Читать книгу wbg Weltgeschichte Bd. II - Группа авторов - Страница 8

Ägäiswelt und östlicher Mittelmeerraum

Оглавление

Die zunächst ausschließlich destruktiven Konsequenzen des „Seevölker“-Sturms zeichnen sich für den Ägäisraum in einem umfassenden Zerstörungshorizont aus der Zeit um 1200 v. Chr. ab: Nahezu alle frühgriechischen Herrschaftszentren haben damals in einer akuten Krise – mitsamt ihrer hochorganisierten und weiträumig vernetzten Palastbürokratie – ein gewaltsames Ende gefunden. Der generelle Verlust der hochspezialisierten Linear-B-Schriftkultur kennzeichnet die Tiefe dieser historischen Zäsur; bezeichnenderweise ging auch der größte Teil der in den Linear-B-Texten bezeugten und mit der herrschaftlich-administrativen Organisation der Palastzentren verbundenen Begriffe verloren. Andererseits haben Ausdrücke wie damos/demos („Gemeinde“), gerusia („Rat der Alten“), aber auch p(t)olis („Burgfestung“), wastu/asty („Unterburgsiedlung“) oder la(w)ós („Heervolk“) überlebt. Und zur Bezeichnung des erbmonarchischen Lokal- oder Stammesfürsten avancierte im späteren Griechenland der Amtstitel eines mykenischen, mit seinem Aufgabenbereich freilich außerhalb der engeren Palastordnung stehenden Funktionärs qa-si-rle-u (*gwasileus/basileus) („König“). Der klangvolle Herrschertitel des einstmals auch kultisch verehrten Palastkönigs, wa-na-ka/(w)anaks, wurde dagegen später weithin nur als respektvolle Anredeform gegenüber Fürsten und herausgehobenen Machthabern verwendet.

Wandel in der Sachkultur

Für die erste Hälfte des 12. Jahrhunderts v. Chr. sind im archäologischen Kontext – vom Südwesten der Peloponnes bis hinauf nach Thessalien – unübersehbare Spuren von kriegerischen Unruhen und Zerstörungen sowie Fluchtbewegungen in zuvor wenig besiedelte Randgebiete nachweisbar. Darüber hinaus belegen Bildzeugnisse dieser Zeitstufe aus der Argolis sowie aus Mittelgriechenland und von der Westküste Kleinasiens die Präsenz von Kriegerscharen, die sich in ihrer Tracht und Bewaffnung deutlich von den Kriegerdarstellungen der mykenischen Palastzeit unterscheiden; dafür zeigen sich Übereinstimmungen mit der Typologie der „Seevölker“-Krieger in den einschlägigen ägyptischen und vorderasiatischen Bilddokumenten. Ferner zeichnet sich auf dem griechischen Festland wie im Ägäisraum ein bemerkenswerter Wandel in der Sachkultur ab: An die Stelle einer bislang erstaunlich einheitlichen mykenischen „Reichszivilisation“ trat nun eine größere Vielfalt kleinerer „Produktions- und Kulturgemeinschaften“ in eigenständigen Regionen und Gemeinwesen. Grundsätzlich ist also festzuhalten, dass im frühgriechischen Bereich ebenso wie an der vorderasiatischen Levanteküste mit den Umwälzungen in der Zeit um 1200 v. Chr. eine Entwicklung eingesetzt hat, die auf längere Sicht neue Entfaltungsmöglichkeiten für kleinräumige Machtbildungen und bescheidenere Gemeinwesen eröffnete.

So konnte sich über mehr als ein Jahrhundert hin in Siedlungen und an Residenzen, die – wie unter anderem in Tiryns – in die Trümmer der niedergebrannten alten Palastburgen hineingebaut wurden, eine Spätblüte der mykenischen Kultur erhalten, wobei freilich der Niedergang in allen höheren Kunstfertigkeiten nicht zu übersehen ist. Gleichwohl wird man dieser postpalatialen Epoche (bis zur Mitte des 11.Jhs. v. Chr.) einen beträchtlichen Anteil an der Ausbildung der epischen Sagentradition mit ihrer „Rückerinnerung“ an die frühgriechisch-mykenische Blütezeit beizumessen haben, die für das Griechentum des 1. Jahrtausends zur „Memoria“- und Identitätsbasis werden sollte.

