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Bedingtheit

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Nach Immanuel Kants (1724–1804) Kritik der reinen Vernunft von 1781 gehört der ↗ Raum als reine ↗ Anschauung zur transzendentalen Bedingung der ↗ Möglichkeit von ↗ Erfahrung überhaupt. Die räumliche B. aller Erfahrung und des gegenständlichen Erkennens ist bei Kant weder diskursiv (↗ Diskurs), also begrifflich-logisch, noch empirisch, also durch Erfahrungsurteile (↗ Wissen) begründet. Der Raum ist Bedingung der ↗ Einheit der Erfahrung und zugleich durch das Prinzip der Einheit der Erfahrung selbst bedingt. Wie die ↗ Zeit ist auch der Raum nach Kant a priori, d.h. allen Erfahrungen und Begriffen vorgängig, er ist die Bedingung der Möglichkeit für alle anderen Vorstellungen und synthetischen Urteile aus Erfahrung und Begriffen. Nur was ‚in‘ der Zeit und ‚im‘ Raum ist, könne daher Gegenstand der sinnlichen Erfahrung und der wissenschaftlichen Beweisführung sein. Obwohl räumliche B. nach Kant empirisch nicht nachzuweisen ist, begründet sie den modernen systematischen Experimental- und Wissenschaftsbegriff bis heute. Wissenschaftsgeschichtlich ist die räumliche B. eng mit der euklidischen (↗ Euklidik) ↗ Geometrie und ihren um 1800 noch als apodiktisch geltenden Sätzen verbunden, wonach Raum eine dreidimensionale (↗ Dimensionen), ungekrümmte und unendliche Größe ist. Aufgrund der medientechnischen, mathematischen und experimental-physikalischen Entwicklungen entstehen im 19. Jh. Zweifel an diesem Diktum, etwa rund um den Begriff der Funktion und ihrer nichtstetigen Seinsweisen (Mehrtens 1990, 84ff.), also sog. Monsterfunktionen, die sich nicht durch eine Kurve (↗ Bahn) graphisch repräsentieren lassen (Siegert 2003, 315). Im Zusammenhang mit diesen Funktionsräumen (↗ mathematische Räume), neuen nichteuklidischen Geometrien (↗ Nichteuklidik) und topologischen Raumbegriffen (↗ Topologie) sorgt die Phänomenologie nach Edmund Husserl (1859–1938) um 1900 für eine Umdeutung der transzendentalen B.Oskar Becker (1889–1964) verfolgt im Anschluss an Husserl diese Frage weiter, indem er versucht, die Theorie der ↗ Relativität auf phänomenologische Begriffe zu bringen und den phänomenologischen und transzendentalen Raum zu synthetisieren (Becker 1973, 552ff.). Hermann Weyl (1885–1955) nimmt in seinen mathematisch-physikalischen Grundlagenarbeiten zur Infnitesimalgeometrie und zur Allgemeinen Relativitätstheorie ebenfalls Bezug auf Kants räumliche B. der Anschauung, indem er das zur Differentialgeometrie notwendige Koordinatensystem zum „Ich-Residuum“ (Weyl 1970, 8) erklärt. Demnach wäre auch der relativistische Raum ein transzendental bedingter Subjektraum. Bezüge auf die räumliche B. finden sich in sehr vielen Gründungstexten der modernen Wissenschaften, häufig aber in Form von Abgrenzung, wie z.B. Hermann von Helmholtz (1821–1894) durch seine positivistische Physiologie (Helmholtz 1998). Kant (1996, 36ff.) selbst versucht, in seiner postum veröffentlichten Schrift zur Physik Zweifel an der räumlichen B. auszuräumen, indem er dort der reinen Anschauung namens Raum ein ebenso reines, empirisch nicht nachzuweisendes, aber absolut notwendiges mediales (↗ Medium) Apriori namens ↗ Äther unterstellt (Vagt 2007).

Literatur: Dück 2001; Kosack 1894.

Becker, Oskar (1973): Beiträge zu phänomenologischen Begründung der Geometrie, Tübingen [1923].

Dück, Michael (2001): Der Raum und seine Wahrnehmung, Würzburg.

Helmholtz, Hermann von (1998): Über die Tatsachen, die der Geometrie zugrunde liegen, in: ders.: Schriften zur Erkenntnistheorie, Wien/New York, 59–78 [1886].

Kant, Immanuel (1996): Übergang von den metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft zur Physik, Heidelberg.

Kosack, Martin (1894): Das ungedruckte Kantische Werk, Göttingen.

Mehrtens, Herbert (1990): Moderne Sprache Mathematik, Frankfurt a. M.

Siegert, Bernhard (2003): Passage des Digitalen, Berlin.

Vagt, Christina (2007): Absolut ruhend, in: Stehende Gewässer, hg. v. J. Behnstedt u.a., Berlin, 151–162.

Weyl, Hermann (61970): Raum Zeit Materie, Berlin/Heidelberg/New York [1923].

Christina Vagt

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