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Оглавление7 Umweltveränderungen als Ursache für Konflikte und Migrationen
Matthias Schmidt
Der anthropogen verursachte Umwelt- und Klimawandel verändert die Lebensbedingungen weltweit und lässt verstärkt Ressourcenknappheit, die Unbewohnbarkeit von Regionen und Konflikte befürchten (Galgano 2019). Insbesondere der Klimawandel wird als Sicherheitsrisiko eingestuft, mit dem sich bereits der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung befasste (WBGU 2008).
Tatsächlich sind die Prognosen des Klimawandels mit zunehmenden Durchschnittstemperaturen, verstärktem Auftreten von Extremwetterereignissen und steigendem Meeresspiegel eindeutig. Auch an den entsprechenden Auswirkungen auf terrestrische und marine Ökosysteme sowie menschliche Lebensräume besteht kein Zweifel (s. Kap. I.2). Der steigende Meeresspiegel wird Landflächen beschneiden und damit Siedlungen, Kulturland und Naturräume vernichten, die Zunahme von Dürren wird zu raumzeitlich größerem Wassermangel führen und das vermehrte Auftreten von Wirbelstürmen, Starkregenereignissen oder Überschwemmungen wird erhebliche Schäden an Menschen und Infrastrukturen verursachen.
Doch inwiefern dadurch Gesellschaften und individuelle Lebenssicherungen soweit destabilisiert werden, dass es zu gewalttätigen Konflikten und verstärkten Migrationsbewegungen kommt, ist in ihren Ausmaßen keineswegs gesichert und nicht zuletzt abhängig davon, ob es gelingt, die Ökosysteme zu schützen. Prognosen zum Auftreten und zur Anzahl von Umweltkonflikten oder Klimaflüchtlingen sind daher mit großer Unschärfe und Unsicherheiten belegt. Denn die Ursachen und Beweggründe für Migration und Flucht sind ebenso vielschichtig wie auch die Auslöser, Konstellationen und Dynamiken von Konflikten. Zudem mangelt es an empirischen Belegen für die skizzierten sozialpolitischen Bedrohungsszenarien.
7.1 Umweltkonflikte und Umweltmigration
Um die Frage zu beantworten, ob Umweltveränderungen verstärkt zu Konflikten und Migrationen beitragen, ist zunächst zu klären, was unter Umweltkonflikten und -migration überhaupt zu verstehen ist und ob es sich um empirisch belegbare Phänomene handelt.
Konflikte treten auf, wenn unterschiedliche Vorstellungen, Interessen und Ziele miteinander unvereinbar sind und die sie vertretenden Individuen oder Gruppen aufeinandertreffen. Sie entstehen etwa im Wettstreit um begrenzte Güter oder Leistungen. Deshalb ist es naheliegend, vor dem Hintergrund knapper werdender Güter wie sauberes Wasser, fruchtbare Böden oder lebenswerte Landschaften Konflikte für wahrscheinlich zu halten.
Fluchtbewegungen und Migrationen als Folge von Klimawandel und Umweltdegradationen sind ebenfalls denkbare und realistische Szenarien. Allerdings sind die verursachenden Momente nicht notwendigerweise eindeutig zu bestimmen und Belege für Umwelt- oder Klimamigration schwierig zu erbringen. So basiert die Entscheidung zu Flucht oder Abwanderung in der Regel auf einem Bündel von Ursachen, Möglichkeiten und Zielen, wie Arbeitslosigkeit, fehlenden Perspektiven oder eingeschränkten Bildungschancen, aber auch auf dem Vorhandensein notwendiger Fähigkeiten und Mittel, um überhaupt migrieren zu können, oder Verpflichtungen und Eingebundenheit in familiäre und soziale Strukturen. Hinzu kommen sprachliche, kulturelle und politische Barrieren sowie individuell empfundene Unsicherheiten und Risikowahrnehmungen, die zu einer Entscheidung für oder gegen die Migration beitragen.
Als auslösende Faktoren für Umweltmigrationen wird zumeist zwischen fast onset events und slow onset events unterschieden (Ionesco et al. 2017; McLeman u. Gemenne 2018). Erstere bezeichnen abrupte Umweltänderungen oder Naturkatastrophen, etwa ausgelöst durch Vulkanausbrüche, Erdbeben oder Überschwemmungen. Hier ist der Umweltaspekt als Fluchtgrund eindeutig zu identifizieren und plausibel zu belegen und nachzuvollziehen: Wenn das eigene Dorf durch einen Lavastrom zerstört wird, bleibt den Menschen wenig anderes als die Flucht. Ähnlich verhält es sich bei Überschwemmungen, verheerenden Erdbeben oder Wirbelstürmen. Solcherart Vertreibungen (displacements) und folgende Fluchtbewegungen erfolgen vielfach über kurze Distanzen und temporär, wenn den Menschen eine Rückkehr nach Abklingen der Bedrohung und der Wiederaufbau möglich sind.