Einfache Organisationsebene

Die konkreten geschichtlichen Ereignisse dieser (schriftlosen) Epoche sind dagegen zum größten Teil verschollen; nur in Umrissen lassen sich für die archäologisch fassbaren Zeitstufen vor und nach 1000 v. Chr. einige elementare Entwicklungen und politisch-soziale Rahmenbedingungen erfassen: Der Reduktion in den äußeren Dimensionen und Machtmitteln eines eng umgrenzten Königtums entsprach die Herausbildung von Gesellschaftsstrukturen, in denen an die Stelle der bürokratischzentral kontrollierten Ordnung der Zeit der Paläste und Linear-B-Tafelarchive kleinere, auch in ihrer sozialen Stratifikation überschaubare Lebens- (und Überlebens-)Gemeinschaften traten. Zu dem schon in der mykenischen Palastzeit recht aktiven und handlungsfähigen Damos-Gemeindekollektiv gesellten sich gentilizische, unter Führung mächtiger Krieger-Herren stehende „Geschlechter-Verbände“ (genos) oder „Verwandtschafts-Gruppen“ (Phratrien), die sich ihrerseits auch zu größeren, weit verzweigten „Abstammungsgemeinschaften“ (Phylen) zusammenschließen konnten.

Diese relativ einfache Organisationsebene dürfte gerade auch bei den erkennbaren Wanderungsbewegungen eine wichtige Rolle gespielt haben: So ist noch in der spätmykenischen Phase des 12./11. Jahrhunderts v. Chr. die Gräzisierung Zyperns durch massive Abwanderungen aus den einstigen Kernlandschaften der frühgriechisch-mykenischen Peloponnes, vornehmlich aus der Argolis und Lakonien, in Gang gesetzt worden, ohne dass sich hierzu Aussagen über konkrete Beweggründe und Wirkfaktoren machen ließen. Im Verlauf des 11. Jahrhunderts hat sich an diese Entwicklung eine immer stärker werdende Zuwanderung nordwestgriechischer Bevölkerungselemente – aus bisherigen Randbereichen des mykenischen Kulturraumes – in sämtliche Küstenlandschaften der Peloponnes angeschlossen. Allein auf Zypern und im Rückzugsgebiet des arkadischen Berglandes im Inneren der Peloponnes konnte sich gegenüber dem Nordwestgriechischen der ältere Dialekt behaupten, der besonders enge Übereinstimmungen mit der erloschenen Linear-B-Kanzleisprache der mykenischen Palastzeit aufweist.

Doriertum

An lokalen Umbrüchen und vereinzelten Katastrophen hat es in den betroffenen Küstenregionen im Zuge einer tiefgreifenden ethnisch-sprachlichen Umschichtung gewiss nicht gefehlt, doch haben diese Vorgänge, die in der älteren Forschung vielfach noch als die große „Dorische Wanderung“ interpretiert wurden, mit dem umfassenden Zerstörungshorizont in den mykenischen Palastzentren am Ende des 13. Jahrhunderts v. Chr. nichts zu tun. Tatsächlich hat sich hier erst vom Ende des 11. Jahrhunderts an – und gerade in den ehemaligen Kerngebieten der mykenischfrühgriechischen Kultur auf der Peloponnes (in der Argolis, im Isthmosraum und in Lakonien) – das spezifische Doriertum herausgebildet. Diesem postpalatialen Doriertum gelang es relativ leicht, Anschluss an die Sagentraditionen der frühgriechischen „Rückerinnerung“ zu finden; darüber hinaus zeichnete sich dieser neue Verband innerhalb der Peloponnes durch eine erstaunlich einheitliche Binnenstruktur aus: Wie in einer großen „Stämmeföderation“ standen bei den Doriern einer einheimisch-frühgriechischen Bevölkerungsschicht nordwestgriechische Zuwanderer gegenüber. Das vornehmste Element aber war die dritte Phyle der – vom mythischen Gott-Mensch Herakles sich herleitenden – Hylleer, die tatsächlich jedoch einen an der adriatisch-illyrischen Küste mehrfach bezeugten Volksnamen trugen.

In allen später gegründeten dorischen Gemeinwesen Griechenlands gehörten die Königsgeschlechter und vornehmsten Adelshäuser stets der Phyle der Hylleer an und teilten mit ihr den Anspruch auf „heraklidische“ Abstammung. In den Hylleern wird man daher eine in der Peloponnes bereits seit längerer Zeit etablierte Krieger-Herrenschicht zu sehen haben, deren Ursprünge bis in die Zeit der „Seevölker“-Invasionen zurückreichten. Von diesen, vornehmlich in der Argolis und in Lakonien ausgebildeten Phylenverbänden haben dann in der Phase zwischen 1000 und 800 v. Chr. die Ansiedlungen der „in drei Abteilungen gegliederten Dorier“ auf der Insel Kreta und später in der Dodekanes an der südwestkleinasiatischen Küste ihren Ausgang genommen.

