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Die Provinzen Samaria und Jehud
ОглавлениеSamaria, das ehemalige Reich Israel, war bereits seit 722 v. Chr. eine assyrische Provinz. Mit dem Wechsel von der neuassyrischen und ägyptischen zur neubabylonischen Oberherrschaft über Palästina um 600 v. Chr. und dem Fall Jerusalems im Jahre 587 v. Chr. sind sowohl Samaria als auch Juda zu babylonischen Provinzen geworden. Dieser Zustand währte in etwa eine Generation, bis im Jahre 539 v. Chr. der Perserkönig Kyros II. aus dem Geschlecht der Achaimeniden (559–530 v. Chr.) die Stadt Babylon nahezu kampflos einnahm. Er wurde dort von den Priestern des babylonischen Hauptgottes Marduk als Befreier vom Joch des letzten neubabylonischen Königs Nabonid gefeiert, der den Kult des Mondgottes Sin protegiert und sich durch lange Abwesenheit von der Hauptstadt unbeliebt gemacht hatte. Samaria und Juda, das auf Aramäisch Jehud heißt, wurden sozusagen über Nacht Teil des riesigen Perserreiches, das sich unter Kambyses (530–522 v. Chr.) auch Ägyptens bemächtigte und unter Dareios I. (522–486 v. Chr.) den gesamten Vorderen Orient beherrschte. Nach dem Sieg Alexanders des Großen über den letzten Achaimeniden, Dareios III. (336–331 v. Chr.), und den Wirren der Diadochenkämpfe fielen die beiden Provinzen in die Hand der Makedonen.
Leben in den Provinzen
Über das Leben in den beiden Provinzen Samaria und Jehud in babylonischer und persischer Zeit ist nur wenig bekannt. Da die Zerstörungen der Babylonier sich in Grenzen hielten, wird man recht bald zum alltäglichen Leben übergegangen sein. Selbst die Zerstörung des Tempels von Jerusalem bedeutete nicht den Abbruch sämtlicher kultischer Aktivitäten, sondern wurde durch den alten Altarplatz und andere prominente Kultstätten wie etwa Bethel kompensiert. Die archäologischen Befunde legen die Vermutung nahe, dass man die Einbuße der politischen Selbständigkeit wie auch die großen Gebietsverluste, von denen die Nachbarn im Westen (Phönizier) und im Süden (Edomiter, Araber) profitierten, im praktischen Leben gut verkraftet hat. So bedeutete auch der Übergang von der babylonischen zur persischen Oberherrschaft für Samaria und Juda (Jehud) keine einschneidende Zäsur. Die politischen und wirtschaftlichen Zentren, die für die Perser von Interesse waren, befanden sich an der Küste. Das samarische und judäische Hinterland hatte seit dem Feldzug des Kambyses nach Ägypten zwar eine gewisse strategische Bedeutung, doch ist erst ab der Mitte des 5. Jahrhunderts eine deutliche Zunahme der Besiedlung und der materiellen Kultur in Samaria und Jehud zu verzeichnen.
Status einer persischen Provinz
Während die beiden Provinzen unter babylonischer Herrschaft, soweit wir wissen, mehr oder weniger sich selbst überlassen waren, griffen die Perser, besonders seit Dareios I., sehr viel stärker in die politische Struktur der unterworfenen Gebiete ein. Samaria und Jehud erhielten den Status einer persischen Provinz in der Satrapie Transeuphratene („jenseits des Euphrat“). Die Satrapie war einem Satrapen, die Provinzen waren einheimischen oder persischen Statthaltern unterstellt, von denen wir einige aus archäologischen (epigraphischen) und literarischen Quellen mit Namen kennen. Die interne Verwaltung lag, anders als in den phönizischen Städten an der Küste, die nach wie vor als Königtum verfasst waren, in den Händen von Leitungsgremien, die aus „Vornehmen“ und Priestern bestanden. Berühmt-berüchtigt war das persische Post- und Meldewesen, das die Kommunikation zwischen den verschiedenen staatlichen Stellen organisierte und gleichzeitig kontrollierte. Die Einführung des Münzwesens diente der ökonomischen Effizienz. Offizielle Amtssprache im Westen des persischen Reiches war das Aramäische, das bald auch zur Landessprache in Samaria und Jehud wurde und das Hebräische mehr und mehr verdrängte. Hebräisch blieb jedoch die Sprache der heiligen Schriften.
