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Anschauung
ОглавлениеIm Deutschen wird der Begriff A. zunächst für Erkenntnis gebraucht, z.B. durch Meister Eckhart (ca. 1260–1328), und mit der ↗ Theorie, dem distanzierten Sehen (gr. theoria) ohne räumliche Vermittlung, verbunden. Immanuel Kant (1724–1804) führt dagegen in der Kritik der reinen Vernunft von 1781 den vermittelnden Begriff der subjektiven Synthesis im ↗ Schema der ↗ Erfahrung ein, der einer formalen Einheit der A. bedarf. Diese synthetisiert das sinnlich Mannigfaltige (↗ Mannigfaltigkeit) bereits vorbegrifflich, d.h. a priori, nämlich durch ↗ Raum und ↗ Zeit, den Bedingungen (↗ Bedingtheit) der ↗ Möglichkeit einer einheitlichen A.: „Der Raum ist eine nothwendige Vorstellung a priori, die allen äußeren A.en zum ↗ Grunde liegt. Man kann sich niemals eine Vorstellung davon machen, daß kein Raum sei, ob man sich gleich ganz wohl denken kann, daß keine Gegenstände darin angetroffen werden“ (A 24/B 39f.). Mit dieser Einbeziehung des Raums in die Form der A. erhält die ‚Schau‘ eine relationale (↗ Relation) Vermittlung (↗ Dialektik), insofern sie immer auf ihre Anwendung auf Sinnlichkeit und damit auf den ↗ Wahrnehmungsraum bezogen bleibt. Zugleich ergibt sich daraus eine Verlagerung der Vorstellung von Räumlichkeit in die Sinnlichkeit: Sie ist keine Eigenschaft der Dinge, sondern deren ↗ Form, zu erscheinen. Im Konzept der Welta. baut Kant die A. aus: In der Kritik der Urteilskraft von 1790 analysiert er das Erhabene (↗ Erhabenheit) als Erhebung über die Sinnlichkeit: Der ↗ Mensch als moralisches, vernünftiges Wesen ist in seiner Welta. von den Noumena, die er nur denken (↗ Logos), aber nicht erfahren kann, mitbestimmt: Das Unendliche der Sinnenwelt und damit des Raums, als Form der A., wird der Welta. als Substrat hinzugefügt. Die Anschaulichkeit ist damit eine relationale ↗ Struktur, die aber auf eine absolute Räumlichkeit ausgerichtet bleibt. In der Romantik entwickelt sich daraus eine subjektive, empfindungsabhängige Vielfalt der ↗ Perspektiven auf die Welt, z.B. in Friedrich W.J. Schellings (1755–1854) Erster Entwurf zu einem System der Naturphilosophie von 1799 und später bei Friedrich Schleiermacher (1768–1834). Welta. wandelt sich von einer Pluralität der Perspektiven zu einem ↗ Prozess der Bildung des Individuums. Im 20. Jh. wird die A. selbst zunehmend einer ↗ Entwicklung unterworfen: Wilhelm Dilthey (1833–1911) legt 1919 eine Schrift über Die Typen der Weltanschauung vor. Martin Heidegger (1889–1976) verwirft die Begriffe Welta. und Weltbild, die als Folge der Metaphysik diese stützen und die Erfahrung perspektivisch zurichten (Heidegger 1994, 89f.), die auf einer abstrakten, visuell konstruierten Vorstellung von Räumlichkeit beruht. Dagegen setzt er die ↗ Seinstopologie, in der er die Verortung als Entstehungsgrund des Raums versteht. Gegen den Begriff Welta. setzt er dabei den der Grundstimmung. Ähnlich kritisiert Jean Gebser (1905–1973) die perspektivische Welta., die seit der Renaissance mittels der Mechanisierung der Zeit Herrschaft über den Raum liefert, und unterscheidet davon den ↗ Aperspektivismus (Gebser 1978). Hans Blumenberg (1920–1996) betont die Dogmatik des Begriffes Welta., für die der Raum zu durchqueren und zu überwinden ist, um den ‚↗ Horizont der Lebenswelt‘ auf Unendlichkeit hin zu überschreiten (Blumenberg 1986).
Literatur: Borzeszkowski 2009; Dück 2001; Felbinger 1979.
Blumenberg, Hans (1986): Lebenszeit und Weltzeit, Frankfurt a. M.
Borzeszkowski, Horst-Heino von (2009): Kants Raum-Zeit-Apriorismus im Lichte der Relativitätstheorie, in: Kants Philosophie der Natur, hg. v. H.-O. Onnasch, Berlin, 203–220.
Dück, Michael (2001): Der Raum und seine Wahrnehmung, Würzburg.
Felbinger, Wolfgang (1979): Anschauung und Denken bei Kant, München.
Gebser, Jean (1978): Die Fundamente der aperspektivischen Welt, Schaffhausen [1949].
Heidegger, Martin (71994): Die Zeit des Weltbildes, in: ders.: Holzwege, Frankfurt a. M., 75–113 [1950].
Jaspers, Karl (1919): Psychologie der Weltanschauungen, Berlin.
Panofsky, Erwin (1998): Die Perspektive als ‚symbolische Form‘, in: ders.: Deutschsprachige Aufsätze, Bd. 2, Berlin, 664–757 [1927].
Viola Nordsieck