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Aktivraum
ОглавлениеA. und Passivraum sind aus dem geopolitischen Kontext stammende Begriffe, mit denen räumliche Gebiete auf regionaler (↗ Region) Maßstabsebene klassifiziert und mit positiven bzw. negativen Wertungen versehen werden. Bereits in den 1918 erscheinenden Leitlinien der allgemeinen politischen Geographie von Alexander Supan (1847–1920) wird eine Unterscheidung in ‚aktive‘ und ‚passive‘ ↗ Räume vorgenommen – als dritte Kategorie wird darüber hinaus die Bezeichnung ‚sterile Räume‘ für unbewohnte ↗ Gegenden vorgeschlagen – und die Bevölkerungsdichte als deren Unterscheidungskriterium eingeführt. In Engführung mit ähnlichen Diskursen (↗ Not) führt Heinrich Schmitthenner (1887–1957) in der Schrift Lebensräume im Kampf der Kulturen von 1938 aus, dass das „Streben nach Ausdehnung“ jedem „gesunden Volke immanent“ (Schmitthenner 1951, 9f.) ist. Bei dieser Argumentation wird die Kategorie ↗ Dichte übernommen und konkretisiert, nur derjenige ↗ Raum könne „sich ausweiten und neue Gebiete erschließen, der nach anderen hin ein Bevölkerungs-, aber auch ein Kulturgefälle (↗ Kultur)“ (ebd.) besitzt. Für Schmitthenner bestehen passive Räume insbesondere aus den Kolonialgebieten, während aktive Räume von den „Mutterländer[n]“ (ebd., 204) gebildet werden. In der Raumplanung (↗ Planung) werden nach 1945 die Ausdrücke aktive und passive Räume zu A. und Passivraum substantiviert und (neben Begrifflichkeiten wie ‚Rückstandsgebiete‘, ‚Notstandsgebiete‘, ‚Sanierungsgebiete‘) bis etwa in die 1970er Jahr regelmäßig zur Klassifizierung von Regionen nach ökonomischen und demographischen Kriterien (↗ Ballung) verwendet. Mit ‚raumwirtschaftlichen Analysen‘ werden sämtliche Kreise der Bundesrepublik in solche Begriffssysteme eingeteilt, wobei die Passivräume einen exponierten raumordnerischen (↗ Raumordnung) Handlungsbedarf signalisieren (Dittrich 1955). In den 1970er Jahren wird ohne großen Erfolg versucht, die Begriffe A. und Passivraum als vermeintlich neutrale Ausdrücke wieder in der ↗ Geographie zu verankern (Monheim 1972). Heute werden die beiden Begriffe in den raumplanerischen und geographischen ↗ Diskursen nur noch gelegentlich verwendet. In der Gesamtschau lässt sich anhand der Ausdrücke A. und Passivraum deutlich die Verbindungslinie zwischen Geodeterminismus (↗ Determinismus), ↗ Geopolitik und Raumplanung auf der begrifflichen Ebene nachzeichnen und auch die ontologische Gemeinsamkeit benennen, auf der diese Verbindung beruht: Mit diesen Bezeichnungen werden die Bedeutungen am Objekt festgemacht und auf die materiellen Vehikel der ↗ Repräsentation reduziert; die Einheit von Bedeutung und ↗ Materie wird damit als unauflöslich konstruiert. Mit dieser ↗ Verdinglichung findet eine ↗ Produktion sprachlicher (↗ Sprache) ↗ Verräumlichung statt (Werlen 2008).
Literatur: Leendertz 2008; Voppel 1961.
Dittrich, Erich (1955): Grundfragen deutscher Raumordnung, Bad Godesberg.
Leendertz, Ariane (2008): Ordnung schaffen, Göttingen.
Monheim, Rolf (1972): Aktiv- und Passivräume, in: Raumforschung und Raumordnung 2, 51–58.
Schmitthenner, Heinrich (21951): Lebensräume im Kampf der Kulturen, Heidelberg [1938].
Supan, Alexander (1918): Leitlinien der allgemeinen politischen Geographie, Berlin/Leipzig.
Voppel, Götz (1961): Passiv- und Aktivräume, Bad Godesberg.
Werlen, Benno (2008): Körper, Raum und mediale Repräsentation, in: Spatial Turn, hg. v. J. Döring u. T. Thielmann, Bielefeld, 365–392.
Nikolai Roskamm