Über die allgemeinen Verhältnisse hinaus sind nur wenige herausragende Ereignisse aus der Geschichte der beiden Provinzen Samaria und Jehud bekannt. Vermutlich war es der strategischen Bedeutung der Provinzen geschuldet, dass Jerusalem unter Dareios I. zwischen 520 und 515 v. Chr. – andere denken an Dareios II. (424– 404 v. Chr.) – wieder einen Tempel erhielt. Daneben wurde auch in der Provinz Samaria auf dem Berg Garizim (bei Sichem) ein neuer Tempel gegründet, der zum Zentrum der religiösen Gemeinschaft der Samaritaner geworden ist. Auch er dürfte wie der Tempel zu Jerusalem kaum ohne die Erlaubnis der persischen Behörden erbaut worden sein. Ebenfalls der strategischen Bedeutung der Provinz Jehud war die Mission des Nehemia geschuldet, eines judäischen Mundschenks des persischen Königs Artaxerxes I. (465–425 v. Chr.), der nach Jerusalem entsandt wurde, um die Mauer wiederaufzubauen. Die Mission steht im Zusammenhang mit Unruhen in Ägypten und anderen Landesteilen, die das in den Krieg mit Griechenland verwickelte Perserreich schwer erschütterten. Der Mauerbau fügt sich ein in das Bild, das die archäologischen Funde vermitteln, wonach Samaria und Jehud in der zweiten Hälfte der Perserzeit einen gewissen politischen und wirtschaftlichen Aufschwung erlebten.
Siedlungen außerhalb des Mutterlandes
Neben den beiden Provinzen gewannen in babylonischer und persischer Zeit judäische Siedlungen außerhalb des Mutterlandes in der babylonischen und ägyptischen Diaspora zunehmend an Bedeutung. Die nach Babylonien deportierten Bevölkerungsteile wurden dort in ethnischen Gemeinschaften angesiedelt und richteten sich in der Diaspora ein. Archive einer solchen Siedlung, die al-Jahudu, „Stadt Juda“ (= Neu-Jerusalem), heißt und vermutlich in der Nähe von Sippar lag, und andere Dokumente aus Babylonien belegen über mehrere Generationen hinweg ein hohes Maß an ökonomischer und rechtlicher Integration, ohne dass man seine judäische Herkunft und Identität verleugnet hätte. Was aus der königlichen Familie des Jojachin geworden ist, die vom babylonischen Hof versorgt wurde, ist nicht bekannt. Eine ähnliche Situation begegnet auch in den privaten und öffentlichen Archiven von Jeb, einer judäischen Militärkolonie auf der Nilinsel Elephantine (bei Assuan), aus der Zeit um 400 v. Chr. Die Kolonie hatte den offiziellen Status einer „judäischen Garnison“ und betrieb einen eigenen, der Gottheit Jahu (= Jahweh) geweihten Tempel, der vor der Eroberung Ägyptens durch Kambyses 525 v. Chr. erbaut worden war, um 410 v. Chr. von Ägyptern im Verein mit persischen Militärs zerstört wurde und nach langen und verwickelten diplomatischen Verhandlungen wieder aufgebaut werden durfte. In diese Verhandlungen waren auch die führenden Kreise der Provinzen Samaria und Jehud eingebunden. Aus den Dokumenten geht hervor, dass es rege briefliche und personelle Kontakte zwischen dem Mutterland und den Kolonien in der Diaspora gegeben hat. Größere Rückkehrwellen sind allerdings nicht nachzuweisen und historisch auch wenig wahrscheinlich.
