem Ziel einer gerechteren Weltwirtschaft die Voraussetzung für eine Wirtschaftsweise innerhalb planetarer Grenzen.
6.2 Externalisierte Kosten und Profit
Die fossilen Energieträger sind billig und haben ein immenses Wirtschaftswachstum ermöglicht, auch ein hohes Maß an Individualmobilität. Diese Errungenschaften, von denen nur wenige Generationen der Menschheit profitiert haben, haben jedoch einen sehr hohen, sich immer klarer abzeichnenden Preis. Er wird gezahlt in Form von verlorener Gesundheit, verlorener Lebenszeit und auch eines ökonomischen Schadens. Die Kosten durch Umwelt- und Gesundheitsschäden werden für Deutschland zwischen 13–19% des BIP kalkuliert (Kalkuhl 2021). Je länger an fossilen Energieträgern festgehalten wird, desto höher wird dieser Preis. Dadurch, dass wir uns den Kipppunkten der Systeme der Biosphäre nähern und es zunehmend Evidenz gibt, dass diese sich gegenseitig destabilisieren (Wunderling et al. 2021), steigen die Kosten ins Unermessliche.
Verschiedene Beispiele für die Externalisierung von Kosten illustrieren, wie sich Nutzen und Schaden unterschiedlich verteilen: Staudämme helfen der Energiegewinnung und Bewässerung, flussaufwärts aber breitet sich die Bilharziose aus. Rodungen für den Sojaanbau dienen dem Profit aus dem Verkauf des Fleischs damit gemästeter Rinder. Im Gegenzug aber steigt lokal die Belastung mit Feinstaub, Artenverlust erhöht die Gefahr von Zoonosen und der Klimawandel wird befeuert. In Krankenhäusern greifen Einkäufer unter dem Einfluss kaufmännisch Verantwortlicher, die ihre Bilanzen in einjährigen Abständen den Aufsichtsräten präsentieren müssen, zu den billigsten Produkten (z.B. Medikamenten). Auch sie sind nur vermeintlich billig. Denn sie werden anderswo unter ökologischen Standards und Arbeitsbedingungen produziert, die in Deutschland mittlerweile nicht mehr akzeptiert würden, die Kosten dafür werden dorthin externalisiert.
Oft besteht das Problem allerdings nicht darin, dass die schädlichen Folgen des Handelns nicht bekannt sind. Vielmehr wird die Entscheidung für den unmittelbaren Benefit trotz dieses Wissens um die Hintergründe getroffen, weil die Kosten jemand anderes tragen wird. Niemand vollzöge solche mit der Zerstörung von Ökosystemen einhergehenden Handlungen, wenn sie nicht mit Profit einhergingen. Eine über Zeiten, Räume und alle beteiligten Gruppen hinweg greifende Kostenanalyse ist daher essenziell: Sie verändert die Gleichung oft ganz grundlegend. Dafür den Rahmen zu geben, liegt in der Verantwortung der Politik. Zum Teil bietet sie Lösungen an wie die CO2-Bepreisung. Wenn das nicht ausreicht, müssen Bewegungen, Proteste, Demonstrationen und Öffentlichkeitsarbeit den notwendigen Druck für Veränderungen in Politik und Industrie erzeugen. Zuletzt haben auch Gerichtsurteile wegweisende Veränderungen angestoßen, zum Beispiel durch den Beschluss (1 BvR 2656/18) des Bundesverfassungsgerichts vom 24. März 2021 zum Klimaschutzgesetz (Bundesverfassungsgericht 2021) oder das Gericht in den Niederlanden, das Shell zu einer Reduktion der CO2-Emissionen um 45% binnen neun Jahren verurteilt hat (Wille 2021).