Schon vor der Ausbreitung des auf der Peloponnes konstituierten Doriertums im südlichen Ägäisbereich hatte im 11. Jahrhundert von Mittelgriechenland aus eine rasch anwachsende Kolonisationsbewegung, die sogenannte Ionische Wanderung, eingesetzt, die über die Kykladeninseln hinweg bis an die Westküste Kleinasiens ausgriff. Die „Ionische Wanderung“ erreichte damit einen Raum, der im 2. Jahrtausend v. Chr. zeitweilig bereits unter kretisch-minoischem und später unter frühgriechischmykenischem Einfluss gestanden hatte; politisch-historisch und kulturell bedeutende Gemeinden entstanden nun in Milet, Ephesos, Kyme, Kolophon und auf den vorgelagerten Inseln Chios und Samos. In ihren befestigten, unmittelbar an der Küste gelegenen Siedlungsstätten hatten die Kolonisten – nach dem Zusammenbruch des hethitischen Großreiches – vom kleinasiatischen Hinterland aus keine starke Gegenwehr mehr zu befürchten. Innerhalb der „Ionischen Wanderung“ hat, der späteren Überlieferung zufolge, das Gemeinwesen von Athen/Attika eine wichtige Rolle gespielt. Tatsächlich war das athenisch-attische Herrschaftszentrum, der befestigte mykenische Königssitz auf der Akropolis, auch weitaus weniger von den Zerstörungen und Katastrophen des 13./12. Jahrhunderts heimgesucht worden als die großen Palastburgen im benachbarten Boiotien und auf der Peloponnes.


Die griechische Staatenwelt des 5. Jahrhunderts und ihre Nachbarn.

Im ionischen Siedlungsgebiet lässt sich, ebenso wie bald darauf im Prozess der „Dorisierung“ Kretas, beobachten, wie sehr die gentilizischen Phylenverbände, die sich in der spätmykenischen Phase auf dem griechischen Festland herausgebildet hatten, an den Kolonisationsbewegungen beteiligt waren: So ergibt sich aus späteren dokumentarischen Zeugnissen, dass von den auch hier eingerichteten Untergliederungen des jeweiligen Siedlerverbandes in der Regel mindestens eine den Namen einer der alt-athenischen Phylen getragen hat. Daher lässt sich gerade für die Anfangsphase dieser neuen Gemeinwesen mit einiger Sicherheit eine koordinierende Beteiligung Athens erschließen; markante Übereinstimmungen zwischen Athen und den Polisgemeinden Ioniens haben darüber hinaus auch in Sprache, Kalender und Kultwesen bestanden.

Kolonisationsbewegung der Aioler

Nördlich des ionischen Siedlungsraumes hat erst im 9./8. Jahrhundert v. Chr. eine weitere – vornehmlich von Thessalien ausgehende – Kolonisationsbewegung, die der Aioler, Fuß fassen können, wobei sowohl die große Insel Lesbos als auch die Nordwestküste Kleinasiens (einschließlich der Troas) besiedelt wurde: Mit Smyrna, Phokaia, Assos und Mytilene auf Lesbos entstanden auch hier Gemeinwesen, die in der späteren Geschichte der griechischen Staatenwelt eine eigenständige Rolle spielen konnten. Wie Ausgrabungen (u.a. in Alt-Smyrna/Bairakli) gezeigt haben, bildete sich zuerst in den – durch immer wieder verstärkte Befestigungsanlagen gegenüber der Bevölkerung des Hinterlandes abgeschirmten – Siedlungen am kleinasiatischen Küstensaum der Typus der autonomen, jeweils auf die eigenen Kräfte angewiesenen Polisgemeinde heraus – mit einem stark entwickelten Selbstbehauptungswillen. In diesen dauerhaft auf ihren befestigten Zentralort ausgerichteten Siedlergemeinschaften konnten sich daher schon bald nach der ersten Konsolidierungsphase – neben dem traditionellen Stadtkönigtum und einem mehr oder weniger großen Adelsrat an seiner Seite – auch Institutionen für die gesamte Gemeinde herausbilden und in ihrem Rahmen ein allgemeines öffentliches Mitspracherecht durchsetzen.

