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V. Ethnonyme Ausdifferenzierung: Nomaden und Numider
ОглавлениеEbenso wie in den Kulturfolgenmodellen ist in den Charakterisierungen der Ethnien zu beobachten, dass die Beschreibung der Lebensweise und die terminologische Spezifizierung der Ethnien zusammenhängen. In der ethnographischen Ausdifferenzierung der nomadischen Völker zeigt sich am Beispiel der Numider, wie aus der Konstellation und der Rollenzuweisung der Nomaden als der ganz ‹Anderen› auch spezifische Ethnonyme werden konnten.
Inwiefern den etymologisch an νομάς, νομάδος orientierten Erklärungen der späteren Lexikographen unter dem Lemma νομάδες, etwa bei Hesychios, Lexikon ν 621: νομάδες· βοσϰόμεναι ἀγέλαι (= Photios, Lexicon ν 301, s. v. Νομάδες = Lexica Segueriana ν 309, s. v. νομάδες) die tatsächliche historische Entwicklung entspricht, ist aufgrund der späten Abfassungszeit dieser Lexika schwer zu beurteilen. Immerhin gibt die Suda unter νομάδες (ν 450) nicht nur denselben Eintrag wie die anderen Lexika, sondern fügt auch noch hinzu: ϰαὶ ἔθνη Σϰυθιϰά und erklärt im folgenden, wie dies von der Beschreibung der Lebensweise her abgeleitet sei.
Das Beispiel der Numider, offenbar dasjenige Nomadenvolk, das den prägendsten Eindruck auf die Römer in den kriegerischen Auseinandersetzungen in Nordafrika gemacht hatte, wird bei Plinius (n. h. V, 22) so klassifiziert:
Numidae vero Nomades a permutandis pabulis, mapalia sua, hoc est domos, plaustris circumferentes.
»Die Numider wurden in Wahrheit Nomaden genannt, vom Wechseln der Nahrung her, ihre Mapalia, dies sind die Häuser, auf Wagen herumtragend.«
Auch bei Festus, De verborum significatu, s. v. Numidas ist dies ganz ähnlich formuliert:
… <Numi->das dicimus quos Gr<aeci Nομάδας, sive quod id genus> hominum pecoribus n<egotiatur, sive quod herbis, ut pe->cora, aluntur.
»Wir nennen Numider diejenigen, die die Griechen Nomaden nennen, sei es weil dieses Menschengeschlecht mit Weidetieren handelt, sei es weil sie sich von den Pflanzen ernähren wie die Weidetiere.«
Seit Appian ist in der griechischen Literatur zu beobachten, dass das Ethnonym ‹Numider› von der Bezeichnung der durch ihre Lebensweise als Nomaden charakterisierten Völker terminologisch unterschieden wird (Appian, Proemium 3). Insbesondere in der späteren Literatur wird davon kaum noch abgewichen (Scholia in Dionysium Periegetam, Orbis descriptionem 186; Epiphanios, Ancoratus 113, 1–3; Hippolytos, Chronicon 132; Georgios Synkellos, Eklogé chronographías p. 52). Hiervon ausgehend, ist bereits bei Arrian eine ethnische Differenzierung auf der Grundlage der nomadischen Lebensweise bei den nordafrikanischen Völkern zu vermuten, wenn er einerseits von den libyschen Nomaden (Arrianos, Anabasis III, 30, 8–9) und andererseits von den Nomaden jenseits des Atlas spricht (Arrianos, Anabasis VII, 1, 2–3). Insofern erklärt sich auch die Konsequenz, mit der Polybios die Numider benennt: die Charakterisierung als Nomade ist für ihn hinter die ethnische Differenzierung zurückgetreten, die sich auch in der klaren Trennung von Numidern und Libyern ausdrückt (I, 77, 3; III, 33, 15-16)! Allerdings ist auch bei ihm wie bei Arrian noch zu erkennen, dass die Vorstellung der nomadischen Lebensweise als übergreifende Zuordnung im Epitheton noch vorhanden war, so dass eine exakte Unterscheidung der beiden Bedeutungen tatsächlich nicht immer in der wünschenswerten Eindeutigkeit möglich ist.
Allerdings hat hier die moderne Forschung teilweise einen anderen Weg eingeschlagen: Von Gsell ist vorgeschlagen worden, ‹Nomades› und ‹Numidae› auf ein ähnlich klingendes, ethnogenes Ethnonym zurückzuführen, dem die Römer die griechische Lebensformbezeichnung adaptiert hätten.61Linguistische Hypothesen, die berberische Ursprünge postulierten, sind dieser Ansicht gefolgt und haben daraus sogar abgeleitet, dass die Etymologie den Mythos der nomadischen Lebensweise befördert habe.62
So wie Ennius nun aber bereits den Begriff ‹Numidae› in seinen Annalen verwendet (Ann. 242), scheint es sich schon zu dieser Zeit um ein Ethnonym zu handeln, möglicherweise aber auch um eine Transliteration des griechischen νομάδης.63 In der Folge findet sich jedenfalls in der lateinischen Literatur ‹Numidae› weitaus häufiger verwendet als ‹Nomades› und ‹Numidae› immer für nordafrikanische Nomaden oder von ihnen abstammende Stämme.64
Das Fortschreiten der Differenzierung vom deskriptiven Epitheton zum Ethnonym lässt sich in der römischen Sichtweise durchaus mit der Entwicklung vergleichen, die das Nomadenbild von Homer ausgehend genommen hat: So wie aus den Hippomolgen und Abiern später Skythen, Massagetai, Sauromatai etc. wurden, sind aus den nordafrikanischen Nomaden Libyer und Numider geworden. Dies meint Strabon (I, 2, 27), wenn er beschreibt, wie anfangs aus Unkenntnis der fernen Regionen deren Bevölkerungen unter allgemeinen Namen zusammengefasst worden wären, sich dies später jedoch änderte. Auch bei Sallust lässt sich das so erkennen (Bellum Iugurthinum 18), wenn er aus der späteren, mythisierenden Selbstzuschreibung der Numider berichtet, dass sie sich selbst ‹Numidas› genannt haben, wie A. Weiß65 in der kürzlich vorgelegten Neuinterpretation dieses ‹Numider-Logos› des Sallust nachgewiesen hat. Eine mythisierende Selbstzuschreibung entfaltet ihre Wirkung erst, wenn Grundlage und Umfeld für eine solche Differenzierung auch vorhanden sind. Die Rezeption bei Sallust verweist darauf, dass gerade die Numider offenbar dasjenige Nomadenvolk gewesen sind, das den prägendsten Eindruck auf die Römer in den kriegerischen Auseinandersetzungen in Nordafrika gemacht hatte und daher in ihrem Fall Beschreibungen der Lebensweise und Ethnonym zusammengefügt worden sind.