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A. (lat. extensio) ist die von René Descartes (1596–1650) in den 1644 erscheinenden Principia philosophiae im Begriff der res extensa verwendete Bezeichnung für diejenige Sache (lat. res), die Länge, Breite (↗ Seite) und ↗ Tiefe hat. A. ist die wesentliche Bestimmung der Körper und damit aller ↗ Materie. Ihre ↗ Natur bzw. ihr Wesen besteht in nichts anderem als in dieser dreidimensionalen (↗ Dimensionen) Erstreckung (↗ Strecke). Materie ist A. und als solche ist sie Substanz (↗ Fülle). Dieser kartesische Begriff der A. als Substanz etabliert einen neuen Typ von Metaphysik, bei dem neben Gott (↗ Allgegenwart) als ungeschaffener Substanz nur noch Denken (↗ Logos) und A. als geschaffene Substanzen angesetzt werden. Mit diesem Substanzendualismus von Denken und A. entwirft Descartes eine radikale Gegenposition zu der auf Aristoteles (384–322 v. Chr.) zurückgehenden Metaphysik, die von einer Vielzahl endlicher Substanzen ausgeht. Damit wird auch ein gänzlich neues Konzept der Substanz entwickelt: Mit Substanz ist nun eine Totalsphäre (↗ totaler Raum) gemeint, die geschlossen ist und nur Binnendifferenzen, sog. Modi, aufweist. Dieser neue Typus der Substanzmetaphysik hat weitreichende Konsequenzen für das Konzept der A.: Erstens wird sie zur ↗ Form, in der sich alle ↗ Relationen zeigen, und ist das System aller physischen Verhältnisse (↗ Physik). Damit setzt sich Descartes von Aristoteles ab, bei dem Größenverhältnisse als akzidentielle Verhältnisse der Substantialität nachgeordnet sind. Im Gegensatz dazu sind A. und Größe (Quantität) bei Descartes nur durch den Verstand – also rational – und nicht real (↗ Kausalität), d.h. durch die Sache selbst, unterschieden. Zweitens sind Körper als Modi der Substanz Teile der A., die sich von anderen Körpern nur durch ihre Größe und ihre ↗ Bewegung unterscheiden. Drittens verliert der Begriff des ↗ Ortes (lat. locus) seinen absoluten Charakter, den er im Rahmen der aristotelischen Physik (↗ Örtlichkeit) hat und wird zu einer relativen Bestimmung (↗ Relativität). Viertens gibt es keinen leeren (↗ Leere) ↗ Raum. Denn der leere Raum wäre nur als ↗ Nichts und damit als Verneinung aller Bestimmungen zu denken. Ein völlig Bestimmungsloses zu schaffen, wäre aber nicht einmal Gott möglich. Fünftens ist die A. unendlich teilbar. Sechstens ist A. und damit die physische ↗ Welt unbegrenzt ausgedehnt. Das heißt auch, dass die aus der Antike bis in die Frühe Neuzeit reichende Unterscheidung von irdischer (↗ Erde) und himmlischer (↗ Himmel) Physik zugunsten des Konzeptes einer einheitlichen Physik entfällt. An diese neue Konzeption der A. schließt sich die frühneuzeitliche Wissenschaft insofern an, als nun die als Totalität gedachte A. ins Zentrum der Forschung rückt. Philosophiegeschichtlich knüpft Baruch de Spinoza (1632–1677) an Descartes im zweiten Teil der Ethik an, indem er dessen Begriff der substantiellen Bestimmungen Denken und A. aufnimmt, ihnen allerdings den Status von gleichgeordneten Attributen zuweist, die dann nur noch der einen und einzigen Substanz, d.h. Gott, zukommen. Im Rahmen der Politik sowie dann der Politiktheorie und Geschichtswissenschaft wird A. im Sinne von Expansion verstanden, als die A. eines Herrschaftsgebietes eines Staates oder einer Staatenverbindung. Dabei geht die frühneuzeitliche weltweite Expansion der europäischen Staaten mit einer Neutralisierung der Orte und damit dem Aufstieg eines homogenen und willkürlich teilbaren Vorstellungsraums einher. Im eminenten Sinne ist von Expansion im Rahmen des Imperialismus (↗ Kampf) zu sprechen. Dort wird Expansion um ihrer selbst willen betrieben; das Prinzip wirtschaftlicher ↗ Produktion wird damit auf den politischen Bereich ausgedehnt. Expansion im Sinne des Imperialismus bedeutet also weder Ausplünderung der Eroberten noch definitive Assimilation oder gar Staatsgründung, sondern einen wirtschaftlich motivierten Ausgriff über die ↗ Grenzen der Nationalstaaten hinaus, der dem Prinzip nationalstaatlicher Organisation widerspricht.

Literatur: Arendt 1986, 286–308; Büttner 2011; Garber 1992; Koyré 1980; Marshall 1979; Rombach 1981.

Arendt, Hannah (1986): Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, München/Zürich [amerik. 1951].

Büttner, Stefan (2011): Gott und Raum, Würzburg.

Cassirer, Ernst (2000): Substanzbegriff und Funktionsbegriff, Hamburg [1910].

Garber, Daniel (1992): Descartes’ Metaphysical Physics, Chicago.

Koyré, Alexandre (1980): Von der geschlossenen Welt zum unendlichen Universum, Frankfurt a. M. [engl. 1957].

Marshall, David J. (1979): Prinzipien der Descartes-Exegese, Freiburg i. Br.

Rombach, Heinrich (21981): Substanz, System, Struktur, Freiburg i. Br.

Stefan Büttner

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