6.3 Änderung der Spielregeln
All das zeigt, dass für die globale Wirtschaft, so wie wir sie kennen, dringend neue Spielregeln geschaffen werden müssen. Vielfach wurden wissenschaftlich fundierte Vorschläge für eine grundlegende Transformation gemacht – mit Energieerzeugung aus regenerativen Rohstoffen, Reduktion von Umweltverschmutzung, schonendem Umgang mit der Natur, veränderter Nahrungsmittelproduktion und einer anderen Wirtschafts- und Bevölkerungspolitik. Es gibt auch wenig Evidenz, dass Bevölkerungswachstum oder mehr Konsum einhergehen mit mehr Zufriedenheit. Die entscheidende Herausforderung ist daher, durch wirtschaftliche Entwicklung die Armut zu bekämpfen und gleichzeitig zu einer Wirtschaftsweise zu finden, die innerhalb planetarer Grenzen verbleibt. Dieser „Safe and just space for humanity“ (Rockström et al. 2009) wurde 2012 als sogenanntes Donut-Modell von Kate Raworth im Rahmen einer Oxfamstudie diskutiert und wird seither fortwährend weiterentwickelt (Raworth 2012). Die Entscheidungen auf dem Weg dorthin werden zwangsläufig schwierige Gespräche und möglicherweise die Notwendigkeit eines sinkenden, aber gerechteren Lebensstandard mit sich bringen, jedenfalls aber einen gesünderen Lebensstil.
Literatur
Boden T, Andres B, Marland G (2014) Ranking of the World’s Countries by 2014 Per Capita Fossil-Fuel CO2 Emission Rates. URL: https://cdiac.ess-dive.lbl.gov/trends/emis/top2014.cap (abgerufen am 13.07.2021)
Bundesverfassungsgericht (2021) Beschluss des Ersten Senats, 24. März 2021, 1 BvR 2656/18. URL: http://www.bverfg.de/e/rs20210324_1bvr265618.html (abgerufen am 13.07.2021)
Dauvergne P (2010) The Shadows of Consumption: Consequences for the Global Environment. MIT Press Cambridge, MA
Kahan A (2016) Global Energy Intensity Continues to Decline. URL: https://www.eia.gov/todayinenergy/detail.php?id=27032 (abgerufen am 13.07.2021)
Kalkuhl M, Roolfs C, Edenhofer O, Haywood L, Heinemann M et al. (2021) Reformoptionen für ein nachhaltiges Steuer- und Abgabensystem. Wie Lenkungssteuern effektiv und gerecht für den Klima- und Umweltschutz ausgestaltet werden können. Ariadne-Kurzdossier. URL: https://ariadneprojekt.de/media/2021/05/Ariadne-Kurzdossier_Steuerreform_Juni2021.pdf (abgerufen am 13.07.2021)
Klein N (2014) This Changes Everything: Capitalism vs. the Climate. Simon and Schuster New York
Oxfam (2020) Confronting Carbon Inequality. URL: https://www.oxfam.de/system/files/documents/20200921-confronting-carbon-inequality.pdf (abgerufen am 19.07.2021)
Raworth K (2012) A Safe and Just Space For Humanity: Can We Live Within the Doughnut? Oxfam Discussion Papers. URL: https://www-cdn.oxfam.org/s3fs-public/file_attachments/dp-a-safe-and-just-space-for-humanity-130212-en_5.pdf (abgerufen am 13.07.2021)
Rockström J, Steffen W, Noone K et al. (2009) A Safe Operating Space for Humanity. Nature 461(7263), 472–475. DOI: 10.1038/461472a
United Nations, Department of Economic and Social Affairs, Population Division (2019) World Population Prospects 2019. URL: https://population.un.org/wpp/Publications/Files/WPP2019_Highlights.pdf (abgerufen am 13.07.2021)
Wille J (2021) Shell-Urteil: Schneeballeffekt für Klimaschutz. Frankfurter Rundschau. URL: https://www.fr.de/wirtschaft/shell-urteil-schneeballeffekt-fuer-klimaschutz-90681223.html (abgerufen am 13.07.2021)
Wunderling N, Donges JF, Kurths J et al. (2021) Interacting Tipping Elements Increase Risk of Climate Domino Effects Under Global Warming. Earth Syst Dynam 12(2), 601–619. DOI: 10.5194/esd-12-601-2021