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ОглавлениеEin B. ist ein (textiler) ↗ Streifen, der im Gegensatz zum ↗ Saum selbständig ist und sich nicht am ↗ Rand eines Gebietes befinden muss. Es dient meist zum Binden oder Verbinden (↗ Kugel) und ist in dieser Funktion für die Kosmologien von Parmenides (ca. 520–ca. 460 v. Chr.) und Platon (427–347 v. Chr.) wichtig. Die Sterne, die bei der Erzeugung der ↗ Zeit mitwirken, werden zufolge des Dialogs Timaios (38c) durch beseelte B.er (gr. desmois empsychois), die ihre Körper zusammenhalten, zu lebendigen Wesen erhoben. In der Mathematik sind B.er im Raum, die im 19. Jh. als einseitige Polyeder bezeichnet werden, Gegenstand der Differentialgeometrie und ↗ Topologie. An ihnen wird der topologische Begriff der ↗ Orientierung entwickelt. Nach Immanuel Kants (1724–1804) Aufsatz Von dem ersten Grunde des Unterschiedes der Gegenden im Raume aus dem Jahr 1768 verleiht der ↗ Raum als ganzer (↗ absoluter Raum) die Eigenschaft der Händigkeit (↗ Seite), sodass Objekte im Raum diesbezüglich stets eindeutig bestimmt sind. Noch 1847 schreibt Christian von Staudt (1798–1867) in seiner Geometrie der Lage, dass eine ↗ Fläche im Raum stets zwei Seiten habe. Johann B. Listing (1808–1882) publiziert 1862 in seinem Beitrag Der Census räumlicher Complexe eine ganze Reihe einseitiger B.er, mit denen sich August F. Möbius (1790–1868) eingehender befasst. Er untersucht als Erster nichtorientierbare Flächen und behandelt das nach ihm benannte ‚Möbiusb.‘ (↗ topologische Figuren) in seiner Theorie der Polyeder, die 1886 postum erscheint. Es ist ein einseitiger, begrenzter Raum von zwei ↗ Dimensionen, der auf eine ↗ Linie kontrahierbar ist und sich aus einem Streifen herstellen lässt, den man vor dem Zusammenkleben an der Schmalseite einmal verdreht. Während das normal geschlossene B. topologisch einem Zylinder entspricht, auf dem die rechts-links ↗ Orientierung erhalten bleibt, ist das Möbiusb. nicht orientierbar. Nach Felix Klein (1849–1925) hängt die Einseitigkeit der Fläche vom umgebenden Raum ab, während die Nichtorientierbarkeit von ihm unabhängig ist. Ein einseitig beschreibbares B. ist Teil des theoretischen Modells der Turingmaschine, die Algorithmen simuliert, um Fragen der Berechenbarkeit klären zu können.
Literatur: Ganascia 2001; Richeson 2008; Scriba/Schreiber 2010.
Ganascia, Jean-Gabriel (2001): Turing-Maschinen, in: Thesaurus der exakten Wissenschaften, hg. v. M. Serres u. N. Farouki, Frankfurt a. M., 999f. [frz. 1997].
Richeson, David S. (2008): Euler’s Gem, Princeton.
Scriba, Christoph J./Schreiber, Peter (32010): 5000 Jahre Geometrie, Berlin/Heidelberg/New York.
Ellen Harlizius-Klück