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Aperspektivismus

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Nach Jean Gebser (1905–1973) ist die menschliche Weltsicht (↗ Anschauung) aperspektivisch, weil sie den ↗ Raum nicht an sich, sondern immer nur als subjektiven Raum wahrnehmen könne (Gebser 1978, 60–69). Während die Entwicklung der Zentralperspektive (↗ Perspektive) zur medialen (↗ Medium) Objektivierung des Raums geführt habe, ließe die anthropologische (↗ Mensch) Verzahnung von Subjekt und Raum eine solche Perspektivierung nicht zu. Der A. ist darüber hinaus ein besonderes Merkmal des in fiktionalen Erzähltexten (↗ Erzählung) dargestellten Raums. Der Begriff figuriert im Zusammenhang mit der von dem Anglisten Franz K. Stanzel (1989, 149–189) in die Narratologie eingeführten Unterscheidung zwischen ↗ Innen- und Außenperspektive und bezeichnet den Mangel räumlicher Anhaltspunkte in Erzähltexten mit Außenperspektive (↗ Außen). Da räumliche Bezüge (↗ Relation) für ↗ Wahrnehmung von ↗ Welt und ↗ Orientierung auch des literarischen Subjektes eine zentrale Rolle spielen, muss ein aus seiner Perspektive erzählter ↗ Text dieser Bedeutung Rechnung tragen und den Raum erzählerisch zur Darstellung bringen. Mit zunehmender Entfernung (↗ Ferne) von der Innenperspektive nimmt diese Notwendigkeit ab und das Augenmerk verschiebt sich auf die ↗ Handlung und also den zeitlichen (↗ Zeit) Erzählzusammenhang. Die aperspektivische Verkürzung der Raumdarstellung führt dazu, dass der Raum nicht oder nur mehr schematisch (↗ Schema) wahrnehmbar ist. Der Leser ist nun dazu gezwungen, sich selbst an der Produktion des Raums zu beteiligen. Die strukturalistische Narratologie (↗ Topological Turn), die die Erzählung in ihrer Positivität analysiert und daher das Nicht-Erzählte unberücksichtigt lassen muss, kann diese imaginative (↗ Imaginäres) Entfaltung des Raums in der Vorstellung des Lesers theoretisch nicht nachvollziehen. Zudem wird die Funktion des dargestellten Raums lange dem Verlauf der Handlung untergeordnet und der Raum so auf seine dekorative Bedeutung (↗ Schachtel) reduziert. Erst in jüngster Zeit wird die Analyse des dargestellten Raums als Forschungs desiderat erkannt und der Raum auch in der Erzähl textanalyse als „zentraler Teil fiktionaler Wirklichkeitskonstruktion“ (Nünning 2009, 34) beschrieben.

Literatur: Dennerlein 2009; Haupt 2004; Würzbach 2001 u. 2004.

Dennerlein, Katrin (2009): Narratologie des Raumes, Berlin/New York.

Gebser, Jean (1978): Das Fundament der aperspektivischen Welt, Schaffhausen [1949].

Haupt, Birgit (2004): Zur Analyse des Raums, in: Einführung in die Erzähltextanalyse, hg. v. P. Wenzel, Trier, 69–88.

Nünning, Ansgar (2009): Formen und Funktionen literarischer Raumdarstellung, in: Raum und Bewegung in der Literatur, hg. v. W. Hallet u. B. Neumann, Bielefeld, 33–52.

Stanzel, Franz K. (41989): Theorie des Erzählens, Göttingen [1979].

Würzbach, Natascha (2001): Erzählter Raum, in: Erzählen und Erzähltheorie im 20. Jahrhundert, hg. v. J. Helbig, Heidelberg, 105–129.

Dies. (2004): Raumdarstellung, in: Erzähltextanalyse und Gender Studies, hg. v. V. Nünning u.A. Nünning, Stuttgart/Weimar, 49–71.

Urs Urban

Lexikon Raumphilosophie

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