Bei den sogenannten slow onset events ist es dagegen problematischer, Umweltursachen als auslösende Momente für Flucht oder Abwanderung zu determinieren. Hierunter sind mittel- bis langfristige und langsamer ablaufende Umweltprozesse zu verstehen, wie etwa das gehäufte Auftreten von Dürren, zunehmende Bodenerosion oder der steigende Meeresspiegel. Zum einen sind die Änderungen graduell, sodass die Betroffenen diese und deren Konsequenzen eher allmählich erfahren und eine gewisse Zeit zur Entscheidungsfindung bleibt. Auch bedrohen Klima- und Umweltänderungen wie erhöhte Temperaturen, Niederschlagsrückgang oder Artensterben oftmals nicht direkt Mensch und Gesundheit, wohl aber können sich deren indirekte Folgen wie Ernterückgänge oder Rohstoffknappheit als existenz- oder lebensbedrohlich auswirken. Zudem können mitunter Gegenmaßnahmen eingeleitet werden, etwa durch den Anbau trockenresistenter Agrarfrüchte, das Bohren von Tiefbrunnen oder die Errichtung hoher Deiche, wenngleich solche Maßnahmen oftmals nur einen zeitlichen Aufschub darstellen. Zum anderen sind die Gründe zur Migrationsentscheidung meist vielfältig, wenn etwa Dürren zu Ernteausfällen und zum Verenden der Viehherde führen, aber gleichzeitig der Bedarf an Schulbildung oder der Wunsch zur Teilhabe an Modernisierung in urbanen Kontexten hinzukommen.
7.2 Diskussion
Die Komplexität der Ursachen und Dynamiken von Konflikten und Migrationen macht es nahezu unmöglich, eindeutig auslösende Momente, Gründe und Faktoren zu identifizieren, um unzweifelhaft von Umweltkonflikten oder -flucht zu sprechen. Damit dürfen die bedrohlichen Folgen des Klimawandels, der Umweltausbeutung und des Lebensstils des wohlhabendsten Drittels der Menschheit jedoch keineswegs verharmlost werden. Denn die Möglichkeit von Konflikten und Migrationen aufgrund degradierter Umwelten oder knapper werdender Umweltgüter ist nicht nur plausibel, sondern bereits Realität.
So sah bereits der ehemalige UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon ökologische Faktoren als zentrale Ursache für den im Jahr 2003 eskalierenden Gewaltkonflikt in Darfur (Sudan). Auch für den seit einem Jahrzehnt wütenden Krieg in Syrien wird verschiedentlich der Klimawandel verantwortlich gemacht. Demnach hätten extreme Dürreereignisse zu großen Migrationsströmen und sozioökonomischer Destabilisierung geführt und somit den Konflikt ausgelöst. Tatsächlich fanden diese Migrationen in dem behaupteten Ausmaß jedoch nicht statt und es fehlen Belege, dass Dürre oder Migration den Krieg verursacht hätten (Selby et al. 2017), dessen unmittelbarer Auslöser viel eher im Bereich sozioökonomischer und politischer Unzufriedenheit liegt und dessen Hintergründe und Motive deutlich vielschichtiger sind.
Allerdings stellen Abel et al. (2019) fest, dass schwere Dürren und bewaffnete Konflikte eine signifikante Rolle als Erklärungsfaktor für Asylsuchende während des Krieges in Syrien ab 2010 spielten, sehen den Einfluss des Klimas auf Konflikte und Fluchtbewegungen aber auf bestimmte Zeiträume und Kontexte begrenzt. Auch Ide et al. (2020) weisen nach, wie klimabedingte Katastrophen das Risiko des Ausbruchs bewaffneter Konflikte erhöhen, wobei dies ebenfalls stark kontextabhängig ist und insbesondere für ökonomisch prekäre und politisch repressive Staaten zutrifft. Dagegen findet Freeman (2017) keine Belege für direkte signifikante Kausalverknüpfungen zwischen Umweltveränderungen und Migrationen oder Konflikten, sondern sieht vielmehr die Umweltfaktoren als den sozialen, politischen und wirtschaftlichen Gründen nachgeordnet. Obgleich eine direkte Kausalität zwischen Umweltveränderungen und Migrationen bzw. Konflikten schwer nachweisbar ist, belegen jüngste Studien dennoch indirekte Zusammenhänge, etwa wie zunehmende Überschwemmungen oder vermehrte Wasserknappheit die Wahrscheinlichkeit von sozialen Unruhen in städtischen Räumen erhöhen (Ide et al. 2021; Koren et al. 2021) oder wie Dürren das Vertrauen zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen erschüttern (De Juan u. Hänze 2021). Mit Blick auf agrarwirtschaftliche Anpassungen weisen Vesco et al. (2021) nach, wie zunehmende Konzentrationen in der Landwirtschaft das Konfliktrisiko erhöhen.
