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Apparatus

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Der Begriff A. wird durch die französische Filmtheorie der 1970er Jahre geprägt. Die A.theorie, die auch in der angelsächsischen und deutschen Filmwissenschaft Aufnahme findet und bis heute fortgeführt wird, bemüht sich um eine materialistische (↗ Materie) Wesensbestimmung des Kinos (↗ Montage), die sich zunächst auf die technischen Geräte (↗ Gestell) zur Aufzeichnung und Wiedergabe von Filmen, dann v.a. auf die Wiedergabesituation – nun aber auch unter Einbeziehung architektonischer (↗ Tektonik) Aspekte und unter dem neuen Begriff ↗ Dispositiv – bezieht. Beide Ansätze, die sich einerseits auf Louis Althussers (1918–1990) Theorie der ideologischen Staatsapparate, andererseits auf Sigmund Freuds (1856–1939) Vergleiche des psychischen Apparates mit diversen optischen Instrumenten stützen, thematisieren an zentraler Stelle räumliche Aspekte des Kinos: Zum einen befassen sich Jean-Louis Baudry und andere Autoren mit der Darstellung des ↗ Raums im filmischen Bild (↗ Erzählung), das, obwohl selbst eine ↗ Fläche, den Eindruck von ↗ Tiefe erzeuge. Entscheidend hierfür sei die Zentralperspektive (↗ Perspektive), die zwar keineswegs spezifisch für das filmische Bild, sondern – vermittelt über den Fotoapparat und die Camera obscura (↗ dunkle Kammer) – aus der Renaissance-Malerei (↗ Kunst) übernommen werde (Baudry 2003), sich dabei aber, so Hartmut Winkler (1992, 228–231), von einer individuellen Form über einen sozialen ↗ Kode zu einem Merkmal des technischen A. verfestigt habe. Obwohl die Zentralperspektive auf einem Projektionsverfahren (↗ Projektion) der ↗ Geometrie beruht und damit ein getreues Abbild (↗ Index) der Realität zu liefern scheint, weisen A.theoretiker wie Stephen Heath (1986) auf ihre Abweichung vom natürlichen Sehen hin. Ideologisch wirksam werde die Zentralperspektive aber dadurch, dass sie im Unterschied zu den Objektperspektiven des Aggregatraums (↗ Aggregat) einen Systemraum mit einem einzigen Fluchtpunkt generiere. Denn der diesem entsprechende Geometralpunkt führt Christian Metz (1931–1993) zufolge insofern zu einer Zentrierung des Zuschauersubjektes, als er das imaginäre ↗ Zentrum des repräsentierten Raums (↗ Repräsentation) bildet, von dem aus dieser in seiner Totalität von einem Zuschauer (↗ Blick) erfasst wird, der selbst unsichtbar bleibt (Metz 2000). Dieser Effekt wird von Marcelin Pleynet und Jean Thibaudeau (2003) in eine Beziehung zum Humanismus als der vorherrschenden Ideologie des neuzeitlichen Abendlandes (↗ Okzident) gesetzt, auf das die Zentralperspektive beschränkt sei. Im Gegenzug hat Winkler (1992) die apparatustheoretische Kritik an der zentralperspektivischen Ermächtigung des Subjektes (↗ Ekstase) auf die ökologische Einsicht in die tatsächliche Abhängigkeit des Menschen von seiner ↗ Umwelt bezogen. Zum anderen hat sich die A.theorie mit dem Raum des Kinosaales befasst, in dem umgekehrt das filmische Bild erscheint. So vergleicht Baudry zugleich den Kinosaal – wie die Camera obscura ein dunkler Raum – mit der ↗ Höhle aus Platons Höhlengleichnis und dem Mutterleib (↗ Matrix), um eine Erklärung für die Faszinationskraft des Kinos zu finden: Aufgrund seiner spezifischen Rezeptionsbedingungen erzeuge dieses einen dem Traum ähnlichen Realitätseindruck, der den universellen Wunsch nach einer Rückkehr zur halluzinatorischen Wunscherfüllung des primitiven Narzissmus befriedige (Baudry 2003a). Neben der visuellen analysiert die A.theorie auch die akustische Seite des Kinos. Dabei geht insbesondere Claude Bailblé (1978 u. 1998) sowohl auf die Bedeutung des Tones für die Raumtiefe des Filmes (↗ Außerhalb) als auch auf die Beschallung des Kinosaales ein, womit auch der kinematographische ↗ Hör- und ↗ Klangraum thematisch wird. Die A.theorie wird vielfältiger Kritik unterworfen, die sich auch auf ihre Thesen zur Räumlichkeit des Kinos bezieht: Einerseits könne, so David Bordwell (1985, 107–110), die Zentralperspektive nicht nur in der Malerei, sondern auch im Kino durch bestimmte ästhetische Strategien unterlaufen werden und sei, wie wiederum Noël Carroll (1988, 130–133) festhält, trotz ihrer Unterschiede vom natürlichen Sehen das genaueste bildliche Verfahren der Raumdarstellung. Andererseits gelte die von der A.theorie beschriebene Rezeptionssituation des Kinos nur für einen bestimmten, historisch wie sozial limitierten Kontext (Kepley 1996) und sei durch eine Beschreibung konkreter Kinoarchitekturen zu präzisieren (Sierek 1993).

Literatur: Kuntzel 2000; Lauretis/Heath 1980; Rodowick 1994, 67–110; Wees 1980.

Bailblé, Claude (1978): Programmation de l’écoute, in: Cahiers du Cinéma, 292, 53–59, u. 293, 5–12.

Ders. (1998): L’Image frontale, le son spatiale, in: Cinéma et dernières technologies, hg. v. F. Beau, P. Dubois u. G. Leblanc, Paris, 225–249.

Baudry, Jean-Louis (2003): Ideologische Effekte erzeugt vom Basisapparat, in: Der kinematographische Apparat, hg. v. R. Riesinger, Münster, 27–39 [frz. 1970].

Ders. (2003a): Das Dispositiv, in: ebd., 41–62 [frz. 1975].

Bordwell, David (1985): Narration in the Fiction Film, Madison.

Carroll, Noël (1988): Mystifying Movies, New York.

Heath, Stephen (1986): Narrative Space, in: Narrative, Apparatus, Ideology, hg. v. P. Rosen, New York, 379–420 [1976].

Kepley, Vance (1996): Whose Apparatus?, in: Post-Theory, hg. v. D. Bordwell u. N. Carroll, Madison, 533–549.

Kuntzel, Thierry (2000): Notizen über den filmischen Apparat, in: Siegfried Bernfeld, hg. v. K. Sierek u. B. Eppensteiner, Basel, 199–204 [engl. 1976].

Lauretis, Teresa de/Heath, Stephen [Hg.] (1980): The Cinematic Apparatus, New York.

Metz, Christian (2000): Der imaginäre Signifikant, Münster [frz. 1977].

Pleynet, Marcelin/Thibaudeau, Jean (2003): Ökonomisches, Ideologisches, Formales…, in: Der kinematographische Apparat, hg. v. R. Riesinger, Münster, 11–25 [frz. 1969].

Rodowick, David (1994): The Crisis of Political Modernism, Berkeley.

Sierek, Karl (1993): KinAgora, in: ders.: Aus der Bildhaft, Wien, 19–65.

Wees, William (1980): The Cinematic Image as a Visualization of Sight, in: Wide Angle 4/3, 28–37.

Winkler, Hartmut (1992): Der filmische Raum und der Zuschauer, Heidelberg.

Lars Nowak

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