Читать книгу Lexikon Raumphilosophie - Группа авторов - Страница 27

Anwesenheit

Оглавление

Der Begriff der A. oder Präsenz ist abgeleitet von dem lat. prae-esse, was etwa ‚zur Hand sein‘ (↗ Auge-Hand-Feld) bedeutet. Was anwesend ist, ist hier und dort gegenwärtig und kann angefasst werden. Als solche ist A. eine sog. extrinsische Eigenschaft von zeiträumlichen Dingen und Personen, d.h., etwas ist nicht auf dieselbe Weise anwesend wie es z.B. weiß oder rund ist. Wenn man einen Fußball mit eigenen Augen anschaut, lässt sich sagen, dass er rund, weiß und anwesend ist, aber wenn man sich genau desselben Fußballes erinnert, kann man eben nicht urteilen, er sei anwesend, obwohl er noch immer weiß und rund ist. A. im üblichen Sinne ist immer A. für ein wahrnehmendes Subjekt, welches das anwesende Ding anschauen (↗ Anschauung) und anfassen kann. Es ist gerade diese ↗ Möglichkeit, die die A. von etwas konstituiert. Ist ein Objekt für ein Subjekt nicht präsent, behält es zwar seine intrinsischen Eigenschaften (weiß, rund etc.), aber das Merkmal A. verschwindet. Gleiches gilt für die Abwesenheit. In L’Être et le néant von 1943 analysiert Jean-Paul Sartre (1905–1980) die Abwesenheit als eine erfahrungsabhängige Eigenschaft von Dingen und Personen. Wird etwa eine Person gesucht und ist nicht da, wird diese als abwesend erfahren (Sartre 1994, 60f.). Auf gleichartige Weise kann ein entfernter (↗ Ferne) geliebter Mensch oder ein Verstorbener, sowie im Heimweh (↗ Heimat) ein ↗ Ort als abwesend erfahren werden. Sartre kontrastiert diese erfahrene Abwesenheit mit einer bloß gedachten: Ein abstraktes Urteil wie „Caesar ist nicht im Kino“ hat, anders als der Satz „Pierre ist nicht im Kino“, keinen Grund in der Realität. Caesar kann nicht als ‚abwesend‘ erfahren werden, da man ihn nicht erwartet. Sowohl A. als auch Abwesenheit sind also subjektabhängige Eigenschaften: Sie gehören zwar zu den Dingen, könnten diesen aber nicht zukommen ohne Beteiligung eines Bewusstseins. Zu nennen sind insbesondere vier Problematisierungen bzw. Erweiterungen dieser rudimentären Analyse der A.: Zuerst weist Edmund Husserl (1859–1938) darauf hin, dass selbst ein in der ↗ Wahrnehmung gegebenes Ding nie völlig präsent sein kann. Es kann nach Husserl (1991, 138) immer nur eine bestimmte Seite des räumlichen Objektes (↗ Kinästhesie) gesehen werden: „Das Ding ist nie endgültig gegeben und zu geben“. Ferner argumentiert Martin Heidegger (1889–1976), dass die A. eines Objektes für ein Subjekt einen ↗ Prozess der Offenbarung oder Entbergung (↗ Lichtung) voraussetzt: Nur weil das Seiende in die Unverborgenheit getreten ist, können menschliche Subjekte sich intentional (↗ Intentionalität) zu diesem verhalten und es als anwesend erfahren. Heidegger wirft der klassischen Metaphysik vor, sie habe diese Form der ↗ Wahrheit vernachlässigt und damit auch die Frage nach der Möglichkeit von A. Sie stellt nach Heidegger (2007, 86f.) nicht „die Frage, inwiefern es A. als solche geben kann. Es gibt sie nur, wenn Lichtung waltet. Diese ist mit der alétheia, der Unverborgenheit, zwar genannt, aber nicht als solche gedacht“. Des Weiteren macht der Literaturwissenschaftler Hans U. Gumbrecht den Begriff A. zum Schwerpunkt einer Analyse der ↗ Kultur und unterscheidet ‚Sinnkulturen‘ von ‚Präsenzkulturen‘. In Sinnkulturen stehen die Subjekte den Dingen ‚gegenüber‘, d.h. sie sind von den Dingen geschieden, wohingegen in Präsenzkulturen mit den Dingen gelebt werde (↗ globales Dorf). Laut Gumbrecht ist das aufgeklärte Abendland (↗ Okzident) eine Kultur des ↗ Sinnes, des Bildschirmes und der Vermittlung geworden. Er plädiert für eine große Nähe zu den Dingen und argumentiert, dass die Sprache das Medium sei, um uns die Dinge in ihrer Präsenz zurückzugeben (Gumbrecht 2006, 319–326). Zu erwähnen ist schließlich, dass eine solche leibliche (↗ Leib) Präsenz nicht die einzige Form derselben ist; Nach Lambert Wiesing (2005, 31) sind ↗ Bilder imstande, eine sog. artifizielle Präsenz zu erzeugen. Merkmal dieser artifiziellen Präsenz ist gerade, dass wir das abgebildete Objekt nur sehen, aber nicht anfassen können.

Literatur: Harper 2006; IJsselsteijn et al. 2003; Olafson 1998; Sokolowski 1980.

Gumbrecht, Hans U. (2004): Diesseits der Hermeneutik, Frankfurt a. M.

Harper, Ralph (2006): On Presence, Baltimore.

Heidegger, Martin (2007): Das Ende der Philosophie und der Anfang des Denkens, in: ders.: Zur Sache des Denkens, Tübingen, 67–90 [1969].

Husserl, Edmund (1991): Ding und Raum, Hamburg.

IJsselsteijn, Wijnand/Riva, Giuseppe/Davide, Fabrizio [Hg.] (2003): Being There, Amsterdam.

Olafson, Frederick (1998): Being, Truth, and Presence in Heidegger’s Thought, in: Inquiry 41/1, 45–64.

Sartre, Jean-Paul (1994): Das Sein und das Nichts, Reinbek b. Hamburg [frz. 1943].

Sokolowski, Robert (1980): On the Issue of Presence, in: Journal of Philosophy 77, 631–643.

Wiesing, Lambert (2005): Artifizielle Präsenz, Frankfurt a. M.

Geert Gooskens

Lexikon Raumphilosophie

Подняться наверх