Es erscheint deswegen dringend geboten, Umweltfaktoren im Kontext von Migrations- und Konfliktstudien zu berücksichtigen, den Zusammenhang zwischen Klima, Migration und Konflikten zu identifizieren und die Komplexität näher zu untersuchen, um die potenziellen Gefahren von Umweltveränderungen als Auslöser von Konflikten besser zu verstehen.
7.3 Fazit
Alarmistische Prognosen und Bedrohungsszenarien mögen hilfreich sein, um aufzurütteln und den Fokus auf ein soziopolitisch relevantes Thema zu lenken. Aber sie sind allzu oft nicht nur simplifizierend, indem sie die Komplexität von Migrationen und Konflikten reduzieren, sondern sie können auch in den Wohlstandsinseln des Nordens verstärkt Gefühle von Unsicherheit auslösen und den Wunsch nach Abschottung und Ausgrenzung begünstigen. Viel eher muss das Thema in seiner Komplexität betrachtet werden. Und dazu gehört es auch, jene zu berücksichtigen, die zwar zunehmend unter den Folgen der Umweltkrise leiden, aber sowohl zu schwach zum Aufbegehren als auch zur Flucht sind. Solange diese Vor-Ort-Ausharrenden und Zurückgelassenen nicht an den Grenzen der Wohlstandsinseln rütteln, scheinen sie oftmals inexistent zu sein. Somit gebührt dem Konfliktpotenzial des Umwelt- und Klimawandels zweifellos eine große Aufmerksamkeit. Zudem erfordert dies ein Verständnis für Umweltgerechtigkeit, was wiederum in Umweltsolidarität und entsprechendes Handeln übersetzt werden muss.
Literatur
Abel GJ, Brottrager M, Cuaresma JC, Muttarak R (2019) Climate, Conflict and Forced Migration. Glob Environ Change 54, 239–249
De Juan A, Hänze N (2021) Climate and Cohesion: The Effects of Droughts on Intra-ethnic and Inter-ethnic Trust. J Peace Res 58, 151–167
Freeman L (2017) Environmental Change, Migration, and Conflict in Africa: A Critical Examination of the Interconnections. J Environ Dev 26, 351–374
Galgano F (Hrsg.) (2019) The Environment-Conflict Nexus: Climate Change and the Emergent National Security Landscape. Springer Cham
Ide T, Brzoska M, Donges JF, Schleussner CF (2020) Multi-Method Evidence for When and How Climate-Related Disasters Contribute to Armed Conflict Risk. Glob Environ Change 62, 102063
Ide T, Kristensen A, Bartusevičius H (2021) First Comes the River, then Comes the Conflict? A Qualitative Comparative Analysis of Flood-related Political Unrest. J Peace Res 58, 83–97
Ionesco D, Mokhnacheva D, Gemenne F (2017) Atlas der Umweltmigration. Oekom Verlag München
Koren O, Bagozzi BE, Benson T (2021) Food and Water Insecurity as Causes of Social Unrest: Evidence from Geolocated Twitter Data. J Peace Res 58, 67–82
McLeman R, Gemenne F (Hrsg.) (2018) Routledge Handbook of Environmental Displacement and Migration. Routledge London
Selby J, Dahi OS, Fröhlich C, Hulme M (2017) Climate Change and the Syrian Civil War Revisited. Polit Geogr 60, 232–244
Vesco P, Kovacic M, Mistry M, Croicu M (2021) Climate Variability, Crop and Conflict: Exploring the Impacts of Spatial Concentration in Agricultural Production. J Peace Res 58, 98–113
WBGU (2008) Welt im Wandel: Sicherheitsrisiko Klimawandel. Springer Berlin