Scheschbazzar – Serubbabel und Joschua
Die biblische Überlieferung in den Büchern Esra und Nehemia sowie in den Büchern der Propheten Ezechiel, Jesaja, Haggai und Sacharja zeichnet ein vollkommen anderes Bild. Sie konzentriert sich ganz auf die Situation in Juda und imaginiert einen großen Strom von Heimkehrern aus der babylonischen Gefangenschaft (Gola), der für „ganz Israel“ oder das wahre „Israel“ steht. Den Wiederaufbau des Tempels zu Jerusalem verbindet die Überlieferung mit den Namen eines gewissen Scheschbazzar, des Davididen Serubbabel und des Priesters Joschua, doch ist ihre Rolle bei der Restauration der Provinz Jehud alles andere als klar. Scheschbazzar tritt nur im Zusammenhang mit dem in seiner Echtheit umstrittenen Kyros-Erlass aus dem Jahr 539 v. Chr. in Erscheinung, der den Bau des Tempels und die Rückkehr der Juden aus dem babylonischen Exil erlaubt. Serubbabel und Joschua dienen dazu, die zeitliche Lücke zwischen dem Kyros-Erlass und dem Bau des Tempels unter Dareios zu füllen. Im Buch Esra aber sind nur die „Ältesten der Juden (Judäer)“ für den Bau verantwortlich, und bei der Fertigstellung ist von Scheschbazzar, Serubbabel und Joschua keine Rede mehr. Die diplomatischen Umstände, die zu dem Tempelbau geführt haben, lassen sich anhand der Papyri von Elephantine erahnen, die von einem analogen Fall handeln. In der biblischen Überlieferung ist daraus eine heilige Geschichte geworden, in der das Jahr 539 v. Chr. zum Heilsdatum geworden ist. Dieses Jahr, in dem Kyros II. Babylon eingenommen hat, markiert in der biblischen Sicht die Wende vom Gericht zum Heil Gottes für „Israel“, wobei das Heil in der Rückkehr zu den alten Verhältnissen vor dem Exil besteht. Auf Grund der biblischen Darstellung könnte man auf den Gedanken kommen, es habe einen fehlgeschlagenen Versuch einer Restauration des davidischen Königtums unter Dareios I. – mit Serubbabel als Königsprätendenten – gegeben, doch existieren dafür keinerlei stichhaltige Indizien. Es mag sein, dass vereinzelt auch Mitglieder der königlichen Familie und so auch Serubbabel von den Persern für die Verwaltung der Provinz Jehud mit herangezogen wurden, doch haben sich erst im Nachhinein im Rahmen der biblischen Überlieferung gewisse messianische Hoffnungen damit verbunden.
Nehemia und Esra – „Biblisches Judentum“
Auch die Mission des Nehemia hat in der biblischen Überlieferung ihre literarischen Spuren hinterlassen. Außer dem Mauerbau wachsen dem Nehemia hier umfangreiche Aufgaben einer politischen, sozialen und religiösen Erneuerung zu. Er erhält den Titel eines Statthalters von Juda, der sich der Feindschaft des Statthalters von Samaria (Sanballat) und anderer Nachbarn (Araber, Ammoniter und Aschdoditer) zu erwehren hat, um seinen königlichen und göttlichen Auftrag an dem Gottesvolk „Israel“ zu erfüllen. An seiner Seite steht die Figur des Priesters und Schreibers Esra, der ebenfalls von einem persischen König mit Namen Artaxerxes entsandt wird, um Spenden des Königs für den Tempel in Jerusalem zu überbringen und das jüdische Gesetz, die Tora des Mose, unter den Juden in Juda und ganz Transeuphratene bekannt zu machen und konsequent anzuwenden.Wieder bieten die Papyri von Elephantine eine gewisse Analogie, insofern auch sie von einem judäischen Gesandten namens Hananja berichten, der um 400 v. Chr. im Einvernehmen mit den persischen Behörden und führenden Kreisen der Provinzen Samaria und Jehud nach Elephantine gereist ist, um judäische Angelegenheiten zu regeln. Doch von der Tora des Mose, die seinen Auftrag bestimmt hätte, ist dabei nirgends die Rede. In den Büchern Esra und Nehemia wird man demgegenüber der Entstehung eines Judentums ansichtig, das sich ausdrücklich auf die Tora des Mose und andere Überlieferungen beruft, die in die spätere hebräische Bibel eingingen, und das man darum das „biblische Judentum“ nennen könnte. Wie im Falle des Tempelbaus ist auch hier der historische Kern, die Mission Nehemias (Mauerbau), zum Ausgangspunkt einer heiligen Geschichte geworden, die den Aufbau eines Gottesstaates nach Maßgabe der Tora des Mose schildert.
