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Ausschluss

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Im Anschluss an die ↗ Heterotopologie Michel Foucaults (1926–1984), der das 20. Jh. als Epoche des ↗ Lagers identifiziert und unter Rückgriff auf Carl Schmitts (1888–1985) ↗ Theorie der Souveränität, die dem Herrscher eine unbeschränkte politische ↗ Macht der Setzung (↗ Nahme) zuspricht, die sich v.a. in der Entscheidung über den Zustand der ↗ Ausnahme manifestiert, definiert Giorgio Agamben in seiner Schrift Homo sacer von 1995 das Politische über die doppelte ↗ topologische Figur von A. und Einschluss. Dabei orientiert er sich an Alain Badious (2005) mengentheoretischem Verständnis (↗ Aleph) der ↗ Repräsentation, die für diesen gleichbedeutend ist mit Einschließung und unterschieden von Präsentation (↗ Anwesenheit) im Sinne der Zugehörigkeit (↗ Geworfenheit). Nach Badiou wäre der politische Normalzustand, wenn beides zutrifft: Individuen gehören zur ↗ Gemeinschaft, die sie darüber präsentieren, und sie sind zugleich in dieser eingeschlossen, wenn sie durch sie als Glieder einer ↗ Struktur (bspw. ‚Wähler‘) repräsentiert werden. Abweichend davon beschreiben Exkreszenz (wörtlich für ‚Wucherung‘) und ↗ Singularität die ↗ Situationen der reinen Repräsentation – die Nichtzugehörigkeit mit Einschluss (bspw. Wahlrecht ohne Einbürgerung) bzw. der reinen Präsentation – die Zugehörigkeit ohne Einschluss (bspw. kein Wahlrecht für Frauen). Die souveräne Ausnahme wiederum ist nach Agamben (2002, 35) in einer ↗ Zone der UnUnterscheidbarkeit (↗ Schwelle) zwischen diesen beiden nichtnormalen Zuständen oder auf der ↗ Grenze ihres ↗ Zwischen angesiedelt: „Sie ist dasjenige, was nicht in das Ganze eingeschlossen werden kann, zu dem sie gehört, und nicht zu der Menge gehören kann, in die sie schon immer eingeschlossen ist“. Linguistisch (↗ Syntax) gewendet ist Einschließung eine sprachliche (↗ Sprache) Denotation (↗ Semantik) und die souveräne ↗ Überschreitung der konstituierten Bedeutung wäre deren Dekonstruktion (↗ Marginalisierung). In der traditionellen politischen Theorie entspricht dies der Vermischung von Natur- und Rechtszustand im Sinne einer Entortung (↗ Ortung) der Gesetzgebung und solcherart die juristische Kehrseite der ↗ Globalisierung. Der radikale A. kann im Gegensatz zur Souveränität nun in der politischen (Nicht-)Situation des Lagers gesehen werden, an welcher der solcherart topologisch bestimmte homo sacer als ‚heiliger ↗ Mensch‘ seinen topographischen (↗ Topographie) ↗ Ort hat, der nicht geopfert oder als Teil eines sozialen Verbundes (↗ Sozialraum) gemordet werden kann, sondern dessen Tötung (↗ Tod) ohne Konsequenzen möglich (↗ Möglichkeit) ist (↗ Bann): Die Internierten gehören weder dem das Lager umgebenden Staatsgebiet an, sodass sie also nicht zugehörig sind, noch sind sie politisch repräsentiert und daher nicht in diesem Sinne eingeschlossen. Als Überlebender mehrerer Nazi-Vernichtungslager hat Jean Améry (1912–1978) seinem Leben selbst ein Ende gesetzt und in einer Begründungsschrift argumentiert, dass der Selbstmord eine Bestätigung dafür sei, sich selbst zu gehören, d.h. selbst über die Existenz (↗ Ekstase) entscheiden zu können und nicht einem anderen Souverän ausgeliefert zu sein (Améry 1976). Die Zusammengehörigkeit von A. und Einschluss hat der Mathematiker George Spencer Brown (1997) als eine ↗ Logik gefasst, in der ↗ Raum als ↗ Form der Unterscheidung (↗ Differenz) definiert wird, die stets durch einen markierten Raum (engl. marked space) sowie einen unmarkierten Raum (engl. unmarked space) bestimmt ist (↗ Räume); oder auf Agambens Rückgriff auf Hannah Arendt (1906–1975) gewendet: Wie sich ↗ Öffentlichkeit und Privatheit gegenseitig konstituieren (Arendt 2002, 33–97), so auch der souveräne Raum und der ↗ heilige Raum, wobei stets nur eine ↗ Seite Gegenstand der ↗ Wahrnehmung sein kann.

Literatur: Geulen 2010; Schwarte 2007.

Agamben, Giorgio (2002): Homo sacer, Frankfurt a. M. [ital. 1995].

Améry, Jean (1976): Hand an sich legen, Stuttgart.

Arendt, Hannah (2002): Vita activa, München [amerik. 1958].

Badiou, Alain (2005): Das Sein und das Ereignis, Zürich [frz. 1988].

Geulen, Eva (2010): Politischer Raum, in: Raum, hg. v. S.Günzel, Stuttgart/Weimar, 134–144.

Schwarte, Ludger [Hg.] (2007): Auszug aus dem Lager, Berlin/Bielefeld.

Spencer Brown, George (1997): Gesetze der Form, Lübeck [engl. 1969].

Stephan Günzel

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