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Aneignung
ОглавлениеEnde des 18. Jh.s beschränkt sich das A.skonzept auf die juristische Frage der (un-)rechtmäßigen Inbesitznahme von Gegenständen. Immanuel Kant (1724–1804) und Georg W. F. Hegel (1770–1831) thematisieren die Legitimität und Subjektivität von ↗ Prozessen der A. als rechtsphilosophisches Problem. Darauf bauen die materialistischen (↗ Materie) Deutungen von Karl Marx (1818–1883) und Friedrich Engels (1820–1895) auf, die in ihrer gegen die Nachfolger jener Idealisten gerichteten, zwischen 1845 und 1847 verfassten Streitschrift Die deutsche Ideologie den inneren Zusammenhang von gesellschaftlichen Eigentumsverhältnissen, politischen und kulturellen Prozessen (↗ Kultur) und den ↗ Möglichkeiten zur Entfaltung (↗ Entwicklung) der Individuen erörtern. Daraus folgen zwei raumrelevante Diskursstränge: Einerseits die kulturhistorische Schule der sowjetischen Psychologie (und deren Rezeption der Kritischen Psychologie) und das A.skonzept von Alexei N. Leontjew (1903–1979), welches insbesondere die individuelle Ebene betont (Leontjew 1964). A. meint hier das aktive Erschließen der ↗ Umwelt als eine von Menschen unter bestimmten historischen Bedingungen in menschlicher Tätigkeit (↗ Praxis) geschaffene (↗ Geographie-Machen), vergegenständlichte – d.h. nicht nur dinghafte (↗ Verdinglichung), sondern dem Subjekt gegenüberstehende – und mit gesellschaftlichen Bedeutungen (↗ Repräsentation) versehene ↗ Welt. So argumentiert, wird das Streben nach Handlungsfähigkeit als A.sproblem über jugendund gegenkulturelle Ausdrucksformen (↗ Ausdruck) im öffentlichen Raum (↗ Öffentlichkeit) sichtbar. Pädagogisch wird mit der Schaffung von Schonräumen (↗ Streifraum) im Sinne sozialer A.sräume (↗ Sozialraum) – wie etwa Jugendhäuser – reagiert, in denen Subjekte sich kreativ mit der Umwelt auseinandersetzen können. Andererseits akzentuieren kultursoziologische Arbeiten wie diejenige Pierre Bourdieus (1930–2002) die gesellschaftlichen Bedingungen, die ↗ Macht- und Herrschaftsverhältnisse sowie deren Abhängigkeit von A.sprozessen. Aufgrund der dauerhaften Einschreibung „sozialer Realitäten in die physische Welt“ gebe der ↗ Platz eines Akteurs (↗ Aktant) laut Bourdieu (1991, 26f.) im ‚angeeigneten‘ physischen Raum (↗ Physik) einen guten Indikator für seine Stellung im sozialen Raum ab; die jeweiligen (nicht nur ökonomischen) Kapitalien (↗ Kapital) würden darüber bestimmen, wie durch (materielle und symbolische) A. die im angeeigneten Raum liegenden „(öffentlichen und privaten) seltenen Güter“ dominiert werden können. Bourdieu gelingt es zwar, für verschiedene Wirklichkeitsbereiche spezifische Raumbegriffe zu nutzen, jedoch wird das Verhältnis zwischen sozial-kulturellen Wirklichkeitsbereichen und dem chorischen Raum (↗ Chora) nicht befriedigend gelöst.
Literatur: Deinet/Reutlinger 2004 u. 2005.
Bourdieu, Pierre (1991): Physischer, sozialer und angeeigneter physischer Raum, in: Stadt-Räume, hg. v. M. Wentz, Frankfurt a. M., 25–34 [frz. 1991].
Deinet, Ulrich/Reutlinger, Christian [Hg.] (2004): ‚Aneignung als Bildungskonzept der Sozialpädagogik, Wiesbaden.
Dies. (2005): Aneignung, in: Handbuch Sozialraum, hg. v. F. Kessl u.a., Wiesbaden, 295–312.
Leontjew, Alexei N. (1964): Probleme der Entwicklung des Psychischen, Berlin [russ. 1959].
Christian Reutlinger