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Allgegenwart
ОглавлениеAus der christlichen Theologie stammend, wird der Begriff A. durch Augustinus (354–430) am Übergang von der Antike zum Mittelalter in den Rang eines philosophischen Fachterminus erhoben. In seinen um das Jahr 400 entstandenen Confessiones postuliert Augustinus die allumfassende Präsenz (lat. omnipraesentia) Gottes in der ↗ Welt. Augustinus’ metaphysisch begründete Konzeption des ↗ Raums ist an eine kosmische (↗ Kosmos) Vorstellung der Unendlichkeit (lat. infinitum) Gottes gebunden, welche seine repletive, d.h. alles durchdringende Existenz (↗ Ekstase) voraussetzt und als Prinzip des Welterhaltes begreift. Noch an der Schwelle zur Neuzeit behält diese Vorstellung bei Nikolaus von Kues (1401–1464) in der Schrift De visione dei von 1453 Geltung, jedoch nach seiner Auffassung als die an jedem ↗ Ort gegenwärtige Präsenz (↗ Anwesenheit) des ‚Alles-Sehenden‘, wie er mit einem Gleichnis (↗ Metapher) in Anlehnung an das Sehen von Bildern (↗ Kunst) das göttliche Wesen bereits im Vorwort nennt. Isaac Newton (1643–1727) führt in kritischer Absetzung von René Descartes (↗ Fülle) und Gottfried W. Leibniz (↗ Relation) eine Unterscheidung zur Tradition des theologischen Begriffsverständnisses von A. ein, indem er 1706 in seiner Opticks die Unermesslichkeit Gottes mit dem Raum als ‚↗ Sinn Gottes (lat. sensorium dei)‘ gleichsetzt. Der ↗ absolute Raum ist nicht mehr „Repräsentant der göttlichen Gegenwart“, sondern „das ↗ Medium, das Gott für die Aktuierung seiner A. in Anspruch nimmt“ (Beuttler 2010, 224f.). Diesen Wandel zu einer säkularen Begriffsbedeutung forciert und erweitert Michel Foucaults (1926–1984) ↗ Diskurs um ↗ Dispositive der ↗ Macht, deren moderne Disziplinartechniken, kapillar und unsichtbar, ihre A. in institutionellen Apparaten manifestiert. Im Rekurs auf Jeremy Benthams (1748–1832) panoptischen Gefängnisentwurf (↗ Panoptismus) von 1791 gründet Foucault 1975 in Surveiller et punir seine Theorie auf die Verinnerlichung einer potentiell allgegenwärtigen Machtinstanz, die vorerst an eine räumliche ↗ Struktur gebunden ist. Eine semantische Verlagerung erfährt das Begriffsfeld in Reflexion des elektronischen Medienumbruches Ende des 20. Jh.s. Die hiermit eingeleitete A. rechnergestützter Informationsverarbeitung bezeichnet erstmals 1988 der Informatiker Mark Weiser (1952–1999) im Rahmen seiner Forschung am Xerox Palo Alto Research Center als ‚ubiquitous computing‘ (Weiser 1991), worin der verwandte Begriff der Ubiquität (von lat. ubique, für ‚überall‘) aufscheint und die Einbettung des Menschen in ein computergeneriertes System der Totalvernetzung (↗ Netz) antizipiert wird. In einem allgemeineren Sinne wird schließlich die Verbindung von (post-)modernen (↗ postmoderner Raum) Entgrenzungstendenzen in der Architektur mit kommunikativen Kulturtechniken der Enträumlichung in der Durchdringung von Räumen und Zeiten als kennzeichnend für eine „Welt der A.igkeiten“ (Asendorf 2005, 5) im Zeitalter der ↗ Globalisierung diskutiert.
Literatur: Friedwald 2008; Greenfield 2006; Naab 1998, 88–99.
Asendorf, Christoph (2005): Entgrenzung und Allgegenwart, München.
Beuttler, Ulrich (2010): Gott und Raum, Göttingen.
Friedwald, Michael (2008): Ubiquitous Computing, in: Mensch-Computer-Interface, hg. v. H. D. Hellige, Bielefeld, 259–280.
Greenfield, Adam (2006): Everyware, Berkeley.
Naab, Erich (1998): Über Schau und Gegenwart des unsichtbaren Gottes, Stuttgart-Bad Cannstatt.
Steichen, Adolph (1929): Über Newtons Lehre vom Raum, in: Scholastik 4, 390–401.
Weiser, Mark (1991): The Computer for the 21st Century, in: Scientific American 265/3, 66–75.
Ursula Frohne