Читать книгу Wandern, Weiden, Welt erkunden - Группа авторов - Страница 13

VI. Spectabilia

Оглавление

Unter dem Stichwort der »Spectabilia« findet sich eine Auswahl an Quellenstellen, deren Bedeutung nicht auf die im Quellenband zu sammelnden (»menschlichen«) Nomaden hinweist, sondern die in den verschiedenen Ableitungen von νομάς – ‹Weide› auftreten. Diese viel weitergehende Übertragung lässt sich zum einen in der Benennung bestimmter Verhaltensweisen, Tierrassen, Pflanzensorten sowie schließlich sogar in der Beschreibung von Arzneianwendung in medizinischen Werken erkennen: eine besondere Form der Mobilität zeichnet manche Pferde (Bolos, Peri sympatheion kai antipatheion 6), Rinder (Dioskurides, Euporista vel De simplicibus medicinis I, 234, 1) und Tauben (Oreibasios X, 42, 3; Aetios, Iatricorum II, 117; Galenos, De simplicium medicamentorum temperamentis ac facultatibus XI, 12, p. 302), aber auch Gänse (Galenos, De compositione medicamentorum per genera libri VII = Kühn Vol. 13, p. 725) aus, die als wild und ungezähmt ‹wandernde› beschrieben werden. Deren Exkremente waren offenbar beliebter Bestandteil der antiken ‹Dreckapotheke›. Dass bei den Rezepten ein Unterschied zwischen wilden und domestizierten Tieren bestand macht u.a. die Stelle bei Galenos deutlich:

De simplicium medicamentorum temperamentis ac facultatibus libri XI = Kühn Vol. 12, p. 302

[ϰε´. Περὶ ϰόπρου περιστερᾶς.] Τῇ γοῦν ϰόπρῳ τῶν νομάδων περιστερῶν, οὕτως γὰρ αὐτὰς ἔνιοι ϰαλοῦσι διαστέλλοντες ἀπὸ τῶν ϰατοιϰιδίων, ὡς θερμαίνοντι φαρμάϰῳ ϰαὶ αὐτὸς ἐγὼ πάνυ συνεχῶς εἰς πολλὰ χρῶμαι, μετὰ μὲν ϰαρδάμου σπέρματος ϰεϰομμένην τε ϰαὶ διηθημένην ξηρὰν ἀντὶ νάπυος ἐπὶ τῶν φοινιγμοῦ δεομένων προσφέρων.

»Über Taubenkot: Nun aber den Kot der umherziehenden Tauben, so nämlich nennen sie einige, um sie von den domestizierten zu unterscheiden, benutze ich selbst sehr häufig als Heilmittel erwärmt gegen vieles, zusammen mit dem abgeschlagenen, sowohl gereinigten als auch getrockneten Samen der Kresse anstelle des Senfs, um beim Darbringen Hautreizungen zu verhindern.«

Neben den umherwandernden Tieren, deren Exkremente für medizinische Anwendungen benutzt wurden, finden sich noch eine ganze Reihe anderer Tiere, wie bspw. das Perlhuhn als Delikatesse (Lukianos, De mercede conductis potentium familiaribus 17; Athenaios, Deipnosophistai XIV, 84), eine nicht näher bestimmte Art von Insekten, den Bienen ähnlich (Aristoteles, De partibus animalium 682 b8–11), oder aber die poetischen Beschreibungen des Fischadlers bei Euripides (F 636).

Einen großen Teil der Tierbeschreibungen bilden jedoch Quellenstellen mit biblischem Hintergrund, besonders die Schilderungen zur Person und Situation des Hiob, dessen Esel und Hunde mit einer Form von νομάς näher bestimmt werden. Aber auch Erzählungen zum ausschweifenden Leben von König Salomon, im Besonderen seine zum Frühstück verspeisten βόες νομάδες (= Weidekühe) finden sich an dieser Stelle.

Die im Ursprungswort νομάς liegende Grundbedeutung ‹weidend› führt also immer wieder auf die Mobilität, sowohl im praktisch-alltäglichen Sinn einer Lebensweise wie auch übertragen in der metaphorischen Verwendung des ‹Fließens› (Sophokles Oidipus Kolonos 685–7), der zum Ende des Monats hinwandernden Tage (Hesychios, Lexicon ν 622, s. v. νομάδες) oder auch des Bildes vom ‹guten Hirten›, der die ‹Herden› zu den Weiden zurückführen werde (Jer 23, 3; Ez 34, 14).

Zur besseren Orientierung enthält das Kapitel der Spectabilia eine Unterteilung in drei Kategorien: Diverse, Tiere und Rezepte.

Unter dem Eintrag »Diverse« wurden Stellen subsumiert, wie bspw. die Bewegung einer Haarlocke (Amphilochios von Ikonion, In mulierem peccatricem 143–149 Datema), die Zusammenkunft einer größeren Gruppe von Frauen (Palladios, Dialogus de vita Joannis Chrysostomi 16, 95–104) oder umherziehende Nymphen (Plutarchos, De defectu oraculorum 21) – alle diese Stellen weisen die vielfältigen Kontexte auf, in denen νομάδ* verwendet werden konnte. Ebenfalls in dieser Kategorie zu finden sind die Erwähnungen des numidischen Landes als Nομαδίαν (Polybios XXXVI, 16, 7–8; Diodoros XXXVII, 29, 3; Konstantinos VII. Porphyrogennetos, De virtutibus et vitiis Büttner-Wobst Vol. 1, p. 321).

Alle diese Verwendungen des ‹nomadischen› Elements zeigen charakteristische Gemeinsamkeiten: Das entscheidende Motiv ist die Mobilität in jeder Hinsicht, die die Nomaden ebenso auszeichnet wie die später aus dieser generellen Klassifizierung abgeleiteten Ethnien. Dies ist die Mobilität einer Lebensform, die derjenigen der Sesshaften als ganz und gar konträr gegenüberstehend gesehen wird (z.B. auch in der Unterscheidung der nomadischen und der ‹sesshaften› Tauben bei Galen, De simplicium medicamentorum temperamentis ac facultatibus XI = Kühn Vol. 12, p. 302), die aber nichtsdestoweniger in der griechischen Literatur Spuren einer intensiven Wechselwirkung hinterlassen hat.

Dieses Wechselspiel zwischen Realität und ‹sozialer Konstruktion der Wirklichkeit› sowie die darin zum Ausdruck kommenden unterschiedlichen Diskurse lassen sich nicht auf eine homogene Begrifflichkeit reduzieren, sondern sie zeigen vielmehr, wie auf der Basis der breiten Quellenlage die Darstellungsperspektiven der antiken Autoren über die reine Zuordnung von Stereotypen hinaus nutzbar zu machen und in verschiedene Kontexte einzubinden sind.

Charlotte Schubert

Wandern, Weiden, Welt erkunden

Подняться наверх