Angesichts der „Ionischen Wanderung“ und der ebenfalls über See erfolgten Expansion des peloponnesischen Doriertums wird man im Hinblick auf die spät- und nachmykenischen Phasen schwerlich von einem allgemeinen Rückfall Griechenlands in tiefe Armut und Isolation während der sogenannten Dunklen Jahrhunderte um 1000 sprechen können. Jedenfalls dokumentieren die imposanten Funde aus dem im 11./10. Jahrhundert aufblühenden Herrschafts- und Siedlungszentrum von Lefkandi auf Euboia (an der Meerenge von Chalkis) eindrucksvoll, dass hier auch die Verbindungen zur Levanteküste und ihren Handelsgütern niemals abgerissen sind. Schon im 9. Jahrhundert konnten kühne euboiische Seefahrer, vom mächtigen Stammstaat auf ihrer Insel unterstützt, eine Vormachtstellung im zentralen Ägäisbereich erringen und des Weiteren im nordsyrischen Al Mina und in Tell Sukas nahe der Orontes–Mündung eigene Handelsstationen aufbauen: Hier oder auf Zypern, jedenfalls aber in einem engen griechisch-semitischen (kanaanäischen) Kontakt- und Austauschbereich, ist wohl kurz vor 800 die geniale Erfindung eines phonetischen, leicht erlernbaren Alphabetsystems – auf der Basis der kanaanäisch-phönizischen Konsonanten-Schriftzeichen – gemacht worden. Schon früh im 8. Jahrhundert hat sich dieses, grundsätzlich auch die Vokale als Sinnträger berücksichtigende Schriftsystem in mehreren Versionen über die ganze griechische Welt und ihre Nachbarkulturen in West und Ost verbreitet: Schriftgebrauch und -kultur, bislang das Monopol privilegierter Eliten von Schreiber-Funktionären, Priestern und Schriftgelehrten, wurden nun in der griechischen Welt zu einem schließlich geradezu selbstverständlichen Gemeinbesitz breiter Bevölkerungskreise.

Schrift und Dichtungen

Mit seiner Offenheit und leichten Nutzbarkeit bot das phonetische Alphabet auch die besten Voraussetzungen, um die bislang nur mündlich überlieferte Heldendichtung und die mit ihr verbundenen mythologischen Weltbilder schriftlich festzuhalten; die dabei verwendete, stark vom Hexameter-Versmaß geformte griechische Dichtersprache stand bezeichnenderweise dem Ionischen und Aiolischen nahe. Mit dem ersten Schritt in diese Richtung aber eröffneten sich ganz neue Möglichkeiten sowohl in der inhaltlichen Verknüpfung der verschiedenen Sagenkreise als auch in der kompositorischen Ausgestaltung des Erzählstoffs. Am Ende dieser Entwicklung stehen schließlich die Meisterwerke der homerischen Großepen »Ilias« und »Odyssee« (um 700). Allgemeine Vorstellungen und vereinzelt auch Kenntnisse vom reichen literarischen Erbe des altorientalischen Kulturkreises und seiner Mythologien mögen sich stimulierend auf diesen Prozess ausgewirkt haben; von massiven Übernahmen oder gar einer tiefreichenden Prägung der homerischen (Heldensagen-)Epik durch das vorderasiatische Schriftgelehrtentum, mitsamt seinem Schulbetrieb, kann jedoch keine Rede sein. Anders steht es dagegen mit dem »Theogonie«-Werk des in Boiotien lebenden, aber aus einer kleinasiatisch-ionischen Familie stammenden Hesiod von Askrai (im frühen 7. Jh. v. Chr.), der die griechischen Göttersagen und -traditionen mit spezifischen Details in ein kosmologisches Weltbild eingefügt hat, das orientalischer – ursprünglich churritisch-hethitischer – Überlieferung entstammte. Die Rezeption orientalischer Themen und Vorstellungen in Hellas geht im Übrigen weit über das Zeitalter Hesiods und die bildende Kunst der frühen und hohen Archaik hinaus: Auch noch im 5. und 4. Jahrhundert haben prominente Literaturwerke des Orients – zum Beispiel das klassische babylonische Atramchasis-Epos und der Achikar-Roman – nachweislich auf die griechische Geisteswelt eingewirkt.

wbg Weltgeschichte Bd. II

Подняться наверх