Quellen historisch zuverlässig?
Die Darstellung in den Büchern Esra und Nehemia, insbesondere die aramäischen Dokumente im Buch Esra sowie die Memoiren des Nehemia, tragen perserzeitliches Kolorit und fügen sich bestens in den Rahmen der achaimenidischen Reichsideologie ein, von der die persischen Königsinschriften zeugen. Dies erweckt den Eindruck, als seien die biblischen Quellen historisch zuverlässig und bildeten die Geschichte Israels in der Perserzeit einigermaßen wahrheitsgetreu ab. Die Echtheit der aramäischen Dokumente im Esrabuch ist jedoch überaus fraglich, und sowohl die kritische Analyse der biblischen Quellen als auch der Vergleich mit den archäologischen und epigraphischen Befunden mahnen zur Vorsicht. In den Dokumenten aus der babylonischen Diaspora wie auch in den Papyri von Elephantine aus dem Bereich der ägyptischen Diaspora findet sich jedenfalls keinerlei Spur des biblischen Judentums. Im Gegenteil: Sowohl die religiösen und rechtlichen Verhältnisse in der judäischen Garnison auf Elephantine als auch die Literatur, die dort gefunden wurde, unter anderem die aramäische Fassung der berühmten Behistuninschrift Dareios I., haben mit der biblischen Überlieferung nichts zu tun. Die Zustände dort hätten auf der ganzen Linie das Missfallen eines Esra oder Nehemia finden müssen, haben aber unter den führenden Kreisen in Samaria und Jehud offenbar niemanden gestört. Und auch die wenigen Funde in Palästina selbst zeigen in kultureller wie in religiöser Hinsicht ein recht buntes Bild, in dem sich außer kanaanäischen, phönizischen, ägyptischen und mesopotamischen Motiven zunehmend auch persische und griechische Einflüsse bemerkbar machen.
Leider wissen wir über die Trägerkreise der biblischen Überlieferung, die aus gelehrten Schreiberschulen und priesterlichen Familien stammen müssen und unter Berufung auf die biblische Tradition gegen die herrschende Realität der kulturellen und religiösen Vielfalt polemisieren, so gut wie nichts. Wo diese Überlieferung entstanden und tradiert worden ist, wer für sie verantwortlich war und wie sie in hellenistischer Zeit zur religiösen Leitüberlieferung sowohl des palästinischen Judentums (in Jehud wie in Samaria) als auch des Judentums in der babylonischen und ägyptischen Diaspora geworden ist, ist und bleibt ein Rätsel. Was wir sehen, ist nur das Resultat, das in der biblischen Überlieferung im Nachhinein in die Geschichte Israels von der Schöpfung bis zum Untergang der Reiche Israel und Juda in vorexilischer Zeit sowie in die daran anschließende Geschichte der Provinzen Samaria und Jehud in „nachexilischer“, persischer Zeit projiziert worden ist.