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1.3 Veränderung der Allergenexposition durch Effekte des Klimawandels auf Ökosysteme, Phänologie und invasive Pflanzen
ОглавлениеPollen und Pilzsporen zählen zu den häufigsten Allergieauslösern in der Außenluft. Der Zeitpunkt der Blüte und der Bestäubung hängt neben der saisonalen Pflanzenentwicklung von den aktuellen meteorologischen Bedingungen und denen der Vormonate ab. Die Lufttemperatur ist dabei der wichtigste Einflussfaktor auf die Pflanzenentwicklung. Unter dem evolutionären Druck verfügen Pflanzen über effiziente Systeme der phänotypischen Plastizität und der Anpassung an die Umweltbedingungen – im Falle der Anpassung von windbestäubenden Pflanzen entwickelt sich diese Plastizität als ein Nachteil für uns Menschen. Ein wärmeres Klima kann die Blütezeit einer Pflanze früher beginnen lassen und so die Pollensaison insgesamt verlängern. Phänologische Langzeitreihen zeigten einen um bis zu 26 Tage früheren Blühbeginn von Hasel und Erle zwischen 1961 und 2017 in Deutschland. Dabei ist zu unterstreichen, dass Veränderungen durch die Erwärmung je nach Art, geografischem Standort und jeweiligen Szenario des Klimawandels variieren (Rojo et al. 2019; Rojo et al. 2021).
Die Birke ist heute mit ihren Pollen Allergie-Pflanze Nr. 1 in Deutschland und Europa.
Modellrechnungen zur Folge wird es in den nächsten Jahrzehnten zunächst zu einer dramatischen Verstärkung der Pollenbelastung gerade im bayerischen Oberfranken, der Oberpfalz und in der Voralpenregion kommen. Ab 2080 zeigen die Modellrechnungen flächendeckend eine Reduktion der Birken-Pollen, da die Birke zu der durch den Klimawandel am stärksten gefährdeten Arten der gemäßigten Zonen gehört. Sie reagiert sehr empfindlich auf sommerliche Trockenheit, insbesondere in Kombination mit warmen Temperaturen (Rojo et al. 2021). So wird die globale Erwärmung zu einer Verschiebung der Vegetationszonen führen und das Pflanzenspektrum verändern. Das bedeutet, dass sich das Verbreitungsgebiet vieler Pflanzen in höhere Lagen und nach Norden verschieben wird. Während kälteangepasste Pflanzen ihren Lebensraum verlieren könnten, werden sich warmangepasste Pflanzen wahrscheinlich weiter ausbreiten.
Allergene Pflanzen aus dem Mittelmeerraum wie Olive, Parietaria oder Zypresse sind bislang vor allem in Südeuropa verbreitet, könnten aber bei uns heimisch werden.
Neben der Temperatur beeinflussen auch regionale Parameter wie Wind, Lufttemperatur, Niederschlag, Luftfeuchtigkeit, Bodenbeschaffenheit, Terrain sowie Agrarproduktion, Luftqualität und Urbanisierung Pollen in Quantität und Qualität. Diese Umweltfaktoren stehen in direktem Zusammenhang mit dem Klimawandel und müssen regional stark differenziert betrachtet werden. Schadstoffe können zu einer höheren Biomassenproduktion im Allgemeinen führen, was eine höhere Produktion von Pollen, Blüten und Blütenständen verursachen kann. Mit fortschreitender Urbanisierung weltweit und hohen Schadstoffbelastungen in vielen städtischen Umgebungen wird dieser Prozess noch verstärkt werden.
In den letzten Jahrzehnten konnten vier wesentliche Effekte auf Pollen beobachtet werden:
1.Die Pollensaison beginnt früher und dehnt sich aus
2.Es fliegen mehr Pollen, bedingt durch Effekte von Umweltschadstoffen auf die Produktion von Biomasse
3.Die Pollen werden „allergener“. Dies in Bezug auf Allergene, die vermehrt produziert werden, und auch in Bezug auf sogenannte „adjuvante“ und „proentzündliche“ Mediatoren, die von Pollen produziert werden. Diese entzündungsfördernden Substanzen aus Pollen wurden erstmals 2002 beschrieben (Traidl-Hoffmann et al. 2002; Plotz et al. 2004). Unter anderem drängen sie das Immunsystem vulnerabler Individuen in eine Th2-gewichtete Immunantwort (Traidl-Hoffmann et al. 2005; Oeder et al. 2015). Schadstoffe wie NO2, O3 und Partikel aber auch CO2 haben Einfluss auf die Allergenität von Pollen (Rauer et al. 2020). Allein bzw. in ihrer Kombination kommt es durch Umweltschadstoffe zu vermehrter Bildung des Hauptallergens, was wiederum zu stärkerer Symptomausprägung durch Pollen führen kann (Zhao et al. 2017). In Bezug auf die pathophysiologischen Hintergründe dieser Überproduktion wird spekuliert, dass Bet v 1 als „pathogenesis-related Protein“ zur Abwehrreaktion des Pollens gehört und aufgrund von „Stress“ hochreguliert wird. Ähnliche Effekte sind nach der Versiegelung von Bäumen messbar.
4.Wir finden neue allergene Pflanzen in Europa. Durch die Veränderung von Ökosystemen und das „Einschleppen“ von neuen Spezies durch den Menschen tauchen neue allergene Pflanzen in Europa auf. Prominentes Beispiel ist hier Ambrosia, Beifußblättriges Traubenkraut, das sich gerade auf Brachflächen schnell ausbreitet. Ambrosia verursacht starke allergische und insbesondere asthmatische Beschwerden. Problematisch ist die Pflanze auch deswegen, weil ihr Pollen auf eine bereits sensibilisierte Bevölkerung trifft: auf Beifuß allergische Patienten zeigen eine „Kreuzreaktion“ auf Ambrosia. Es muss also nicht erst eine Sensibilisierung eintreten, sondern allergische Symptome können direkt entstehen (Buters et al. 2015).
Durch die atmosphärische Zirkulation können zudem insbesondere kleine und leichte Pollen und Pilzsporen über größere Distanzen transportiert werden. Dieser Allergen-Transport über weitere Strecken führt zum einen dazu, dass in Städten Pollen zu messen sind, obwohl die Blühphase der entsprechenden Pflanzenspezies vor Ort noch gar nicht begonnen hat. Zum anderen finden sich bei entsprechenden Wetterlagen Pollen in Höhen, die für gewöhnlich als „allergenarm“ gelten. Stabile meteorologische Situationen mit Windstille können im Sommer zu Hitzewellen führen und ebenfalls erhöhte Pollenkonzentrationen hervorrufen, z.B. durch die lokale Blüte von Gräsern. Für den Ferntransport ist etwas Wind erforderlich, der pollenbeladene Luftmassen über weite Strecken von mehreren 100 km zum Rezeptor transportieren kann. Eine europaweite tägliche Ensemble-Vorhersage für Pollen von Birke, Olive, Gras und Ambrosia finden Sie bei COPENRNICUS (s. https://atmosphere.copernicus.eu/air-quality). Dies wiederum führt zu Herausforderungen für die alpine/hochalpine medizinische Rehabilitation.
Für die Präventionsforschung bedeutet dies, dass Frühwarnsysteme entwickelt werden müssen, die möglichst umfassend entscheidende Umweltfaktoren erfassen und darstellen. Insbesondere muss die Entwicklung in Richtung einer personalisierten Prävention gehen, weil die Schwellenwerte für Umwelteffekte individuell unterschiedlich sind.